Das Kafka-Jahr bietet neue Auseinandersetzungen mit Schriftsteller im Kino und auch im Fernsehen. Die ARD widmet Franz Kafka eine sechsteilige Serie, geschrieben von Besteller-Autor Daniel Kehlmann und inszeniert von David Schalko. Vor allem auf künstlerischer Ebene zeigt die Serie überraschende Seiten des Literaten auf.
Kafka erleben mit kindlicher Neugier
Die Erzählerstimme von Michael Maertens führt einen heran an die Biografie von Franz Kafka. Allerdings mit der kindlichen Neugier eines Modellbauers, der jedesmal versucht, sein Objekt von einer anderen Seite aufzubauen und ihm vielleicht noch etwas näher zu kommen
Jede der sechs Folgen zeigt Franz Kafka aus einer anderen Perspektive: Sein Freund Max Brod, der ihn fördert, seine Familie, sein Arbeitsplatz bei der Prager Arbeiter und Unfallversicherung, der ihm das Schreiben nur in der Nacht erlaubt. Und dann die Frauen seines Lebens: Felice Bauer, Dora Diamant oder Milena Jesenska, mit der er sogar einen Anflug von Romantik erlebt.
ARD Mediathek Kafka
Franz Kafka (Joel Basman), geboren 1883 in Prag, ist ein komplizierter Mann: Mit den Frauen hat er es nicht leicht, ins Büro geht er ungern, und sein tyrannischer Vater Hermann (Nicholas Ofczarek) macht ihm das Leben schwer.
Kein Interesse an Doku-Drama
Kafka in einem quasi dokumentarischen Biopic abzubilden, sagt Regisseur David Schalko, hat ihn und den Autor Daniel Kehlmann nicht interessiert. Die Serie fußt auf der Biografie des Literaturwissenschaftlers Rainer Stach, der unter anderem recherchiert hat, was und wie Kafka gegessen oder welche Dienstreisen er unternommen hat.
Und wie dieses Leben seinen Niederschlag gefunden hat in Kafkas Werk. In der Serie sind die Übergänge zwischen Realität und Fiktion fließend. Nach einem schrecklichen Abendessen mit den Eltern stellt sich Kafka etwa vor, als Käfer aufzuwachen. Das Postamt, in dem Max Brod arbeitet, ist ein Spiegelkabinett, eine unendliche Flucht von Schreibtischen.
Kafkas Welt, wie man sie aus der Literatur kennt – verschroben, erratisch, bürokratisch – dringt in den Szenen immer wieder durch. Die Dialoge stammen teilweise aus seinen Erzählungen und Briefen. Und das ergibt insgesamt einen fast schon theaterhaften Rahmen, eine faszinierende Bühne für große Schauspielkunst.
Lesenswert auf Kafkas Spuren mit Daniel Kehlmann und David Schalko
Joel Basman brilliert als Franz Kafka
Allen voran muss man den Hut ziehen vor Joel Basmann, der sich Franz Kafka mit leicht gedehnter Sprechweise, einem meckernden Lachen und pedantischer Naivität nähert. Verklemmt und blitzgescheit. Ein Mann, der innerlich von Gesetzen, Verboten und Ängsten gefangen ist, aber mit seiner einzigartigen literarischen Stimme viel Sinn für absurde Komik entwickelt.
Währenddessen pendelt Nicolas Ofczarek als tyrannischer Vater virtuos zwischen Verachtung und Weltschmerz und kann seinen inneren Vulkan nur schwer unter Kontrolle halten.
Überraschende Seiten des berühmten Schriftstellers
Die Serie vermittelt bei allem Kunst-Charakter überraschende Seiten von Franz Kafka wie seine Hinwendung zum Judentum, seinen Sinn für den jiddischen Witz oder auch sein hohes Ansehen als Versicherungsexperte. Vor allem aber versprüht sie auf kongeniale Art die Atmosphäre von Kafkas literarischer Welt.
