Aufräumarbeiten

Obskure "Helfer" in den Hochwassergebieten

Stand
AUTOR/IN
Eric Beres
Christian Saathoff
Judith Brosel

Nach den verheerenden Unwettern ist die Hilfsbereitschaft in der Bevölkerung groß. Die Aufräumarbeiten locken allerdings auch obskure "Helfer" aus dem Umfeld der "Querdenker"- und Verschwörungsideologen-Szene an.

Er gilt als rechtsextrem und wurde bereits wegen Holocaustleugnung verurteilt: Nikolai N., der sich "Volkslehrer" nennt, war regelmäßiger Gast auf so genannten Querdenker-Demonstrationen, wo er unter anderem die Existenz von Corona anzweifelte. Nun hat er offenbar ein neues Betätigungsfeld gefunden: Nach eigenen Angaben hat er ein Quartier an einer Grundschule in Bad Neuenahr-Ahrweiler bezogen und postet seitdem Videos aus dem Katastrophengebiet in seinem Social-Media-Kanal bei "Telegram", der mehr als 30.000 Abonnenten hat.

Dass Einsatzkräfte von Feuerwehr oder Technischem Hilfswerk THW aktuell nicht überall sein können, kommt dem "Volkslehrer" offenbar gelegen: "Das ist großartig, weil wir damit endlich in die Selbstverantwortung kommen. Und zeigen können, dass wir diese ganzen BRD-Organisationen gar nicht brauchen", sagt er in einem der Videos.

Rheinland-Pfalz

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Sozialpsychologin: Verschwörungsideologen nutzen Trauer der Opfer

Die Sozialpsychologin Pia Lamberty, die sich intensiv mit Verschwörungsideologien befasst und in Mainz promoviert hat, sieht in solchen Äußerungen einen "Flirt mit Reichsbürger-Narrativen". "Man inszeniert sich als der Gute, der wirklich da ist für die Menschen und versucht das Thema für sich zu nutzen", sagte sie dem SWR. Letztlich gehe es darum, das bestehende System zu überwinden. Die Aktivitäten aus dieser Szene sieht sie mit Sorge: "Das ist eine gefährliche Melange. Frustration, Enttäuschung und Trauer der Menschen wird politisch aufgeladen für eigene Ziele."

THW-Mitarbeiter werden angegriffen

Mitarbeiter des THW haben bei ihrem Einsatz in den Flutgebieten auch mit Frustration und Angriffen von Menschen aus der Querdenker-Szene zu kämpfen. Das sagte Vize-Präsidentin Sabine Lackner der Sendergruppe RTL/ntv. "Das geht dann soweit, dass unsere Helferinnen und Helfer beschimpft werden. Wenn sie mit Einsatzfahrzeugen unterwegs sind, werden sie mit Müll beschmissen." Dahinter steckten "frustrierte Flutopfer, vor allem aber Menschen aus der Querdenker- und Prepper-Szene, die sich als Betroffene ausgäben und bewusst Stimmung machten", so Lackner. Bislang habe man wegen verschiedenster Vorfälle noch keine Einsätze abbrechen müssen. "Ich bin unseren Einsatzkräften unendlich dankbar, dass sie recht unerschrocken weitermachen", betonte Lackner. Psychisch sei die Situation für die vielen ehrenamtlichen THW-Helfer allerdings sehr belastend.

Spendensammlung in Social-Media-Kanälen

Ein weiterer bekannter Akteur aus der Querdenker-Szene läuft derzeit zur Hochform auf: Der Sinsheimer HNO-Arzt Bodo Schiffmann, ein Pandemie-Leugner, gegen den bereits wegen Volksverhetzung ermittelt wurde. Aktuell befindet er sich angeblich im Ausland und hat nach eigenen Angaben ein Spendenkonto "für Hochwasseropfer" eingerichtet. Rund eine halbe Million Euro sollen dort bereits eingezahlt worden seien.

