Eine Bettlerin sitzt in einer Fußgängerzone - in Koblenz gibt es immer mehr aggressive Bettler. (Foto: IMAGO, IMAGO / Future Image)

Zahlen haben zugenommen

Aggressive Bettler in Koblenz: Wer steckt dahinter?

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Mike Roth
Foto von Multimediareporter Mike Roth aus dem SWR Studio Koblenz (Foto: SWR)

In Koblenz hat das aufdringliche Betteln zugenommen. Anwohner und Geschäftsleute fühlen sich von einer sogenannten "Bettlerbande" bedrängt, die aus Ungarn kommt.

Anwohner Michael Hoffmann lassen solche Situationen die Fassung verlieren: Er hat sich zu einem SWR-Interview in der Koblenzer Löhrstraße getroffen, als ihn plötzlich zwei junge Männer am Tisch eines Cafés bedrängen. "Bitte! Bitte!", flehen sie. "Hunger, Hunger". Kurz darauf kommt eine weitere Frau und bittet um Geld. Der 60-Jährige springt auf und ruft: "Ich kann auch die Polizei rufen. Das ist verboten, was sie da tun." Darauf verschwinden die Bettler.

Man muss massiv werden, damit sie einen in Ruhe lassen.

"Das war so eine typische Situation, die wir hier haben", erzählt der Pensionär. Er ist Sprecher von Anwohnern der Koblenzer Altstadt, die auf aggressives Betteln und Bettlerbanden aufmerksam machen wollen. "Die bedrängen die Leute mit einem Pappschild in der Hand und wollen Kleingeld", sagt er.

Bild zeigt Bettler der in Koblenz einen Passanten anspricht (Foto: SWR)
Ein Bettler spricht in der Koblenzer Innenstadt Passanten an.

Zahl der Bettelnden laut Stadt Koblenz angestiegen

Die Stadt Koblenz bestätigt, dass die Zahl der Bettelnden in den vergangenen Wochen "anzuziehen schien". Nun werde verstärkt kontrolliert. Der "Kontrolldruck des Ordnungsamtes" beginne Wirkung zu zeigen, heißt es von der Stadt.

Judith Piek kann das so allerdings nicht bestätigen. Sie ist Filialleiterin eines Juweliergeschäfts, vor dem sich täglich mehrere der Bettler treffen. "Ich finde das geschäftsschädigend, wenn da Bettler stehen und die Leute aggressiv angehen. Irgendetwas muss da unternommen werden."

Polizei: Bislang keine Anzeigen wegen aggressiven Bettelns in Koblenz

Sie habe bereits seit drei Jahren Probleme mit dieser Gruppe von Bettlern, sagt Piek. Es seien meist dieselben Personen. Aber seit diesem Frühling sei das Verhalten der Bettler extremer geworden, meint die Juwelierin. Ähnliches schildern auch Anwohner und Passanten in der Innenstadt. Eines der Einkaufszentren in der Innenstadt hat nach eigenen Angaben bereits seinen Security-Dienst angewiesen, stärker auf Bettler zu achten, die im Gebäude und den Läden des Zentrums Kunden ansprechen.

Die Polizei Koblenz erklärt dazu auf Nachfrage, bislang lägen "keine Erkenntnisse oder Beschwerden hinsichtlich einer Steigerung von Bettler-Verhalten vor". Zudem habe es keine Anzeigen wegen aggressiven Bettelns gegeben. Juwelierin Judith Piek hat allerdings schon mal die Polizei gerufen. "Als die Zivilbeamten kamen, waren die Bettler aber wieder weg," sagt sie aufgebracht.

Bettler sind Roma aus Ungarn

Wer sind die Bettler, die zu so viel Aufregung und widersprüchlichen Aussagen führen? Und woher kommen sie? Ortsansässige Obdachlose sowie Anwohner und Geschäftsleute beschreiben, dass die Gruppe häufig an drei unterschiedlichen Plätzen in Koblenz aus einem Fahrzeug aussteige.

"Das geht schon morgens früh los", schildert etwa eine obdachlose Frau, die selbst in Koblenz bettelt. Sie habe Angst vor der Gruppe, sagt sie. "Nicht vor den Leuten, sondern vor denen, die dahinterstecken." Ein anderer Obdachloser aus Koblenz sagt: "Das sind ganz arme Leute. Aber wer will denen helfen? Denen kann niemand helfen!"

Bild zeigt eine Bettlerin, die vor einem Geschäft in Koblenz sitzt. (Foto: SWR)
Eine Bettlerin sitzt vor einem Juweliergeschäft in der Koblenzer Innenstadt. Die Filialleitung empfindet dies als "geschäftschädigend".

Eine SWR-Recherche vor Ort ergibt, dass es sich um eine Gruppe von acht Männern und Frauen handelt, die teilweise in Hauseingängen oder auf Bänken schlafen. "Wir kommen aus Ungarn", sagen zwei junge Männer dem SWR. Sie sprechen Romanes, die Sprache der Roma, mit ungarischem Akzent.

Hintermann soll aus Frankfurt kommen

Ihr "Chef" sei Deutscher und komme aus Frankfurt, erzählen sie weiter. Er habe ihnen Arbeit in Deutschland versprochen und die Ausweispapiere abgenommen. Nun seien sie in Koblenz und schliefen auf der Straße. Wenn sie nicht arbeiteten, würden sie ihren Pass nicht wiederbekommen.

Die Bundespolizei schätzt die Aussage der Männer als glaubwürdig ein. "Solche Geschichten stimmen zum Teil und sind nicht frei erfunden", sagt Stefan Döhn von der zuständigen Inspektion in Trier. Für den vorliegenden Fall seien zwar Ordnungsamt und Polizei in Koblenz zuständig, erklärt er. "Es handelt sich in solchen Fällen aber meist um organisierten Menschenhandel", schildert der Sprecher der Bundespolizei aus der Erfahrung seiner Dienstelle.

Das ist Ausbeute von Menschen.

"Das ist Ausbeute von Menschen, das muss man ganz klar so sagen", so Döhn. Auf der anderen Seite gebe es aber auch einzelne arme Familien, die sich so selbstständig ihren Lebensunterhalt erbettelten.

In Ungarn leiden Roma unter Armut und Ausgrenzung

In Ungarn sind Roma eine Minderheit. Nach Angaben der Bundeszentrale für Politische Bildung in Bonn leben sie oft perspektivlos in großer Armut am Rande der Gesellschaft. Unter Staatschef Victor Orbán soll sich die Situation der Roma in Ungarn weiter verschlechtert haben.

Ob es sich bei der Bettler-Gruppe in Koblenz tatsächlich um Roma aus Ungarn handelt, die vor Ausgrenzung und Armut nach Koblenz geflohen sind, ist schwer nachzuprüfen. Ebenso schwer ist die Frage zu beantworten, ob die Bettler in Koblenz Opfer organisierter Kriminalität sind, oder ob sie zu einer selbstständig agierenden Roma-Familie gehören.

Die Politik darf nicht wegschauen.

Die Stadtratsfraktion der Freien Wähler in Koblenz fordert derweil mehr Kontrollen und ein stärkeres Vorgehen der Polizei Koblenz gegen die Hintermänner. Christian Altmaier, der ordnungspolitische Sprecher der Stadtratsfraktion in Koblenz, appelliert zudem an die anderen Ratsfraktionen. "Die Politik darf da nicht wegschauen".

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