Gesammelte Interviews der letzten 10 Jahre

Giovanni di Lorenzo über sein neues Buch: „Vom Leben und anderen Zumutungen“

Stand
INTERVIEW
Marie-Christine Werner

Giovanni di Lorenzo ist Journalist durch und durch. Seit 2004 ist er Chefredakteur der Wochenzeitung „Die Zeit“, seit 1989 Moderator der Talkshow „3 nach 9“ von Radio Bremen. Als große persönliche Bereicherung empfindet er die Gespräche, die er seit Jahren mit Prominenten führt. Was ihn dabei antreibt, erfährt man in seinem Buch „Vom Leben und anderen Zumutungen“. Darin versammelt sind Gespräche mit Persönlichkeiten aus Politik, Kultur, Wissenschaft und Wirtschaft.

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Beklemmende und ungemein offene Gespräche im neuen Buch von Giovanni Di Lorenzo

Nicht immer saß Giovanni di Lorenzo dabei Menschen gegenüber, die er mag und schätzt. Aber er empfindet es als seine journalistische Pflicht, auch mit Politikern zu sprechen, deren Regierungsstil er ganz und gar nicht teilt; etwa mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan oder dem ungarischen Ministerpräsidenten Victor Orbán.

Und so finden sich diese zum Teil beklemmenden und ungemein offen geführten Gespräche neben solchen, die die Leserinnen und Leser tief berührt zurücklassen, wie die Gespräche mit Papst Franziskus und mit Daniel Cohn-Bendit.

Was di Lorenzo an diesen Gesprächen schätzt?

Die Unmittelbarkeit, das Spontane, die Chance, in einer relativ kurzen Zeit doch etwas Authentisches zu erfahren, also etwas, was sich nicht verbirgt hinter einer Maske von Professionalität oder Geschäftssinn.

Was braucht es für ein richtig gutes Gespräch?

Was braucht es neben dem journalistischen Handwerkszeug, damit ein Gespräch ein wirklich gutes ist? Für ihn sei ein Gespräch dann gut, wenn er etwas dabei erfährt, wenn nicht einfach nur ein Fragenkatalog abgearbeitet werde, betont di Lorenzo. Er habe auch schon einige Gespräche geführt, die nicht gut oder nur routiniert waren, aber in der Regel frage er ja „wahnsinnig interessante Menschen“. Und das sei für ihn ein Geschenk.

Beim Treffen mit dem Papst spontan alle Vorbereitungen verworfen

Vielleicht ist es auch die Bereitschaft oder die Fähigkeit, alles, was man vorbereitet hat, „einfach über den Haufen zu werfen“, wenn es nicht passt, so di Lorenzo. So ist es ihm auch mit Papst Franziskus ergangen, als nach jahrelangen Vorbereitungen und einigen Hindernissen endlich ein Interview im Vatikan zustande kam.

Spontan habe er da beschlossen: „Ich stelle nicht alle die Fragen, die ich vorbereitet habe, sondern ich stelle ihm Kinderfragen: Wofür darf man beten? Glaubst du an den Teufel? Kennst du Momente, in denen Gott ganz weit weg ist?“

Der Papst habe sich darauf eingelassen und sich auch Jahre später noch daran erinnert, mit jemandem gesprochen zu haben der „so merkwürdige Fragen stellte“.

Besonders schwierige Begegnung mit Recep Erdoğan

Das schwierigste Gespräch in seinem Buch war sicherlich das aus dem Jahre 2017 mit Erdoğan. Der sei ihm mit einer solchen Feindseligkeit begegnet, dass er dachte, jede Minute rauszufliegen, so di Lorenzo.

Er hat mich ja als Vertreter der in dieser Zeit jedenfalls ziemlich verhassten Bundesregierung gesehen, und konnte sich überhaupt nicht vorstellen, dass da ein Journalist sitzt, der mit der Bundesregierung gar nichts zu tun hat, auch keine Anweisung bekommt von irgendeiner Regierungsstelle.

Das Kräfteverhältnis war bei dem Gespräch sehr ungleich, Erdoğan kam mit Leibwächtern, eigenem Kamerateam und einer riesigen Menge von Leuten, Giovanni di Lorenzo hatte nur seinen Fotografen dabei, „über den sich auch noch zwei Sicherheitsbeamte warfen“, als er fotografieren wollte, wie ein Berater dem Präsidenten eine Tafel mit Stichwörtern zu der gestellten Frage hochhielt.

„Wir haben unsere Dateien in Sicherheit gebracht. Und dann wollten wir wirklich nur weg, egal wohin.“

Di Lorenzos Gespräche spiegeln die gesellschaftlichen Themen der letzten Jahre

Es sind intensive Begegnungen, die spannende Porträts entwerfen – und zugleich die großen gesellschaftlichen Themen der letzten Jahre widerspiegeln und vertiefen. Dabei gelingt es Giovanni di Lorenzo, emotionale Nähe herzustellen und gleichzeitig journalistische Distanz zu wahren.

„Vom Leben und anderen Zumutungen" erzählt von Gesprächen mit großen Persönlichkeiten - und lädt zugleich in der Diskussion wichtiger und auch unbequemer Themen (Flüchtlingskrise, Kriege, Fremdenfeindlichkeit, Cancel-Culture-Debatten) dazu ein, sich auch über sie Gedanken zu machen. Ein gutes, ein wichtiges Buch.   

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Gespräch „Der Humor aus dem Ruhrgebiet funktioniert auch in anderen Teilen Deutschlands“ - der Musikkabarettist Matthias Reuter

„Wenn ich groß bin, werde ich Kleinkünstler“, so hieß mal ein Soloprogramm des Musikkabarettisten Matthias Reuter, der bei seinen Programmen gerne am Klavier sitzt. Tatsächlich begleitet den Oberhausener, Jahrgang 1976, das Kabarett seit seiner Jugend.
Matthias Reuter ist ein bekennender Bewunderer von Hanns Dieter Hüsch, dessen späte Programme er ein paar Mal live erlebt hat. (Hanns Dieter Hüsch verabschiedete sich mit einer Abschiedstournee im Jahr 2000 von der Bühne). Matthias Reuter hat sich außerdem während des Studiums mit dem Kabarett der Weimarer Republik befasst und seine Abschlussarbeit darüber geschrieben.
Nach dem Studium arbeitete Matthias Reuter zunächst als Musiklehrer, bis er seinen „Plan A“ in die Tat umsetzte und sich mit Musikkabarett selbstständig machte. Er hat inzwischen etliche Soloprogramme geschrieben und viele Kabarettpreise bekommen, wie das Emser Pastillchen für zwei Stimmbänder sowie die Dresdener Satire-Preis.

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