Komponierender Maler

Für den Künstler noch wichtiger als seine Gemälde: James Ensor und die Musik

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Andreas Maurer
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Dominic Konrad

Anlässlich des 75. Todestages des belgischen Malers James Ensor werden ihm zu Ehren in Oostende, Antwerpen und Brüssel zahlreiche Ausstellungen, Veranstaltungen und Festivals stattfinden. Was jedoch wenige wissen: Ensor war nicht nur Maler sondern auch Musiker. Er spielte Klavier und Harmonium und hat auch komponiert.

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Künstler und Komponist

„Er hat Musik gemacht. Schon sehr früh hat er zusammen mit seiner Schwester Klavier, Harmonium und Flöte gespielt“, erklärt Xavier Tricot. „Und er hat auch komponiert!“ Tricot ist Kurator am Ensor-Haus in Oostende, der Geburtsstadt des flämischen Symbolisten James Ensor.

James Ensor: „Skelett mit Staffelei“ (189697) (Foto: IMAGO, IMAGO / agefotostock)
James Ensor: „Skelett mit Staffelei“ (1896/97), im Königlichen Museum der Schönen Künste von Antwerpen (Ausschnitt)

Ensor habe viel über Musik geschrieben, darüber, wie wichtig sie in seinem eigenen Leben sei, so Tricot: „Auf vielen Zeichnungen sieht man Ensor selbst Harmonium spielen. Er wollte sich nicht nur als Maler, sondern auch als Musiker beweisen. Vor allem ab den 1920er- und 1930er-Jahren sagte er zu vielen Besuchern: Schaut euch bitte nicht meine Bilder an, sondern lauscht lieber meiner Musik. Er empfand seine Musik sogar noch wichtiger als seine Gemälde.“

Nur konnte Ensor seine Musik nicht wirklich notieren. Daher spielte er sie immer auswendig vor und das auch noch auf recht unorthodoxe Weise: mit ausgestreckten Fingern und häufig nur auf den schwarzen Tasten des Harmoniums. Erst später wurden einige Werke instrumentiert. „Enlacements“ („Verzierungen“) von 1905 ist seine älteste erhaltene Komposition.

Gemälde wie kleine Theaterstücke

Trotzdem ging James Ensor in die Geschichte als Schlüsselfigur der modernen Malerei ein. Vor allem wegen seiner eigenwilligen Gemälde, in denen es von grotesken Masken und Skeletten nur so wimmelt.

Kurator Xavier Tricot meint, es sei etwas Paradoxes in seinen Gemälden. „Einerseits maskiert er seine Protagonisten, und gleichzeitig demaskiert er auf diese Weise auch die Gesellschaft. Denn hinter dem Grotesken verbirgt sich eine Art Melancholie. Er hat viel darüber nachgedacht was es heißt Mensch und somit Teil einer Gesellschaft zu sein.“

Viele Gemälde von Ensor wirken wie kleine Theaterstücke – etwa Atelierbilder die „auf den Brettern, die die Welt bedeuten“ spielen. Unter der freundlichen und grinsenden Oberfläche seiner Gemälde lauert aber stets etwas Unheimliches. Und so sind auch Ensors Musikstücke weit mehr als „nette Unterhaltungsmusik“.

 

James Ensor: „Die Masken und der Tod“ (1897), im Museum der Schönen Künste in Lüttich  (Ausschnitt) (Foto: IMAGO, IMAGO / agefotostock)
James Ensor: „Die Masken und der Tod“ (1897), im Museum der Schönen Künste in Lüttich (Ausschnitt)

Seine Kompositionen macht er in einem Ballett zum Gesamtkunstwerk

„Viele seiner Stücke integriert er später in eine Art Gesamtkunstwerk mit dem Namen ‚La Gamme d'amour‘, ein Opernballett für Marionetten“, so Tricot, „aber natürlich kommen darin auch echte Balletttänzer vor. Für dieses Werk entwarf Ensor auch die Kostüme, die Dekoration und schrieb die Musik für das Orchester.“

Und wie in Ensors Gemälden spielt auch dieses Ballett von 1924 mit der Grenze zwischen Realität und Traum, Körper und Seele, Vernunft und Wahnsinn. Eine Orchesteraufnahme gibt es davon aber bis heute nicht.

James Ensor: Karneval in Flandern (Foto: IMAGO, IMAGO / United Archives International)
James Ensor: „Karneval in Flandern“ (1929), im Stedelijk Museum Amsterdam (Ausschnitt)

Ensors sechsteiliges Ballett, das Anklänge an Chopin und Satie offenbart, präsentiert sich nicht zufällig als Gesamtkunstwerk im Sinne Richard Wagners, ist der Kunsthistoriker Xavier Tricot überzeugt. Nach dem Tod Wagners im Jahr 1883 malt Ensor einen „Walkürenritt“. Er besucht auch Aufführungen des „Rings“ in Brüssel.

„Und er hat auch noch ein anderes Gemälde gemacht mit dem Titel ‚Am Konservatorium‘“, erklärt Tricot. „Darauf sieht man ein Konzert, darüber ein Porträt von Wagner, auf dem der weinende Komponist die Finger in die Ohren steckt - weil er die zeitgenössische Musik nicht aushält. Das ist natürlich typisch Ensor!“

Ensor ist auch in unserer Zeit aktuell

Auch die Obrigkeiten des Brüsseler Konservatoriums bekommen in diesem Gemälde ihr Fett weg, ebenso das „hörige“ Publikum, das wahllos Blumen und Lorbeeren auf die Bühne wirft. Ensors Kunst – und damit ist ausnahmsweise diesmal auch seine Musik gemeint – ist aus der flämischen Kunstgeschichte nicht mehr wegzudenken.

„Wenn man sich seine Arbeit anschaut, erkennt man, dass sich darin eine neue Sichtweise auf die Realität ankündigt“, so der Kurator. „Ensor bezieht seine Kompositionen mehr aus der Fantasie und Vorstellungskraft. Und gerade das Thema der Maskerade ist ja mehr als aktuell, wenn wir an Social Media und Co denken.“

Extra fürs Ensor-Jubiläums-Jahr hat die belgische Gruppe Glints einen neuen Song mit dem Titel „My Ensor“ produziert. Und wer hätt´s gedacht – natürlich geht es darin um Masken:

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