Pfarrer Oliver Beckmann von der Protestantischen Kirchengemeinde geht beim beschwerlichen Aufstieg zur Türmerwohnung voran. Gut 180 Stufen müssen hinaufgeklettert werden, teils durch enge Durchgänge, teils muss man sich erheblich ducken. Es geht vorbei an den Glocken bis man schließlich eine letzte schmale Treppe erklimmt und in einem engen Hausflur steht. Von dort gelangt man in die Küche oder in das Wohnzimmer oder auf den schmalen Balkon, der rings um den Turm herumführt.
Letzter Türmer starb 1970
"Der letzte Türmer hat bis 1970 hier gewohnt. Mit seiner Familie: Mit zwei Kindern, Ehefrau und zwei Katzen", sagt Pfarrer Beckmann. Auch seine Vorfahren waren Türmer in Neustadt gewesen. Danach hatte noch der Organist und Lehrer Ulrich Loschi die Wohnung genutzt - bis Mitte der neunziger Jahre.
Komfort gab es nicht viel, aber immerhin ein kleines Bad. Zwei Geschosse hatte die Wohnung und einen Raum darüber, der mit einer Leiter zu erreichen war. Durch diese Dachkammer zieht sich seit zwei Jahren ein Zugseil für die Sturmglocke, die im Oktober 2021 wieder auf die Spitze des Turms der Stiftskirche zurückgekehrt ist. Sie war in den 80er Jahren heruntergenommen worden, weil man sie nicht mehr zum Warnen vor Feuer brauchte. Aber seit wieder Führungen zur Türmerwohnung angeboten werden, ist sie eine Attraktion.
Viel Sanierungsarbeit in der Wohnung
2.000 Besucher kraxeln pro Jahr zur Türmerwohnung hinauf. Diese Attraktion soll erhalten bleiben und darüberhinaus noch verschönert werden. "Im Prinzip ist alles kaputt", sagt Pfarrer Beckmann. "Von den Fenstern, die marode sind, über den Verputz, der neu gemacht werden muss, aber auch das Parkett muss abgeschliffen werden."
Es sei in den vergangenen 50 Jahren nichts gemacht worden. Auch die Elektrik sei marode und die Türen müssten neu gestrichen werden. Im Wohnzimmer fällt eine einfache Stuckverzierung auf: "Die barocken Decken, da gucken wir mal, ob wir die ursprüngliche Erstfassung noch mal hinkriegen. Im Grunde genommen ist an jeder Ecke etwas zu machen." Die Gemeinde hat Kosten von knapp 110.000 Euro errechnet.
Möbel für die Türmerwohnung gesucht
Aber die Protestantische Stiftskirchengemeinde ruft nicht allein zu Geldspenden für die Türmerwohnung auf: Sie sucht auch Möbel aus den 40er und 50er Jahren, um die Wohnung im Stil der Zeit des letzten Türmers einzurichten. Es gibt Fotos, wie es ausgesehen hat. Auch sucht die Gemeinde Geschichten zum Türmer.
Für jeden Hinweis oder jede Anekdote, die Neustadter berichten können, die die Familie noch gekannt haben, sei man dankbar, so Beckmann. Er selbst weiß aus Erzählungen, dass die Türmerwohnung mehr als 150 Jahre lang kein Balkongeländer mehr hatte. Es war im 18. Jahrhundert von französischen Besatzern abmontiert worden. Erst in den 1960er Jahren wurde das einfache Sicherungsseil um den 50 Zentimeter breiten Balkonabsatz wieder durch das heutige Geländer gesichert.