Sie kleben sich auf Straßen, beschmutzen Bilder im Museum oder besetzen Wälder. Ein rheinland-pfälzischer Verfassungsrichter rechtfertigt die Klimaproteste der Aktivisten von "Letzte Generation".

Klima-Aktivisten "Letzte Generation"

RLP-Verfassungsrichter hält Proteste der Bewegung "Letzte Generation" für gerechtfertigt

Stand
Autor/in
Jeanette Schindler

Viele, vor allem junge Menschen, sind wegen der Klimapolitik frustriert. Sie greifen zu immer radikaleren Protestmitteln auch in Rheinland-Pfalz. Ist das angemessen?

Blockierte Straßen, beschmutzte Kunstwerke - da ist bei vielen eine rote Linie überschritten. Die meisten Menschen in Deutschland lehnen Umfragen zufolge die Protestaktionen der Klima-Bewegung "Letzte Generation" ab. Viele finden sogar, sie schadet dem Umwelt- und Klimaschutz.

Sind Flughäfen das nächste Ziel der "Letzte Generation"-Aktivisten?

In Rheinland-Pfalz ist die Bewegung noch schwach. Aber auch hier werden die Proteste ausgeweitet, sagt Micha Frey aus Kusel, der schon länger dabei ist. Die Aktionen würden immer gewaltfrei bleiben, aber künftig könnten auch Flughäfen lahmgelegt werden.

"Wir haben nur noch ganz wenige Jahre Zeit, um einen Klima-Kipppunkt zu verhindern. Und deshalb brauchen wir jetzt unignorierbaren Protest, der stört und die Gesellschaft aufrüttelt", rechtfertigt er die Aktionen, die als Nötigung, Sachbeschädigung oder Hausfriedensbruch geahndet werden. Auch Micha Frey hat wegen seines Protests schon im Gefängnis gesessen.

Doch nicht immer werden die Demonstranten und Demonstrantinnen verurteilt. Das Amtsgericht in Flensburg hat einen jungen Mann unter Berufung auf "gerechtfertigten Notstand" §34 StGB freigesprochen. Aber genauso wie die Proteste selbst ist auch dieses Urteil umstritten.

Verfassungsrechtler wertet Klimawandel als Notstand

Der rheinland-pfälzische Verfassungsrechtler und Richter am Verfassungsgerichtshof, Michael Hassemer, erkennt im Klimawandel durchaus eine Notstandssituation, die sich in absehbarer Zeit noch verschärfen werde. Die Proteste hält er für gerechtfertigt.

"Die Konsequenzen, die der Menschheit durch das Unterlassen von Klimaschutzmaßnahmen entstehen, sind jedenfalls so gravierend, dass Rechtsbeeinträchtigungen durch Protest bis zu einem gewissen Maß durch Notstand gerechtfertigt und darum hinzunehmen sind."

"Wenn man sich auf der Straße festklebt, geht ja erst mal nichts kaputt."

Hassemer betont gleichzeitig, jeder Fall müsse einzeln betrachtet werden. "Im Rahmen der gebotenen Interessenabwägung wird jeweils darauf zu achten sein, wie schwer der jeweilige, durch den Protest verursachte Rechtsgutseingriff ausfällt“, erklärt er. "Wenn man sich auf der Straße festklebt, geht ja erst mal nichts kaputt, und wir leben in einem Land der Falschparker und Rettungsgassenverweigerer."

CDU-Fraktion: Hassemers Argumentation ist nicht haltbar

Die rheinland-pfälzische CDU kann der Argumentation Hassemers nicht folgen. "Leider entsteht der Eindruck, dass Herr Hassemer, der auf Vorschlag der Grünen Mitglied des Verfassungsgerichtshofes wurde, parteipolitisch motiviert argumentiert", kritisiert der Vorsitzende des Rechtsausschusses im Landtag, der CDU-Landtagsabgeordnete Helmut Martin. "So lange unsere Verfassungsorgane intakt und arbeitsfähig und Staat oder innere Ordnung nicht in Gefahr sind, liegt kein Notstand vor." Bloße Unzufriedenheit damit, wie Regierung und Parlament große Aufgaben lösten, rechtfertige noch keine Notstandslage.

Radikale Klima-Aktivisten nehmen Strafen in Kauf

Derzeit werden die Demonstrantinnen und Demonstranten der "Letzten Generation" in fast allen Fällen wegen Nötigung, Sachbeschädigung oder Hausfriedensbruch zu Geldstrafen verurteilt. Sie nehmen die Strafen bewusst in Kauf.

Ein Gruppe von jungen Leuten besetzt seit fast zwei Jahren ein Waldstück bei Trier-Zewen und Igel. Sie wollen verhindern, dass der Wald für eine geplante vierspurige Bundesstraße gerodet wird.

"Das Allerschlimmste wäre, wenn die Erde, auf der ich noch 70 Jahre leben muss, irgendwann unbewohnbar ist."

"Das Allerschlimmste was mir passieren könnte", sagt einer der Besetzer, "ist nicht die Geldstrafe, auch nicht die Gefängnisstrafe. Das Allerschlimmste wäre, wenn Projekte wie diese durchgesetzt werden und die Erde, auf der ich noch 60, vielleicht 70 Jahre leben muss, irgendwann kaputt und unbewohnbar ist."

Das sind die Forderungen der Klima-Aktivisten der "Letzten Generation"

Radikale Klima-Aktivistinnen und -Aktivisten sind der Auffassung, dass nur Protestaktionen, die massiv stören, wahrgenommen werden und die Gesellschaft aufrütteln können, um die Erderwärmung einzudämmen.

Die "Letzte Generation" würde ihre Proteste stoppen, sagt Sprecherin Carla Hinrichs, wenn die Bundesregierung folgende Forderungen erfüllen würde: Einführung eines Tempolimits von 100 Stundenkilometern auf Autobahnen und die Einführung eines 9-Euro-Tickets.

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Jeanette Schindler