Kommunen in Geldnot: Wie könnte eine Lösung aussehen?

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Jontahan Hadem

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Einen politischen Wutausbruch und gleichzeitig einen Hilferuf gab es in der südpfälzischen Gemeinde Freisbach. Bürgermeister und Gemeinderat sind zurückgetreten, aus Protest dagegen, dass das Land Rheinland-Pfalz zu wenig Geld gebe und gleichzeitig einen ausgeglichenen Gemeindehaushalt fordere. Freisbach argumentiert, die Kosten für Pflichtaufgaben seien so hoch, dass es ohne neue Schulden gar nicht gehe. Mit diesem Dilemma müssen viele Kommunen in Deutschland klarkommen. Wie eine Lösung aussehen könnte, erklärt Norbert Kersting, Professor für Kommunal- und Regionalpolitik an der Uni Münster, im Gespräch mit SWR-Aktuell-Moderator Jonathan Hadem.

SWR Aktuell: Warum pfeifen so viele Städte und Gemeinden in Deutschland finanziell auf dem letzten Loch?

Kersting: Wir hatten diese Finanzkrise schon in den letzten Jahrzehnten häufiger, Das ist so ein bisschen in den Hintergrund getreten dadurch, dass die Zinsen sehr niedrig waren in den letzten Jahren. In der Zeit war es deutlich einfacher, Kredite zu bekommen, und die Zinslast war nicht so hoch. Und jetzt sieht man auf der einen Seite durch die Inflation sehr stark steigende Preise, und auf der anderen Seite werden einige dieser Zinsen und der Kredite fällig. Und dann kommen neue Kredite hinzu. Wir alle wissen, dass die Zinsen zurzeit steigen.

"Kommunen setzen fast über 80 Prozent aller staatlichen Aufgaben um, dafür muss Geld bereitgestellt werden."

SWR Aktuell: Das hat aber ja auch etwas damit zu tun, dass die Kommunen viele kostspielige Aufgaben übernehmen, über die auf Bundes- und Landesebene entschieden wird, oder?

Kersting:  Das ist richtig. Es wird schon lange darüber gesprochen, wie man dieses Problem besser lösen kann. Man redet davon Konnexität: Wenn zum Beispiel der Bund Gesetze beschließt, zum Beispiel Kindergartenplätze, Kitas et cetera, dann müssen die Kommunen das umsetzen. Sie setzen fast über 80 Prozent aller staatlichen Aufgaben um, und dafür muss das notwendige Geld auch bereitgestellt werden.

SWR Aktuell: Wenn man davon ausgeht, dass der, der bestellt auch bezahlt, wäre es Aufgabe des Bund beziehungsweise der Länder, die Kommunen mit genügend Geld auszustatten. Richtig?

Kersting: Das ist richtig. Genau so ist es auch gedacht. Aber es ist nicht ganz so einfach im föderalen System. Auf der einen Seite haben die Kommunen ihre eigenen Steuern, wie zum Beispiel die Grundsteuer oder die Gewerbesteuer. Sie bekommen zum anderen auch Zuweisungen. Sie haben natürlich auch die Möglichkeit, über Gebühren, in Schwimmbädern, mit Eintrittsgeldern et cetera Geld zu einzunehmen. Aber das reicht gerade in dieser Situation zurzeit nicht aus, und wir kommen wieder in eine Verschuldungsspirale hinein, die vielleicht auch ein bisschen prognostizierbar war.

"Man muss einen vernünftigen Schuldenschnitt machen!"

SWR Aktuell: Das heißt die einzige Lösung ist im Moment, dass Bund und Länder Geld zuschießen. Oder gibt es tatsächlich auch für die Kommunen andere Möglichkeiten, noch Geld zu verdienen?

Kersting: Es gibt hier eine Möglichkeit, die wird zurzeit auch von ganz vielen Gemeinden deutschlandweit eingesetzt, dass man die Grundsteuer erhöht. Gerade wird es ja die Grundsteuer neu berechnet. Da ist man ohnehin in einem Bereich, wo nicht so richtig klar ist, wie viel letztendlich für die Kommune übrig bleibt. Auf der anderen Seite geht man aber davon aus, dass das nicht ausreichend wird. Wir haben schon lange das Problem, dass Altschulden sich angehäuft haben. Und da ist eigentlich die Zeit reif, schon lange, für einen Schuldenschnitt. Nur ist das nicht ganz so einfach. Man will es nicht den Kommunen zu leicht machen, die sich sehr stark verschuldet haben und darauf die ganze Zeit spekuliert haben. So muss man aber trotzdem, glaube ich, eine Lösung finden - und da einen vernünftigen Schnitt machen. Gerade jetzt in einer Situation, wo die Kosten explodieren.

SWR Aktuell: Wie könnte der aussehen?

Kersting: Der könnte so aussehen, dass auf der einen Seite man natürlich einfordert, dass wie in vielen Bundesländern – Bayern und Sachsen sind übrigens ganz gute Beispiele dafür- die Leitplanken für die weitere Verschuldung stärker definiert werden. Das versucht man zurzeit gerade etwas in Rheinland-Pfalz, quasi die Daumenschrauben auch etwas anzuziehen, dass nicht in vielen Bereichen neu investiert werden kann, die vielleicht nicht produktiv sind und neue Einnahmen generieren. Und gleichzeitig muss man aber, glaube ich, einen größeren Etat auch reservieren, um dann Altschulden und auch die neuen anfallenden Schulden zu dämpfen. Da ist die Frage: Wie stark wird das sein? Wie groß wird das sein? Und wie werden Bund und Länder sich da beteiligen?

SWR Aktuell: Wenn dieses Zusammenspiel zwischen Kommunen, Bund und Ländern jetzt gar nicht mehr funktionieren sollte, kann denn eine Kommune letzten Endes auch pleitegehen?

Kersting: Wir haben in Deutschland die „Bündnistreue“. Letztendlich sind die Kommunen Teile der Länder. Und von daher profitieren sie auch davon, dass sie die günstigen Kredite erhalten, weil der Bund und das Land die hohe Bonität haben und dann günstige Kredite bekommen können. In anderen Ländern, wie zum Beispiel in der Schweiz oder den USA, hat es solche Fälle gegeben. Und auch hier reden einige Experten davon, dass es durchaus diese Bündnistreue doch vielleicht doch nicht immer geben wird. Ich gehe aber davon aus, dass da im letzten Moment dann immer wieder Bund und Länder einspringen werden.

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