Es ist nicht hoch genug einzuschätzen, dass diese Koproduktion aller ARD-Anstalten so augenscheinlich kompromisslos dem Dichter Franz Kafka gerecht werden durfte. Als biografisches Fragment eines Künstlers, mit dessen Werken man im Leben nicht fertig wird.
ARD-Serie „Kafka“, seit dem 20. März in der ARD Mediathek
Kafka im Kino
Verfilmung des Romanbestsellers Franz Kafkas letzte Liebe: „Die Herrlichkeit des Lebens“ mit Sabin Tambrea und Henriette Confurius
Henriette Confurius und Sabin Tambrea – zwei der aufregendsten deutschen Gegenwartsschauspieler – überzeugen in der Verfilmung des Romans über Kafkas letzte Liebe von Michael Kumpfmüller: Der schon kranke 40-jährige Kafka lernt im Sommer 1923 die 25-jährige Dora an der Ostsee kennen.
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Der Schauspieler Wolfram Koch erzählt im Gespräch mit SWR Kultur, wie er sich Franz Kafkas Erzählung „Die Verwandlung“ nähert und was ihn an Kafka fesselt.
Gespräch Franz Kafka als Zeichner: In einem Comic erzählt Nicolas Mahler über das Leben des Schriftstellers
Im Kafka-Jahr dreht sich vieles um die Literatur des Schriftstellers. Doch Kafka schrieb nicht nur, er konnte auch zeichnen. Nicolas Mahler hat eine Comic-Biographie über Franz Kafka veröffentlicht.
Buchkritik Rüdiger Safranski – Kafka. Um sein Leben schreiben
Vor hundert Jahren, am 3. Juni 1924 starb Franz Kafka, einer der wichtigsten Autoren des 20. Jahrhunderts. Bis heute haben seine Texte nichts von ihrer Faszinationskraft verloren. In beeindruckenden und nicht leicht zu vergessenden Bildern schildert er das Erleben der Menschen in der modernen Gesellschaft mit ihrer Absurdität und Undurchschaubarkeit: Das Adjektiv „kafkaesk“ hat sogar in die deutsche Sprache Eingang gefunden. Der Biograph Rüdiger Safranski schildert Kafkas Leben ganz aus seinem Schreiben heraus und bietet eine gut lesbare Kafka-Biographie samt Werkdeutung für alle.
Hanser Verlag, 240 Seiten, 26 Euro
ISBN 978-3-446-27972-8
Musikmarkt: Album-Tipp Liederzyklus über das Wandern: György Kurtágs Kafka-Fragmente op. 24
Auch im späten 20. Jahrhundert ist ein Liederzyklus über das Wandern komponiert worden, also, wenn man so will, eine Art „Winterreise“ für heute – von dem ungarischen Komponisten György Kurtág, der Mitte der 1980er Jahre kurze Ausschnitte aus Tagebüchern, Briefen und nachgelassenen Texten von Franz Kafka für eine Sopran und Violine vertonte. „Kafka-Fragmente“ heißt der Zyklus, der 1987 bei den Wittener Tagen für Neue Kammermusik uraufgeführt wurde. Jetzt haben ihn die Sängerin Anna Prohaska und die Geigerin Isabelle Faust aufgenommen. Eine eindrucksvolle, dichte, bildliche und hoch virtuose Interpretation – findet SWR2-Kritikerin Susanne Benda.
Forum Leben im Labyrinth – Wie wurde Franz Kafka zum Weltliteraten?
Alexander Wasner diskutiert mit
Prof. Dr. Vivian Liska, Literaturwissenschaftlerin, Antwerpen und Jerusalem
Prof. Dr. Roland Reuß, Herausgeber der historisch-kritischen Ausgabe der Schriften Franz Kafkas
Dr. Yoko Tawada, deutsch-japanische Schriftstellerin