Tilly liegt in ihrem Zimmer im Bett und hat ein Kühlakku auf dem Kopf. (Foto: SWR)

Nach Corona-Erkrankung

Wie Tilly aus Trier gelernt hat, mit Long-Covid zu leben

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Lara Dudek

Kopfschmerzen, ein hoher Puls und schnelle Erschöpfung. Seit ihrer Corona-Erkrankung ist für Tilly nichts mehr, wie es mal war. Und ob sich das jemals wieder ändern wird, weiß sie nicht.

Die beiden Fenster des Raums sind geschlossen, die Vorhänge zugezogen. Auch die Tür ist zu und ansonsten gibt es keine Quelle im Zimmer von der ein Geräusch ausgehen könnte. Das Handy liegt umgedreht auf dem Nachtisch gleich neben dem frischen Kühlakku. Zufrieden nickt Tilly und legt sich rücklings aufs Bett. Mit einem gezielten Handgriff nimmt sie sich das Kühlakku, packt es auf den Kopf und schließt die Augen. So kann sie liegen bleiben. Minuten, Stunden oder, wenn nötig, Tage.

Tilly lebt mit ihrer Familie in einem Mehrfamfilienhaus in der Trierer Neustadt (Foto: SWR)
Trotz der Erkrankung gelang Tilly vor rund einem Jahr der Schulabschluss. Seitdem macht sie ein FSJ in Trier.

Nur zu gerne würde Tilly auf diese Routine verzichten. Würde spontan in die Stadt fahren, um Eis zu essen oder ins Schwimmbad zu gehen, um ein paar Bahnen zu schwimmen. Aber die Routine ist nötig, wenn es ihr schlecht geht und die starken Kopfschmerzen kommen. Dann lässt ihr Körper ihr keine andere Möglichkeit: Denn Tilly hat Long-Covid.

Laut einer Studie des Gesundheitsamtes Trier und der Universität Trier leiden Menschen demnach unter Müdigkeit und Erschöpfung. Hinzu kommen laut Studie außerdem Kurzatmigkeit und oftmals auch eine deutlich verminderte Leistungsfähigkeit. Die Studie zeigt: Long-Covid als Erkrankung ist keine Seltenheit. Knapp die Hälfte der befragten Menschen (49,7 Prozent) aus der Stadt Trier und dem Kreis Trier-Saarburg schilderten demnach Spät- oder Langzeitfolgen nach einer Corona-Infektion.

"Am schlimmsten waren die Kopfschmerzen. Das war als würde ein Traktor über den Kopf fahren und man wäre kein Mensch, sondern Erde, die gerade plattgedrückt wird."

Von der Schmerztablette zur Infusion

Als vor etwa einem Jahr die ersten Symptome während der Corona-Infektion kamen, merkte Tilly sofort, dass etwas anders ist, als sonst. Gegen die Schmerzen versuchte sie es zunächst mit Tabletten. Als diese dann ab einem gewissen Punkt nicht mehr halfen, wendete sie sich an ihren Arzt und bekam eine Infusion. Die Schmerzen wurden schlimmer. Und so wurde Tilly dann auf einer Corona-Station eines Krankenhauses aufgenommen.

Tilly steht vor dem Medikamentenschrank in ihrem Kleiderschrank im Zimmer. (Foto: SWR)
Wo früher Klamotten hingen, findet Tilly nun im Notfall alle ihre Medikamente und ihr Pulsoximeter, mit dem sie jederzeit ihren Puls messen kann.

"Am schlimmsten waren die Kopfschmerzen. Das war als würde ein Traktor über den Kopf fahren und man wäre kein Mensch, sondern Erde, die gerade plattgedrückt wird. Das kann man gar nicht richtig beschreiben." Nach etwa einer Woche ließen die Schmerzen dann nach und wurden zumindest aushaltbar, wie sie sagt. Nur um dann nach kurzer Zeit wiederzukommen.

"Mein Leben nahm eine 180 Gradwendung"

Mit jedem Schub, bzw. Crash, wie es richtig heißt, verbrachte sie zwangsläufig mehr Zeit in ihrem Zimmer, wo schräg über dem Bett ein Wandbild einer Schwimmerin klebt. Das erinnerte sie an Zeiten, wo sie als Leistungsschwimmerin noch bis an die fünf Mal die Woche trainierte.

"Es ist sehr schwer seinen Alltag zu planen, da jeder Tag anders ist und an jedem Tag es wieder schlimmer werden könnte mit den Schmerzen."

Das Wandbild zeigt eine Schwimmerin, ein Hobby von Tilly.  (Foto: SWR)
Früher war ihr Zimmer voller Schwimmsachen. Die hat sie nun weggeräumt. Als Erinnerung ist das Wandbild geblieben.

Nur eine der vielen Aktivitäten, die nicht mehr so funktionierten wie früher einmal. Tilly realisierte, dass sie ihren Alltag ihrem Gesundheitszustand anpassen muss. So konnte sie zwar weiterhin arbeiten gehen, musste sich aber oftmals bei einem Crash auf unbestimmte Zeit krankmelden. Für sie immer wieder eine unangenehme Situation.

Tilly fühlt sich nicht gehört

Das Schlimmste in der Zeit war für die 17-Jährige allerdings nicht die zwangsläufige Umstellung auf einen neuen Lebensstil. Vielmehr beschäftigten sie die Reaktionen, mit denen sie es immer wieder zu tun bekam. Denn auf der Suche nach der Ursache der Symptome ist die Triererin häufig auf Unverständnis und Sprüche gestoßen, sowohl im Freundeskreis als auch bei vielen Ärzten.

