Corona hat die mRNA-Technologie in die Schlagzeilen gebracht. Sie ist aber gar nicht so neu. Und eine, die sie entscheidend weiterentwickelt hat, ist Katalin Karikó, die 2013 bei BioNTech in Mainz einstieg. Bis September 2022 war sie Senior Vice President bei BioNTech, seither ist sie noch als externe Beraterin für das Mainzer Unternehmen tätig.
Katalin Karikó steht seit mehr als 40 Jahren im Labor und forscht. Die längste Zeit hat sich kaum jemand dafür interessiert, was sie da treibt. Das änderte sich mit der Corona-Pandemie schlagartig - seither wurde sie mit Preisen überhäuft. Nun ist mit dem Nobelpreis die wohl wichtigste Auszeichnung hinzu gekommen.
"Mir wird es erst ganz langsam klar", sagte Karikó in einer ersten Reaktion. Sie habe gehört, dass sie erst die 13. Frau sei, die den Medizin-Nobelpreis erhält. Vielleicht werde der Preis für sie mehr Frauen inspirieren.
Begründung für Nobelpreis: "Entscheidend für die Entwicklung der mRNA-Impfstoffe"
Das Karolinska-Institut in Stockholm teilte am Montag mit, die Entdeckungen der beiden Preisträger seien entscheidend für die Entwicklung wirksamer mRNA-Impfstoffe gegen das Coronavirus während der Pandemie gewesen.
"Mit ihren bahnbrechenden Erkenntnissen, die unser Verständnis der Wechselwirkungen zwischen mRNA und unserem Immunsystem grundlegend verändert haben, trugen die Preisträger dazu bei, dass während einer der größten Bedrohungen für die menschliche Gesundheit in der heutigen Zeit so schnell wie nie zuvor Impfstoffe entwickelt werden konnten", hieß es zur Begründung. Der Preis ist mit umgerechnet rund 950.000 Euro dotiert.
Nobelpreis-Gewinnerin Karikó kommt aus einfachen Verhältnissen
Karikó ist Professorin an der Sagan's-Universität in Ungarn und außerordentliche Professorin an der Universität von Pennsylvania. Dort forschte sie gemeinsam mit Weissman.
Geboren ist Karikó 1955 in Ungarn, aufgewachsen in Kisújszállás, einer Kleinstadt im östlichen Teil des Landes. Sie kommt aus einfachen Verhältnissen, ihr Vater war Metzger. Karikó liebte schon als Kind die Natur und die Biologie. Dass sie nach dem Abitur mit dem Biologiestudium begann, kam also nicht überraschend.
Die Wissenschaftlerin legte sich früh auf ein ganz bestimmtes Themengebiet fest: die RNA. Mit Hilfe von RNA wollte sie Menschen gesund machen. Mit Hilfe von RNA sollte der Körper seine eigene Medizin bilden: gegen Erbkrankheiten, Krebs, Herzinfarkt.
Karikó hatte eine Vision, aber wenig Unterstützung von denen, auf die es ankam. In ihrem Labor in Ungarn versiegten die Gelder. Einen Ozean entfernt fand sie schließlich eine neue Arbeit, in Philadelphia in den USA.
Impfstoff als Hoffnungsträger Wie mRNA auch bei der Heilung von Krebs helfen könnte
Durch die Corona-Pandemie haben die mRNA-Impfstoffe den Durchbruch geschafft. Doch ganz neu ist der Ansatz nicht. Die mRNA-Technik kommt eigentlich aus der Krebsforschung.
Mit dem Teddybär in die USA
Vom Umzug gibt es eine Anekdote, die immer wieder erzählt wird. Vor dem Abflug in die neue Heimat verkauften Karikó und ihr Mann ihr Auto, einen Lada. Die 900 britischen Pfund, die sie dafür auf dem Schwarzmarkt bekamen, nähte die Forscherin in den Teddybär der kleinen Tochter ein und schmuggelte das Geld so außer Landes - Hohe Devisenbeträge waren in Ungarn zu der Zeit verboten.