Laut eigenen Aussagen koordiniert er Hilfsangebote und stellt dafür seinen Telegram-Kanal mit mehr als 140.000 Abonnenten zur Verfügung. Zwischendrin verbreitet er Posts mit Überschriften wie "Merkel wurde gewarnt und ließ über 150 Deutsche ertrinken". In einem Video, das er teilt, ist von "vorsätzlichem Staatsversagen" die Rede. Sozialpsychologin Lamberty sieht in solchen Äußerungen Ansätze von Verschwörungsideologien, die derzeit vielfach in Social-Media-Kanälen kursierten: "Es findet ein klares Framing statt, nämlich dass die Flutkatastrophe kein Zufall sein könne."

Elternverein wollte Familienzentrum gründen

Für Aufregung sorgte auch der Verein "Eltern stehen auf", der von Beobachtern ebenfalls mit der Querdenker-Szene in Verbindung gebracht wird. Auf seiner Homepage spricht er in Zusammenhang mit Impfungen vom "Corona-Schuss" und machte bereits in der Vergangenheit gegen Corona-Masken mobil. Nun wollte der Verein nach eigenen Angaben in Bad Neuenahr-Ahrweiler für Flutopfer ein Familienzentrum mit 50 Therapeuten, Psychologen und Seelsorgern gründen. Doch das hat das rheinland-pfälzische Familienministerium inzwischen verhindert und sogar öffentlich davor gewarnt.

Hilfsaktion der  "Querdenker" an einer Schule in Bad Neunahr-Ahrweiler (Foto: SWR, Michael Lang)
Hilfsaktion der "Querdenker" an einer Schule in Bad Neunahr-Ahrweiler

Auf SWR-Anfrage positioniert sich das Ministerium sehr klar: Man gehe davon aus, dass Kinder im Angebot eines solchen Vereins nicht gut aufgehoben seien. Wörtlich heißt es in der Stellungnahme: "Trittbrettfahrer-Versuche aus der Querdenker-Szene, die ihre Ideologie unter dem Deckmantel von 'Hilfsangeboten' verbreiten, sind in der Krise nicht weiterführend. Dass Personen, die den Gesundheitsschutz in einer Pandemie ablehnen, nun eine offizielle Rolle für die psychische und psychologische Versorgung von Kindern für sich reklamieren, musste deshalb sofort unterbunden werden."

Elternverein weist Frage zu politischer Gesinnung zurück

Als die Entscheidung bekannt wurde, organisierte der Verein eine Diskussionsrunde im Internet - mit bekannten Akteuren der Querdenker-Szene. Auf SWR-Anfrage zur Zusammenarbeit mit Akteuren aus dieser Szene teilt "Eltern stehen auf" mit, es sei eine "Schamlosigkeit, eine etwaige politische Gesinnung der unbürokratisch und ad hoc Helfenden zum Thema" zu machen. Die Politik habe versagt und gehe "buchstäblich über Leichen". Das vom Verein geplante Hilfsangebot sei dringend nötig. Nach eigenen Angaben auf Social Media wollte der Verein zwischenzeitlich ebenfalls in besagter Grundschule in Bad Neuenahr-Ahrweiler eine "neue Location" einrichten.

Diese Grundschule soll zudem Anlaufpunkt für eine weitere Aktion sein: Für Dienstag hat die Gruppe "Honk for Hope", ein Zusammenschluss von Busfahrern, eine Fahrt von Berlin nach Bad Neuenahr-Ahrweiler angekündigt. Unterwegs eingesammelt werden sollen Helfer für eine "unpolitische, unbürokratische Unterstützung" für die Hochwasseropfer. In der Vergangenheit war „Honk for Hope“ vor allem mit Fahrten zu Corona-Demos aufgefallen. Eine SWR-Anfrage zu der aktuellen Aktion ließ "Honk for Hope" unbeantwortet.

Innenministerium: Gängiges Muster von Extremisten

Die zuständige Schulaufsicht, die Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion in Trier (ADD), will sich zur Rolle der Grundschule nicht äußern und verweist auf das Innenministerium. Ein Sprecher des Ministeriums teilte dem SWR schriftlich mit, es sei ein "bekanntes und gängiges Muster", dass Rechtsextremisten akute Krisensituationen ausnutzten, indem sie sich als "Kümmerer vor Ort" ausgäben - mit dem eigentlichen Ziel, extremistisches oder verschwörungstheoretisches Gedankengut zu verbreiten. Der Verfassungsschutz Rheinland-Pfalz werde die Aktivitäten im Blick behalten.

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Judith Brosel