"Ich wurde nicht ernst genommen und habe mich unverstanden gefühlt."

Immer wieder bekam sie gesagt, dass ihre Symptome einen psychischen Ursprung haben, sie eigentlich nichts habe und sich nicht so anstellen solle. Tilly schob solche Reaktionen der Ärzte auf die fehlenden Erfahrungen mit der Erkrankung.

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So verstand sie auch, dass viele Ärzte zumindest versuchten zu helfen, aber schnell an ihre Grenze stießen. In Situationen, in denen sie sich Hilfe wünschte, kamen stattdessen Sprüche. "Ich wurde nicht ernst genommen und habe mich unverstanden gefühlt."

Auf dem Schild in der Wohnung steht La vie est belle (Foto: SWR)
"Das Leben ist schön". Um ihr Mut zu machen hat Mama Jasmin an mehreren Stellen in der Wohnung Schilder mit positiven Sprüchen verteilt.

La vie est belle?

An vielen Stellen in der Wohnung der Familie findet man Plakate oder Tafeln mit Schriftzügen wie "La vie est belle", "Ab hier bitte lächeln" oder "Ich mag dich". Alles Schilder, die bewusst platziert wurden, um zu helfen. Denn vor allem in den intensiven Phasen zweifelte Tilly schon das ein oder andere Mal an ihrem Lebensmut, wie sie selbst sagt. Dass sie ihn nicht verliert und weiter kämpft, dafür sorgt vor allem eine: Mama Jasmin.

"Man kann es schaffen, wenn man selbst aktiv wird. Auf Hilfe darf man nicht warten."

Das sei auch nicht immer einfach gewesen. Denn auf der eine Seite habe man immer das kranke Kind zu Hause im Bett gesehen und auf der anderen Seite die Ärzte, die versicherten, dass alles in Ordnung sei. Jasmin legte viel Eigeninitiative an den Tag. Recherchierte, telefonierte mit Kliniken und schickte Befunde ein. Gefühle wie Schock, Angst, Ratlosigkeit, und der Wunsch nach Hilfe lagen in der Zeit nah beieinander.

Tilly sortiert ihre Tabletten für die kommende Woche in die Dose (Foto: SWR)
Neben den klassischen Schmerztabletten hat Tilly auch Medikamente aus der Studie, die sie über die Woche einnehmen muss.

Nach Monaten der Warterei geht es bergauf

Nach elf Monaten kam dann der Kontakt mit einer Kinderklinik in Bayern, die sich auch auf Long-Covid bei Kindern und Jugendlichen spezialisiert hat, zustande.

"Dann hatte ich die Diagnose und habe mich auf einmal verstanden gefühlt."

Schon nach kurzer Zeit wurde Tilly stationär aufgenommen. Was folgte, waren zwei kräftezehrende Wochen voller Untersuchungen, dann die Diagnose und somit die Gewissheit: Long Covid. Für Tilly ein Moment, an den sie sich immer erinnern wird. "Dann hatte ich die Diagnose und habe mich auf einmal verstanden gefühlt."

Selbsthilfegruppen geben ihr Kraft

Heute ist Tilly Teil einer Studie und ihr wird geholfen. So habe sie das Gefühl, endlich auf einem guten Weg zu sein. Eine Entwicklung, die Tilly auch auf ihrem Instagram- Kanal „My.journey.with.postvac“ mit der Community teilt. In den vergangenen Monaten hatte sie mit Jugendlichen aus ganz Deutschland Kontakt aufgenommen, die ähnlich wie sie erkrankt sind und hat den Kanal gegründet.

Hier lässt sie die Gruppe an der Reise mit Long-Covid teilhaben. Für alle, die auch an einer Erkrankung leiden und sich mit Gleichaltrigen austauschen wollen. Über Ängste, Erfahrungswerte aber auch schöne und einfache Themen. Hier fühlt sie sich verstanden und möchte dieses Gefühl mit anderen teilen, möchte Mut machen. Denn sie weiß, wie anstrengend die ganze Reise hin zur Diagnose sein kann. Schließlich hat sie es erlebt.

"Ich würde mir wünschen, dass es mehr Long-Covid Zentren gibt, die nicht nur Erwachsene, sondern auch Kinder und Jugendliche behandeln."

Auf der Terrasse der Familie hat man einen schönen Blick über Trier. (Foto: SWR)
Mit ihrer Geschichte möchte Tilly Mut machen und eine Stütze sein. Untertsützung findet sie auf ihrem Instagram Kanal und in einer internen WhatsApp-Gruppe, wo sie sich mit weiteren Betroffenen aus ganz Deutschland über ihre Erfahrungen austauschen kann. Für Tilly ist das wie eine Selbsthilfegruppe

Studie läuft, bis sie 18 Jahre ist

Teil der Studie zu sein, gibt ihr ein gutes Gefühl. "Ich würde mir wünschen, dass es mehr Long-Covid-Zentren gibt, die nicht nur Erwachsene, sondern auch Kinder und Jugendliche behandeln." Laut der Studie der Universität Trier und des Gesundheitsamtes Trier sind zwar Erwachsene häufiger von Spät- oder Langzeitfolgen betroffen als Jugendliche. "Nichtsdestotrotz gibt es uns." Außerdem hofft Tilly, dass es Erkrankte in Zukunft nicht mehr so schwer haben, Gehör zu finden und Long-Covid von der Gesellschaft akzeptiert wird. Für die Zukunft wünscht sie sich auch, dass es mal ein Medikament gibt oder sie bestenfalls vollständig genesen kann. Und wer weiß. Vielleicht kann sie dann als Schwimmerin wieder auf den Startblock steigen.

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