Bundesweiter Protest der Haus- und Fachärzte: Was fordern sie von der Politik?

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Andreas Böhnisch

Viele Hausarzt- und Facharztpraxen in Deutschland bleiben heute geschlossen- wegen eines Protesttags im Gesundheitswesen. Der Virchowbund, die Vereinigung der niedergelassenen Ärzte, kritisiert unter anderem den Kostendruck durch Inflation, steigende Mieten und Energiepreise - und außerdem den Fachkräftemangel und die mangelnde Digitalisierung im Gesundheitsbereich. Vor allem sind die Ärztevertreter verärgert über Bundesgesundheitsminister Lauterbach. Warum, das erklärt
Norbert Smetak, der Vorsitzende des Ärzteverbands MEDI Baden-Württemberg, im Gespräch mit SWR-Aktuell-Moderator Andreas Böhnisch.

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SWR Aktuell: Was werfen Sie Bundesgesundheitsminister Lauterbach vor?

Norbert Smetak: Er missachtet die Belange der niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen und Psychotherapeuten. Er hat einen Blick mit der „Krankenhaus-Brille“, er hört auch nicht auf die Basis. Er hat eine Expertenkommission, die nur aus Universitätsprofessoren besteht, aber nicht die Basis mit einbindet.

SWR Aktuell: Dann spitzen wir das noch ein bisschen zu: Aus Sicht der Patienten stellt sich die Misere im Gesundheitssystem so dar, dass es häufig mehrere Monate dauert, bis man überhaupt einen Termin beim Facharzt bekommt. Ist daran auch ausschließlich der Bundesgesundheitsminister schuld?

Smetak: Nein, da sind sicherlich auch Versäumnisse aus der Vergangenheit mit schuld: Zu wenige Studienplätze, zu wenige Kolleginnen und Kollegen, die Niederlassung wollen - eben weil eben die Bedingungen in den Niederlassungen nicht so sind, wie sie sein sollten, sowohl was die Arbeitsbedingungen, aber auch die Vergütung betrifft. Das bringt die Kolleginnen und Kollegen dazu, nicht in diesen Bereich zu gehen, sondern in Angestelltenverhältnissen zu bleiben.

SWR Aktuell: Schauen wir auf eine Ihrer Forderungen, was die Vergütung anbelangt, nämlich die Wiedereinführung der Neupatienten-Regelung, die Ende vergangenen Jahres abgeschafft wurde. Fachärzte wurden damit von den Krankenkassen höher vergütet, wenn sie neue Patienten aufgenommen haben. Heißt das also mehr Geld gleich mehr Termine gleich kürzere Wartezeiten?

Smetak: Partiell. Man muss wissen, dass wir budgetiert sind im System. Das heißt, dass diese Leistungen ab einem gewissen Umfang nicht mehr vergütet werden, das heißt das eben unter dieser Prämisse neuer Termine bei Neupatientenregelung eine Möglichkeit geschaffen wurde, einen Anreiz zu schaffen, dieser Budgetierung zu entrinnen und damit auch wirtschaftlich zu arbeiten – um auch mehr Personal einzustellen und eben dieses Ganze zu kompensieren. Deswegen war die Neupatientenregelung der Schritt in die richtige Richtung einer gewissen Steuerung des Systems.

SWR Aktuell: Neue Patienten beim Facharzt aufzunehmen, das funktioniert dann nur übers Geld? Andere Motivation haben die Fachärzte nicht?

Smetak: Nein, das springt natürlich wiederum zu kurz. Wir gehen ja über das Budget hinaus, zu 20 Prozent. Da werden unsere Leistungen zum Teil nicht vergütet. Das heißt, wir machen das ja schon. Aber man könnte natürlich mehr Anreize schaffen, und man würde dem System mehr Geld zur Verfügung stellen, auch Personal einstellen. Das Ganze muss auch finanziert sein, mehr Patienten zu versorgen. Das müsste eben in diese Richtung gehen, hier diese finanziellen Mittel über so eine Anreizsituation darzustellen.

SWR Aktuell: Seit Anfang des Jahres sollen nun die Hausärzte für die Patienten einen Termin beim Facharzt vermitteln. Außerdem gibt es sogenannte Terminservicestellen. Auch das stößt nicht gerade auf viel Gegenliebe bei den Fachärzten. Was kritisieren Sie daran?

Smetak: Auch das springt zu kurz, weil der Bürokratieaufwand hoch ist mit -zig „Rückkopplungsdingen“. Daher wäre die Neupatientenregelung der einfachere Weg gewesen. Und ein System der Endbudgetierung bei der Neupatientenregelung ist eine Form, der Endbudgetierung – eben, um diese Situation in die richtige Richtung zu lenken.

SWR Aktuell: Sie haben es eben schon angedeutet, eine Lösung wäre natürlich, zusätzliche Medizinstudienplätze einzurichten, von 5.000 pro Jahr ist da die Rede. Aber bis die jungen Frauen und Männer dann fertig sind und auch die Facharztausbildung absolviert haben, dauert es mehr als zehn Jahre. Das ist dann aber auch nur eine Langzeitaufnahme gegen den Ärztemangel….

Smetak: Korrekt. Allerdings könnte man über die Krankenhausreform Personal aus Kliniken freisetzen. Wir haben, wie wir wissen, zu viele stationäre Einrichtungen. Das würde schon eine Entlastung bringen, sowohl im Arztbereich als auch in Assistenzpersonalbereich. Also hier der Ansatz: Krankenhausreform einerseits, langfristig mehr Studienplätze andererseits.  

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