„Eine Einladung zurück ins richtige Leben“ – Wie „Digitalfasten“ uns verändern könnte

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AUTOR/IN
Vanja Weingart

Die Fastenzeit hat begonnen, und viele Menschen verzichten auf Alkohol, Fleisch oder fettes Essen und Süßigkeiten. Manche betreiben auch „Digitalfasten“: Sie nutzen Smartphone, Tablet oder Computer, weniger als üblich. Auf neudeutsch heißt das auch „Digital Detox“. Was das bedeutet, und wie man es am besten umsetzt und durchhält, erklärt Autorin Daniela Otto im Gespräch mit SWR-Aktuell-Moderatorin Vanja Weingart.

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SWR Aktuell: Bevor wir zum Digital Detox selbst kommen, welche Gefahren oder Schäden kann übermäßige Nutzung digitaler Medien mit sich bringen?

Daniela Otto: Smartphones verändern das Gehirn, und die Folgeschäden sind extrem. Wir verlieren zum Beispiel in unsere Konzentrationsfähigkeit. Wir verlieren auch unsere Empathiefähigkeit, und viele Menschen leiden unter depressiver Verstimmung - vor allem ausgelöst durch Social Media.

SWR Aktuell: Wie geht man die Entgiftung am besten an - sofort alles wegschließen, oder eher nach und nach?

Otto:  Kleine Schritte,machen schon einen enormen Unterschied. Ich empfehle immer kleine Offline-Rituale über den Tag verteilt - zum Beispiel die Mittagspause ohne Smartphone. Das kann jeder schaffen. Das ist heilsam und im Gegensatz zu einem Komplettverzicht auch nicht frustrierend. Von hundert auf null ist schon überfordernd für viele. Man darf nicht vergessen: Auf einmal hat man Zeit. Sie verbringen im Moment alleine am Smartphone täglich 3,7 Stunden. Das ist jede Menge – und da wissen erstmal viele Leute gar nicht mehr so viel mit sich anzufangen.

SWR Aktuell: Gibt es denn Sachen beim Digitalfasten, die wegzulassen wichtiger ist? Oder würden sie alle digitalen Produkte, alle digitalen Geräte da gleich bewerten?

Otto: Sicherlich ist es hilfreich, wenn man seinen Social-Media-Konsum einschränkt, also ein „Social-Media-Detox“. Denn Social Media aktiviert in unserem Gehirn das Belohnungssystem - und das ist wirklich viel, denn das macht süchtig. Und viele Menschen verbringen bis zu fünf Stunden täglich auf TikTok. Das ist ein Zeitfresser und auch ein „Glücksfresser“. Es gibt die sogenannte Facebook-Depression, dass man nachweislich unglücklich ist, wenn man sich auf Social Media ständig mit anderen vergleicht. Insofern würde ich da als Erstes ansetzen.

SWR Aktuell: Vor allem, wenn wir auf jüngere Menschen gucken, auf Schüler, auf Jugendliche, die doch sehr viel Zeit am Smartphone verbringen - wie können die dann diese Zeit füllen?

Otto: Erstmal geht es wieder darum, sich mit sich selbst beschäftigen. Ich sage immer: Digital Detox ist gut für die Seele, denn diese kleinen Impulse, die die Seele uns geben möchte, die hören wir schon gar nicht mehr bei diesem ganzen digitalen Lärm. Es ist eine wunderschöne Reise zurück ins echte Leben, zurück zu sich selber und zurück zu den Menschen, die wir lieben, für die wir dann endlich wieder mehr Zeit haben.

SWR Aktuell: Viele können ja auch gar nicht so einen kompletten Digital Detox machen, weil sie eben arbeiten müssen. Dann müssen sie auch beruflich an Smartphone ans Tablett, ans Laptop. Wie kann man da vorgehen?

Otto: Bei der Arbeit geht es ja vor allem um Effizienz. Und wie arbeite ich wieder effizient? Indem ich ungestört arbeite! Und diese Ungestörtheit erreiche ich ideal durch sogenanntes „digitales Intervallfasten“. Dabei bleibe ich einen kurzen Zeitraum, zum Beispiel eine halbe Stunde, gezielt online, bin erreichbar, schicke meine Mails et cetera, gehe danach aber für einen längeren Zeitraum bewusst offline, mindestens eine Stunde. Dann schafft es mein Gehirn, endlich wieder fokussiert zu bleiben. Und ich arbeite die Dinge auch gut ab. Man kann sich zum Beispiel in den Kalender so definierte  „Flow-Zeiten“ einbauen. Das heißt, die Kollegen sehen, dass da ein fixer Termin ist, an dem man ungestört ist und zu dem man eben nicht erreichbar ist.

SWR Aktuell: Weiß man, wie sich Digital Detox auf die Menschen auswirkt?

Otto: Digital Detox ist einer der wichtigsten Schlüssel zur mentalen Gesundheit, und die Effekte sind ausschließlich positiv, angefangen beim besseren Schlaf, dann verbessert sich die Aufmerksamkeitsfähigkeit - und ganz wichtig: Unsere zwischenmenschlichen Beziehungen verbessern sich wieder.

SWR Aktuell: Es ist doch ein langer Zeitraum bis Ostern. Wie kann man diese 40 Tage Digitalfasten denn durchhalten?

Otto: Da sage ich wieder. Die kleinen Schritte sind enorm hilfreich. Schon ein analoger Wecker kann das Leben verändern, denn dann gehöre ich nicht zu den neun von zehn Menschen, die ihren Tag mit dem Smartphone beginnen - und dann natürlich mit dem ganzen Stress dieser Welt. Das heißt, man kann sich dafür peu à peu steigern und wird sehr schnell diese heilsamen Effekte spüren. Und das ist das Schöne: Digital Detox läuft auch über Erfahrung, und es ist eine „Einladung zurück ins echte Leben“. Und man wird wieder viel präsenter. Wir dürfen ja nicht vergessen:  Viele von uns sitzen inzwischen bis zu 70 Stunden die Woche vor Bildschirmen, und jeder von uns sollte sich die Frage stellen, ob man wirklich auf der Welt ist, um sein Leben am Handy zu verbringen - oder ob es da nicht mehr gibt. Und dieses Mehr, dieses Schöne am Leben, das schenkt uns Digital Detox zurück.

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Vanja Weingart