Mit dem wenigen Geld musste sich die Familie in den USA ein neues Leben aufbauen. Karikó selbst verdiente nicht viel, ihr Mann sprach kein Englisch und musste Hilfsjobs übernehmen. Aber die Wissenschaftlerin brannte nach wie vor für ihr Thema. Ihr gelang es, an die angesehene University of Pennsylvania zu wechseln.
Katalin Karikó und Drew Weissmann: Begegnung am Kopierer
Dort machte sie eine schicksalhafte Begegnung am Kopierer auf dem Gang. Sie traf dort auf Drew Weissman, einen Immunologen, der an einer Impfung gegen HIV arbeitete. Die beiden kamen ins Gespräch und merkten schnell, dass sie sich gegenseitig nützlich sein könnten.
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Karikós Idee mit der mRNA
Aber über was genau brütete die Wissenschaftlerin all die Jahre? Dazu muss man verstehen, was RNA ist. Die drei Buchstaben stehen für Ribonukleinsäure. Eine spezielle Art von RNA ist die messenger-RNA, kurz mRNA. Sie unterscheidet sich chemisch gesehen kaum von der DNA.
In der DNA sind die Baupläne für jegliche Proteine gespeichert - ähnlich wie auf einer Festplatte, erklärt Veronika Simon aus der SWR-Wissenschaftsredaktion. Wenn die Baupläne im Körper gebraucht werden, wird aber nicht die Festplatte transportiert. Stattdessen wird der Bauplan ausgedruckt. Dieser Ausdruck, also die mRNA, enthält die gleiche Information, kann aber viel besser transportiert werden. Der Körper lernt dann von der mRNA, welche Proteine er bilden soll.
Karikós Ziel war es, künstliche mRNA zu entwickeln, die genau die Proteinbildung ankurbelt, die zur Heilung einer bestimmten Krankheit notwendig ist. Das gelang ihr auch. Den endgültigen Durchbruch schaffte sie aber, als sie einen Weg fand, die mRNA so zu verändern, dass sie das Immunsystem überlistet.
Viel Gegenwind für Karikó bis zur Anstellung bei BioNTech
Das Problem daran: Die Wissenschaft interessierte sich nicht sonderlich für ihre Entdeckung. Zu dieser Zeit, Mitte der 2000er Jahre, setzten die meisten auf DNA-Forschung. An der Uni wurde sie degradiert, ihr gelang es nicht, Forschungsgelder aufzutreiben. Eine Firma, die sie zusammen mit ihrem Kollegen Weissman aufmachte, blieb erfolglos.
Wo andere längst aufgegeben hätten, kämpfte Karikó weiter und glaubte an ihre Forschung. Der "Washington Post" sagte sie in einem Interview, was sie damals antrieb: "Ich möchte lang genug leben, dass ich helfen kann, die RNA zum Patienten zu bringen. Ich möchte wenigstens eine Person sehen, der mit dieser Behandlung geholfen werden kann."
Einzelne Kolleginnen und Kollegen erkannten freilich schon damals die Bedeutung von Karikós Forschung. Derrick Rossi zum Beispiel, der später Moderna gründen sollte und bereits 2020 sagte, dass die Forscherin den Nobelpreis verdient habe. Auch BioNTech-Gründer Ugur Sahin war von Karikós Arbeit überzeugt und bot ihr 2013 eine Stelle an. Sie war bis zu ihrem Ausscheiden im Herbst 2022 Senior Vize-Präsidentin des inzwischen weltbekannten Mainzer Unternehmens.
Durch Corona änderte sich alles bei der mRNA-Forschung
Und dann kam Corona. Schlagartig war der Name mRNA in aller Munde. Das lag daran, dass die mRNA-Impfung perfekt für die Bekämpfung einer Viruserkrankung wie Covid-19 passte. Dass die Impfstoffe so schnell zur Verfügung standen, war der jahrzehntelangen Grundlagenforschung vieler Forscher geschuldet.
Karikó gelang es, die Arbeit weiterzuentwickeln und auf den Menschen anwendbar zu machen. Damit legte sie den Grundstein für die jetzt entwickelten Impfstoffe von BioNTech und Moderna gegen das Coronavirus.