Unfallflucht künftig keine Straftat mehr?

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Florian Rudolph
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Laura Koppenhöfer

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Egal, ob gefährlicher Frontalzusammenstoß oder harmloser Parkplatzrempler: Wer in Deutschland den Unfallort einfach so verlässt, ohne die nächsten Schritte geregelt zu haben, begeht eine Straftat. Die Folgen sind entsprechend happig, sofortiger Führerscheinentzug gehört zum Beispiel dazu. Bundesjustizminister Buschmann will das ändern: Sind keine Personen zu Schaden gekommen, soll Unfallflucht nach Plänen seines Ministeriums nur noch als Ordnungswidrigkeit und nicht mehr als Straftat behandelt und geahndet werden.

Befürworter freuen sich, dass Unfallflucht nach kleineren Blechschäden endlich entkriminalisiert werden soll. Gegner befürchten, die Hemmschwelle könnte dadurch sinken und Unfallflucht zunehmen.

Wer hat Recht? Die Karlsruher Verkehrsjuristin Melanie Depner wägt im Gespräch mit SWR Aktuell Moderator Florian Rudolph die Argumente beider Seiten gegeneinander ab.

SWR Aktuell: Der Justizminister Marco Buschmann sagt, er wolle den Unfallverursacher nicht länger pauschal kriminalisieren. Was ist denn aus Ihrer Sicht überhaupt das Problematische an der bestehenden Rechtsordnung?

Melanie Depner: Problematisch an der bestehenden Rechtsordnung ist aus meiner Sicht, dass die Unfallflucht soweit kriminalisiert ist, dass bereits ab einem vermuteten Schaden von 1.300 Euro die Fahrerlaubnis vorläufig entzogen wird, ohne dass ein ordnungsgemäßes Strafverfahren stattgefunden hat. Der Unfallverursacher bekommt also sofort seine Fahrerlaubnis abgenommen, darf keine Fahrzeuge mehr fahren im Straßenverkehr, ohne dass er konkret Stellung nehmen konnte: Warum er eine Unfallflucht vielleicht nicht schuldhaft begangen hat - zum Beispiel, weil er den Unfall selbst gar nicht bemerkt hat. Das würde nämlich nicht unter eine Unfallflucht fallen.

SWR Aktuell: Das könnte sich jetzt alles nach den Plänen des Justizministers ändern. Ich nehme mal an, Sie würden das begrüßen?

Depner: Ich würde es auf jeden Fall begrüßen. Was bei einer Ordnungswidrigkeit zum Beispiel nicht mehr möglich wäre, wäre diese Entziehung der Fahrerlaubnis. Das ist nur bei Straftaten möglich. Was natürlich trotzdem noch in Betracht kommen könnte, wäre ein Fahrverbot. Aber auch die Geldbußen wären voraussichtlich nicht so hoch wie bei einer Straftat

SWR Aktuell: Reden wir mal über die praktischen Folgen, die eben diese Herabstufung hätte. Meinen Sie, dass ein Hintergrund auch der ist, ein bisschen das verstopfte Rechtssystem zu entlasten? Wenn wir bedenken, wie viele, nämlich ein Viertel der in Deutschland verfolgten Straftaten, allein auf den Verkehrsbereich entfallen?

Depner: Aus meiner Sicht geht es den Betroffenen darum: Wenn es um die Fahrerlaubnis geht, dann ist es vielen sehr wichtig, sich auch zu verteidigen. Aber das wäre auch der Fall, wenn es eine Ordnungswidrigkeit wäre, die mit einem Fahrverbot geahndet wird.

SWR Aktuell: Wenn jetzt aber beispielsweise der Parkplatzrempler nur noch eine Ordnungswidrigkeit ist, müsste man dann nicht vermuten, dass die Hemmschwelle der potentiellen Verursacher sinkt?

Depner: Aus meiner Sicht macht es für den Unfallverursacher keinen Unterschied. Ich denke, der Laie differenziert nicht zwischen Ordnungswidrigkeit und Straftat.

SWR Aktuell: Nach dem Motto, so schlimm kann es ja dann nicht kommen. Dass wir dann möglicherweise mehr Fälle von Fahrerflucht haben, das sehen Sie nicht.

Depner: Das kann ich mir nicht vorstellen. Aus meiner Erfahrung sind die Unfallverursacher eher überrascht, was das für Folgen aktuell hat.

Damit rechnet eigentlich kaum jemand, insbesondere im Hinblick auf diese sofortige Entziehung der Fahrerlaubnis.

SWR Aktuell: Was würde denn diese Herabstufung zur Ordnungswidrigkeit für die Versicherer im Fall von Fahrerflucht bedeuten?

Depner: Grundsätzlich ist es aktuell so, wenn jemand wegen einer Unfallflucht rechtskräftig verurteilt wird, dass dann die Haftpflichtversicherung Regress nehmen kann. Ich denke aber, auch wenn das als Ordnungswidrigkeit geahndet würde, dann würden die Haftpflichtversicherung ihre Bedingungen entsprechend ändern und auch diese Ordnungswidrigkeit mit aufnehmen als Möglichkeit, Regress zu nehmen beim Verursacher.

SWR Aktuell: Der Justizminister schlägt auch vor, als künftiges Verfahren bei Bagatellschäden: Es wird ein Portal eingerichtet, auf das dann die Beteiligten die Bilder von Kratzern und Beulen ihrer Autos und natürlich ihre Daten hochladen können. Da muss dann nicht mehr extra die Polizei auftauchen. Halten Sie das für eine vernünftige Lösung? Oder führt das vielleicht zu weiteren Rechtsunsicherheiten?

Depner: Ich kann mir vorstellen, dass das zu Rechtsunsicherheiten führt. Vielleicht nach Abklärung mit der Polizei, dass die dann auf dieses Portal verweist, das kann ich mir vorstellen. Aber aktuell ist es schon so, dass bei Schäden bis 300 Euro diese Verfahren wegen Ordnungswidrigkeiten eigentlich eingestellt werden, das hat dann zumindest strafrechtlich keine weitergehenden Folgen. Aber das kann der Schädiger sehr schwer selbst einschätzen, wie hoch da die Schäden sind, insbesondere wenn zum Beispiel Verkehrszeichen beschädigt werden.

SWR Aktuell: Welche Chancen geben Sie denn den Plan des Justizministers, meinen Sie, das hat Aussicht, umgesetzt zu werden?

Depner: Auf jeden Fall. Gerade im Hinblick auf diese sehr weitgehende Entziehung der Fahrerlaubnis. Da denke ich, ist schon sehr dringend notwendig, dass man da was ändert. Deswegen kann ich mir vorstellen, dass es auch kurzfristig umgesetzt werden wird.

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