Lehren aus Corona: EU will krisenfester werden

Stand
AUTOR/IN
Andreas Herrler

Die Corona-Pandemie gilt zwar offiziell als beendet - mit ihren Folgen haben wir es aber bis heute zu tun. Wie lassen sich die Folgen von großen Krisen abmildern? In der Europäischen Union gibt es dazu ein Programm, das mit einem komplizierten Begriff umschrieben ist: „Aufbau- und Resilienzfaszilität“. Die EU hat das Programm während der Pandemie gestartet - und es läuft noch bis Ende 2026. Heute wollen die EU-Finanzminister in Luxemburg darüber sprechen, wie das Programm denn vorankommt. Was es mit diesem Instrument auf sich hat, erklärt Peter Becker von der Forschungsgruppe EU und Europa bei der Stiftung Wissenschaft und Politik SWP im Gespräch mit SWR-Aktuell-Moderator Andreas Herrler.

Audio herunterladen (3,6 MB | MP3)

SWR Aktuell: Es geht in diesem Programm darum, die Europäische Union „auf künftige Herausforderungen und Chancen vorzubereiten“. Das klingt erst mal ein bisschen abstrakt. Wie muss man sich das vorstellen?

Peter Becker: Vielleicht fangen wir damit an, nochmal auf den Hintergrund hinzuweisen, wann dieses Programm, wann diese Fazilität verabschiedet wurde. Das war zu Zeiten der Pandemie im Frühjahr / Sommer 2020. Damals waren der Druck und die Erwartungen an die Europäische Union doch sehr hoch, dass die Europäer sich gegenseitig helfen, Solidarität zeigen, und dass man diese immensen sozialen und ökonomischen Einbrüche durch die Pandemie-Krise mit europäischer Hilfe auffangen sollte und wollte. Und deswegen hat man dieses viele Geld, 750 Milliarden Euro insgesamt, in die Hand genommen und eine große Faszilität, ein großes Programm aufgelegt, um den Staaten zu helfen, die insbesondere von der Pandemie betroffen wurden, die an den Folgen zu leiden hatten. Das hat man verabschiedet:  Eine einmalige Hilfe, die befristet, die zweckgebunden sein soll, zweckgebunden auf vor allen Dingen auf die Ziele Digitalisierung und auf die Dekarbonisierung der europäischen Wirtschaft. Wenn Sie so wollen, einen Konjunkturimpuls, um aus dieser tiefen Krise der Pandemie herauszufinden. Und das war der Hintergrund dieses umfassenden Programmes.

SWR Aktuell: 750 Milliarden Euro, das ist schon ganz schön viel Impuls. So eine Riesensumme birgt immer die Gefahr, dass man dann nachher nach dem Gießkannenprinzip das Geld verteilt. Das Programm läuft noch ein bisschen, wir können noch keine Schlussbilanz ziehen. Aber ist es bisher gelungen, dieses Geld wirklich so einzusetzen, dass da konkret etwas gefördert wird?

Becker: Ich hatte die zwei Schwerpunkte eben genannt: Digitalisierung, Dekarbonisierung als Zielvorgaben. Und mit diesem Programm sollen eben nicht nur Infrastrukturinvestitionen finanziert werden, sondern eben auch Reformen. Darauf haben die Mitgliedstaaten der Europäischen Union bestanden, die mehr einzahlen, als sie aus diesem Programm herausbekommen. Das sind die reichen, wohlhabenden Staaten vor allen Dingen aus Nordwesteuropa: Die Niederländer, die Deutschen. Vor allem Strukturreformen sollen gefördert werden und werden auch gefördert: Zum Beispiel die Digitalisierung der italienischen Justizverwaltung, um die Justizverfahren in Italien schneller zu machen. Denn das ist ein Hemmnis für Investitionen in Italien, wenn bei Streitfällen die Gerichtsverfahren sieben, acht Jahre dauern, bevor ein Unternehmen Geld bekommt, weil der Schuldner, weil der Kunde nicht bezahlen will. Bei Infrastrukturprojekten, bei diesen ganzen Investitionen, ist das sehr viel einfacher. Und auch da ist die Bewertung schwer, ob die Wirkungsweise wirklich nachhaltig ist. Das Ganze ist im Frühsommer 2020 sehr schnell auf die Tagesordnung gekommen und sehr schnell verabschiedet worden. Und diese Pläne, die die Mitgliedstaaten vorlegen mussten, was sie mit diesem Geld eigentlich anfangen wollen, wofür sie das viele Geld ausgeben wollen, die mussten sehr schnell bei der Kommission in Brüssel eingereicht werden. Das heißt, das sind viele Projekte, die man ohnehin vorhatte. Insofern ist die Frage: Dient das viele Geld, das aus Europa kommt, nicht nur dazu, Dinge zu finanzieren, die man ohnehin machen wollte? Oder sind das wirklich neue Investitionen, neue Reformen, die man angehen will? Aber das kann man derzeit sehr schlecht bewerten, das muss man erst im Rückblick sehen. Das ist wahrscheinlich auch erst nach vielen Jahren klar, ob das Geld wirklich nachhaltig und sinnvoll angelegt wird.  

Stand
AUTOR/IN
Andreas Herrler