„Groteske Idee“: Fußball-WM auf drei Kontinenten in der Kritik

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AUTOR/IN
Andreas Böhnisch
ONLINEFASSUNG
Stefan Eich

Die FIFA will die Spiele der Fußball-WM 2030 auf drei Kontinente und auf sechs Länder verteilen, von Südamerika über Nordafrika nach Spanien und Portugal. Das hat der Weltfußballverband am Mittwoch bekanntgegeben. Philipp Köster, Chefredakteur des Fußballmagazins "11Freunde", hält den Plan für "grotesk". Warum, das erklärt er im Gespräch mit SWR-Aktuell-Moderator Andreas Böhnisch.

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SWR Aktuell: Sechs Länder, drei Kontinente für die Weltmeisterschaft 2030- was halten Sie denn davon?

Philipp Köster: Man ist einfach nur noch überrascht, was sich die FIFA alles einfallen lässt, um sich noch mehr Marketingpotenzial, um noch mehr Gelder, um noch mehr Aufmerksamkeit reinzuholen. Das ist eine groteske Idee, ein Turnier, das ja eigentlich davon lebt, dass die ganze Welt zu Gast in einem Land ist, auf sechs unterschiedlichen Länder auf unterschiedlichen Kontinenten zu verteilen. Also: Eine groteske Idee, und sie zeigt einfach nur, wie sehr sich die FIFA inzwischen von dem, was die Bedürfnisse der Anhänger sind, entfernt hat.

SWR Aktuell: Also...um Fußball geht es da erst in zweiter Linie?

Köster: Ja. Es geht nur um die Ausschöpfung von Potenzialen. Man hat sich die Weltkarte mal angeschaut und geguckt, wo man möglicherweise noch ein paar mehr Anhänger erreichen kann. Es geht um Fernsehrechte. Es geht darum, dass man möglichst viele Interessen befriedigt auf ganz unterschiedlichen Kontinenten. Dass dabei die Idee dieser Weltmeisterschaft unter die Räder kommt, ist völlig egal.

SWR Aktuell: Die drei südamerikanischen Staaten Uruguay, Argentinien und Paraguay wollten ja diese Fußball-WM 2030 einig gemeinsam austragen. Auch weil in Uruguay vor hundert Jahren dann, 1930, die erste Weltmeisterschaft stattfand, die FIFA dagegen favorisierte Marokko, Spanien und Portugal. Herausgekommen ist jetzt: Erst Südamerika, dann Nordafrika und Europa. Und FIFA-Präsident Gianni Infantino sagt, damit würden Fußball und die FIFA „eine geteilte Welt vereinen“. Da muss ich jetzt mal kurz stutzen, das ist doch nicht glaubwürdig. Oder?

Köster: Nein, das ist nicht glaubwürdig. Und es reiht sich natürlich ein in das PR-Geblubber, das Gianni Infantino in den letzten Jahren immer wieder von sich gegeben hat. Wir haben ja solche Phrasen auch schon gehört bei der WM in Katar. Klar ist, dass es hier darum ging, natürlich einen kleinen Ausgleich zu finden für Argentinien, Paraguay und Uruguay. Dass die sich mit ein paar Spielen haben abspeisen lassen, spricht schon Bände, und man muss natürlich auch ein bisschen noch den Blick weiter in die Zukunft richten: Es geht natürlich auch darum, für das Jahr 2034, vier Jahre später, eben dann nicht noch Argentinien und Paraguay und Uruguay noch als aussichtsreiche Kandidaten zu haben, sondern dann möglicherweise auch noch den Weg freizumachen für eine größere Schurkerei: Nämlich, die WM 20334 nach Saudi-Arabien zu vergeben.

SWR Aktuell: Die Fans haben sie eben schon angesprochen, nämlich als sie gesagt haben, dass die Idee von so einer Fußball-Weltmeisterschaft eigentlich ist, dass die ganze Welt zu Gast in einem Land ist, und dass man dort dann kräftig feiert. Kann eine solche WM in sechs Ländern auf drei Kontinenten überhaupt ein Fußballfest werden?

Köster: Nein, kann sie natürlich nicht, weil diese Spannung und dieses Entertainment, diese Unterhaltung und diese Faszination natürlich dadurch entsteht, dass die ganze Welt auch diesen kulturellen Austausch mit dieser einen Nation, mit diesem einen Land macht. Wir haben es in Deutschland gesehen, wir haben das 1970 in Mexiko gesehen, 1982 in Spanien, was dabei entstehen kann. Klar ist, dass unendlich viele Anhänger einfach angewidert sind davon, dass man diese Idee der Weltmeisterschaft kaputtmacht. Wer in die Fanforen geguckt hat, wer auch mal bei den Kollegen von anderen Fußballmagazinen geguckt hat - die schütteln alle nur den Kopf und sagen: Was haben die sich denn jetzt schon wieder einfallen lassen? Klar ist: So geht die Idee kaputt. So wird man möglicherweise noch mehr Geld herauspressen - aber der Idee tut es nicht gut.

SWR Aktuell: Und eigentlich müsste auch die Politik jetzt aufschreien und sagen das geht überhaupt nicht. Denn das setzt völlig falsche Signale in einer Zeit, wo wir über Klimawandel und Klimaschutz reden, dass der ganze Tross um die halbe Welt fliegt. Rechnen Sie denn noch mit Reaktionen aus der Politik, von den für Sport zuständigen Ministerinnen und Ministern?

Köster: Es wäre ja sehr schön, wenn insbesondere die europäische Politik mal aus der Hüfte käme und da eine klare Position beziehen würde. Da drückt man sich ja seit vielen Jahren drumherum, weil man sich mit dem mächtigen Fußball nicht anlegen will. Klar ist aber auch, dass Nachhaltigkeitsziele gerade mit so einer Konstruktion über drei Kontinente hinweg ohnehin nur noch Schall und Rauch sind. Klar ist aber auch, dass die Politik eigentlich ohnehin mal diesen komplett entfesselten Manchester-Kapitalismus, den man da im Fußball lebt, ständig regulieren müsste. Stattdessen schaut man weg und beruft sich darauf, dass man eigentlich gar nicht zuständig ist. Das kann eigentlich nicht so weitergehen. Eigentlich muss die Politik mal handeln.

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