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Kate Zambreno – Mutter (Ein Gemurmel)

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AUTOR/IN
Ulrich Rüdenauer

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Wie reagiert man auf einen Verlust - und wie lässt er sich sprachlich ermessen, fassen, in eine Form bringen? Die amerikanische Autorin Kate Zambreno hat dreizehn Jahre lang an einem Buch über ihre eigene früh verstorbene Mutter geschrieben. „Mutter“ ist „Ein Gemurmel“ über den Tod, das Erinnern, die Kunst und das Leben.

„Book of Mutter“ heißt Kate Zambrenos Erinnerungsbuch im Original. „Mutter“ bedeutet Gemurmel oder Nuscheln. Man soll darin aber auch das deutsche Wort Mutter mitlesen. Denn Zambreno schreibt über ihre Mutter, die vor 20 Jahren starb: Sie erzählt von der Krankheit der Mutter. Spürt ihrem Geist nach, der durch alle Räume des Elternhauses schwebt.

Eine Hausfrau der alten Garde sei sie gewesen, eine, die gerne Kontrolle über sich und den Alltag bewahrte. Über die Mutter als junge Frau weiß Zambreno kaum etwas, nur Bruchstücke sind da. Etwa dass ihre Sweet-Sixteen-Geburtstagsfeier abgeblasen werden musste, weil an dem Tag John F. Kennedy ermordet wurde. Solche Miniaturen eines Lebens, auch wenn es dürftig wenige sind, wirft sie immer wieder ein. In Umrissen zeichnet sie das Porträt einer Frau, die zu früh geboren wurde, um sich Freiheiten zu nehmen, die für ihre Tochter schon selbstverständlich waren.

Eine Mutter – nah und zugleich unendlich weit entfernt

Mehr als ein Jahrzehnt hat die amerikanische Autorin Kate Zambreno darauf verwendet, dieses Requiem, die „Rekonstruktion“ jener „entrückten, leicht tragischen Frau“ zu verfassen, die sie an Chantal Akermans illusionslose Filmfigur Jeanne Dielman erinnert oder an die unterschätzte Schauspielerin und Erfinderin Hedy Lamarr.

Es sind tastende Versuche der Wiederbelebung einer Mutter, die ihr nah war und von der sie sich zugleich unendlich weit entfernt hat. Der lange Prozess des Sammelns, des Abschweifens, des Vor-sich-hin-Murmelns, schließlich des Schreibens, Komponierens und Weglassens ist im Buch spürbar.

„Mutter (Ein Gemurmel)“, wunderbar übersetzt von Dorothee Elmiger, ist eine Zeitreise, auf der sich viel Material angesammelt hat – eine ganze Bibliothek an Verweisen. Wichtiger noch sind aber vielleicht die vielen leeren Seiten, Leerzeilen, Leerstellen.

Sie machen den trauerschweren Text zugänglich, geben ihm die nötige Offenheit und den Leser:innen das Gefühl, nicht von seiner Komprimiertheit erdrückt zu werden, sondern ihn selbst fortdenken zu können. Und die Leerstellen sprechen wortlos von einem der wesentlichen Themen dieses Buches, Zitat: „Was bedeutet es, zu schreiben, was nicht da ist. Abwesenheit zu schreiben.“

Das Fragment macht der Abwesenheit präsent

Schreiben heißt hier: der Abwesenheit eine Präsenz, einen Raum zu geben. Und eine Form zu finden, die dieser Herausforderung, das Abwesende gegenwärtig zu machen, gerecht wird. Die Form, die Zambreno wählt, ist das Fragment. Oder besser: eine Sammlung von Fragmenten, die ganz unterschiedliche Gestalt annehmen – es gibt essayistische, kunstkritische, autofiktionale, poetische, elegische, memoirenhafte, meditative, erzählerische Passagen.

Kleine Schnipsel des Lebens der Mutter werden mit Überlegungen zu Louise Bourgeois‘ künstlerischer Auseinandersetzung mit Traumata verbunden. Oder mit Peter Handkes Buch „Wunschloses Unglück“, in dem er über seine Mutter schrieb, die den Freitod wählte. Roland Barthes‘ „Tagebuch der Trauer“ und seine Überlegungen zur Fotografie, die eng mit seiner Mutter verbunden sind, spielen ebenso eine Rolle.

Zambreno verknüpft die vielen Fundstücke allerdings nicht, sondern lässt sie nebeneinander stehen und aufeinander reagieren, zuweilen ist der Widerhall schwach, manchmal stärker, manchmal zu- und manchmal augenfällig. Selten überschreitet Zambreno eine unzulässige Grenze: etwa, wenn sie das Bild der von Krankheit gezeichneten Mutter mit Bildern von Holocaustopfern überblendet. Die Trouvaillen und Assoziationen umspielen einander, so wie Zambreno das unscheinbare Suburb-Leben ihrer Mutter umspielt, das für sie zu einem exemplarischen wird.

Die Vergangenheit sitzt im eigenen Körper

Zambrenos Buch ist eine Reflexion über Trauer. Eine Reflexion über das Erinnern. Oft abstrakt, dann wieder ganz sinnlich. Einmal heißt es –

„Manchmal öffnet sich mein Mund, und das Lachen meiner Mutter springt heraus, ein Zaubertrick.“

Die Vergangenheit sitzt im eigenen Körper, bedeutet das. Unwillkürlich kann sie sich befreien. Das sind die besonderen Momente in diesem vielschichtigen, mäandernden, nachdenklich vom Verlust sprechenden Text. Die leeren Seiten braucht es, damit diese Momente nachhallen können.

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Ulrich Rüdenauer