Album-Tipp

Höllisch vergnügtes Musizieren: Trios mit Patricia Kopatchinskaja

Stand
AUTOR/IN
Albrecht Selge
Albrecht Selge (Foto: Pressestelle, Reza Jan Mansouri)
KÜNSTLER/IN
Patricia Kopatchinskaja, Reto Bieri, Polina Leschenko

„Take 2“ hieß vor einigen Jahren ein Album, auf dem die Geigerin Patricia Kopatchinskaja mit wechselnden Partnern Duette spielte. Jetzt erscheint ihr neues Album „Take 3“, auf dem sie durchgehend mit zwei festen Mitspielenden musiziert. Ist das vielleicht einer zu viel?

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Tolles Trio im ewigen Hin und Her

Vorsichtig tastend, zögernd geht’s in einen Walzer, ein Stück aus der Bühnenmusik „L'Invitation au chalet“ („Die Einladung ins Landhaus“) von Francis Poulenc, entstanden 1947. Mehrere Stücke aus dieser Suite sind auf dem neuen Album „Take 3“ von Patricia Kopatchinskaja, Reto Bieri und Polina Leschenko zu hören. 

„Hésitation“ lautet Poulencs Untertitel für seinen Walzer, zu deutsch „Zögern“ oder „Unschlüssigkeit“. Der Ausdruck „Valse-hésitation“ bedeutet aber auch sowas wie „Ewiges Hin und Her“. Und die Geigerin Patricia Kopatchinskaja nimmt das unverschämt wörtlich.

Die beiden anderen Musiker gehen bei diesem Spiel lustvoll und witzig mit: der Schweizer Reto Bieri an der Klarinette, die Israelin Polina Leschenko am Klavier. Ein tolles Trio.

Poulenc bildet den roten Faden

Stücke des ewig unterschätzten Poulenc bilden den roten Faden des Albums, neben kurzen bis sehr kurzen, aber knackigen Nummern auch die späte Klarinettensonate, ein facettenreiches Werk. Am bedeutsamsten Ende der Skala aber stehen die „Kontraste“ von Béla Bartók aus dem Jahr 1939.

Bartóks „Kontraste“ verbinden in abgeklärter Perfektion folkloristische Bezüge mit höchsten Kunstsphären. Diese ästhetische Heimatsuche ist ein Leitthema des Albums, wie auch in drei lesenswerten persönlichen Texten der beteiligten Musiker deutlich wird.

Die 1977 im heutigen Moldau geborene Patricia Kopatchinskaja, die seit langem in der Schweiz lebt, schreibt: „Für solche entwurzelten Musiker wie mich gibt es eine Heimat nur noch in Erinnerung und Träumen als eine große fruchtbare Wunde. Wie eine kraftspendende Pflanze blüht und blutet es.“ Starke Worte, deren Anspruch die Auswahl der Stücke einlöst.

Einflüsse von Bartók und Klezmer

Paul Schoenfield, geboren 1947, ist ein US-amerikanischer jüdischer Pianist und Komponist, heute lebt er in Israel. Bartók hat ihn beeinflusst, aber ebenso, deutlich zu hören, die Tradition des Klezmer. Bieris Klarinette spielt hier genauso angesengt, wie Kopatchinskaja es gern auf ihrer Geige tut, womit sie im Klassikrepertoire bei Sibelius & Co öfter mal das klangkonservative Publikum zur Weißglut bringt.

Aber hier gibt’s keinen Zweifel, wie gut das passt! „Freylakh“ heißt dieser erste Satz aus dem Trio von 1990, über das Schoenfield selbst schrieb, es solle sowohl für chassidische Zusammenkünfte als auch für den Konzertsaal taugen. Und unbedingt: unterhaltsam sein. Das ist es definitiv. Ein Riesenspaß, aber voller Nostalgie, voller Herzblut und Schmerzblüten.

Höllisch vergnügtes Musizieren auf Messers Schneide

Noch direkteren Bezug auf diese Kultur nimmt der 2010 entstandene „Klezmer Dance“ des rumänischen Komponisten Şerban Nichifor:

Hier müsste das Album übrigens „Take 5“  heißen, wie das berühmte Stück von Dave Brubeck. Denn jetzt sind noch zwei Musiker dabei, der Geiger Ilya Gringolts und Ruslan Lutsyk am Kontrabass.  Alle spielen sie wie die gesengten Säue, aber im besten Sinn.

Denn dieses ganze Album „Take 3“, erschienen bei Alpha Classics, ist höllisch vergnügtes Musizieren auf Messers Schneide, so tänzerisch wie springteufelig. Man könnte auch sagen: „Très vite et très canaille“, sehr schnell und sehr unverschämt, genau wie der Titel dieser Miniatur von Poulenc:

Videos zu Patricia Kopatchinskaja

Livemitschnitt vom 15.9.2020 Currentzis LAB mit Patricia Kopatchinskaja und Helmut Lachenmann

Teodor Currentzis im Gespräch mit Patricia Kopatchinskaja und Helmut Lachenmann. Livemitschnitt in der Stuttgarter Liederhalle vom 15.9.2020.

SWR Web Concerts Pfingstfestspiele Baden-Baden: Patricia Kopatchinskaja & SWR Symphonieorchester

Patricia Kopatchinskaja spielt Esa-Pekka Salonens Violinkonzert, dazu konzertant der erste Aufzug aus Wagners "Walküre". Am Pult des SWR Symphonieorchesters steht Dima Slobodeniouk. Livemitschnitt im Festspielhaus Baden-Baden vom 5.6.2022.

SWR Symphonieorchester Patricia Kopatchinskaja – Artist in Residence 2020/21

"Mein ganzes Leben ist wie ein Topf. Da fällt alles hinein", sagt Patricia Kopatchinskaja. Und das Ergebnis? "Inspiration, Erfahrungen, Wissen, ... und ganz viele Fehler!"

Backstage Talk Patricia Kopatchinskaja: Meine Jagd ist auf der Bühne

Beim Musizieren ist Patricia Kopatchinskaja ganz im Moment, da kämpft sie selbst in einer Probe wie "ein Löwe" für ihre Musik. Und auch hinter der Bühne lernen wir eine Frau kennen, die weder ihr Publikum, noch sich selber in Ruhe lassen will.

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AUTOR/IN
Albrecht Selge
Albrecht Selge (Foto: Pressestelle, Reza Jan Mansouri)
KÜNSTLER/IN
Patricia Kopatchinskaja, Reto Bieri, Polina Leschenko