Extremisten aus der rechtsextremen Szene wollen nach Erkenntnissen des baden-württembergischen Verfassungsschutzes Proteste wegen der Folgen des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine instrumentalisieren oder sogar initiieren. Das wird auch Thema sein, wenn das Generallandesarchiv Karlsruhe an diesem Freitag bei einer Tagung erörtert, wie es um Rechtsextremismus in Baden-Württemberg bestellt ist. Bei dem Archiv ist die Dokumentationsstelle Rechtsextremismus des Landes angesiedelt.
Energiekrise und Corona-Politik schaffen Protestklima
Die Zahl politischer Versammlungen könnte in den kommenden Wochen angesichts steigender Energiepreise, aber auch weiterer mittelbarer Auswirkungen des Krieges zunehmen, teilte das Landesamt für Verfassungsschutz in Stuttgart mit. Auch Extremisten könnten daran beteiligt sein. "Dazu kann auch eine mögliche wiederkehrende Verschärfung der pandemischen Lage beitragen." In Ostdeutschland hatten am Montag wie bereits am Tag der Deutschen Einheit Tausende gegen die Energie- und Ukraine-Politik der Bundesregierung demonstriert.
Wie widerständig ist Baden-Württemberg? Welche historischen Linien gibt es? SWR2-Wissen vom 24.4.2022:
Demokratieverächter und Rechtsextremisten kapern Demos
Die Fachleute beim Landesamt für Verfassungsschutz sprechen von den Phänomenbereichen "Rechtsextremismus" und "Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates". Mit letzterem sind zum Beispiel die "Querdenker" gemeint, die vordergründig gegen die Corona-Politik protestierten, dabei aber sowohl Wissenschaft als auch Demokratie und Medien verächtlich machen. Extremistinnen und Extremisten aus diesem Spektrum versuchen den Angaben zufolge immer wieder, Sorgen und Ängste in der Gesellschaft aufzugreifen und so den gesellschaftlichen Diskurs zu beeinflussen, extremistische Botschaften zu verbreiten und letztlich neue Anhängerinnen und Anhänger zu gewinnen.
Vor allem im Osten Deutschlands schwindet das Vertrauen in die Politik, den Staat und die Demokratie. Warum? Eine Analyse zum Tag der Deutschen Einheit von Uwe Jahn aus dem ARD-Hauptstadtstudio.
Der Soziologe Steffen Mau von der Berliner Humboldt-Universität sagte im Deutschlandfunk, die Zufriedenheit der Menschen nehme zwar in West- und Ostdeutschland gleichermaßen ab, "aber im Osten ist das intensiver", so Mau. "Und es gibt eine spezifische Protestkultur, die sich über Jahre entwickelt hat, und einen organisatorischen Kern, der sowas relativ schnell auf die Beine stellen kann". Bei Protesten wie der Demonstration am 8. Oktober in Berlin auf Initiative der AfD sei deutlich erkennbar, dass rechte Akteure versuchen, "sich an die Speerspitze dieser Aktivitäten zu stellen und diese Arten von Unzufriedenheit einzusammeln und zu kanalisieren." Auch werde "Ostdeutschland" von diesen rechten Akteuren als politische Chiffre genutzt, um aus dem Ärger und den Ängsten der Menschen Kapital zu schlagen.

Verfassungsschutz: "Querdenken" konnte Ukraine-Krieg noch nicht besetzen
Vor der Einflussnahme demokratiefeindlicher und rechtsextremer Gruppen, wie sie aktuell bei Protesten in Ostdeutschland zu beobachten ist, warnt auch der Verfassungsschutz Baden-Württemberg regelmäßig. Die "Querdenken"-Bewegung habe derzeit allerdings noch keine steuernde Rolle beim Protestgeschehen, wie die Behörde weiter mitteilte. "Dies könnte sich jedoch wieder ändern, sollten die 'Querdenken'-Initiativen in der Lage sein, über das Thema Corona hinaus auch andere Themen prominent zu besetzen." In Bezug auf den Krieg in der Ukraine ist dies nach Einschätzung des hiesigen Verfassungsschutzes bislang nicht gelungen.
Innenminister stellt Bericht vor Verfassungsschutz in BW besorgt über Verschwörungstheorien von "Querdenkern"
Die Vorstellung des neuen Verfassungsschutzberichts am Donnerstag wurde bestimmt von der Beobachtung der AfD in Baden-Württemberg. Die "Querdenken"-Bewegung bleibt aber ein zentrales Thema.
Allerdings sprechen die jüngsten Solidaritätsdemonstrationen für den in Untersuchungshaft sitzenden "Querdenken"-Gründer Michael Ballweg vor dem Gefängnis in Stuttgart-Stammheim aus Sicht der Experten für eine weiterhin vorhandene Mobilisierungsfähigkeit. Wie bei den sogenannten Spaziergängen im Winter 2021/22 zu beobachten gewesen sei, sei außerdem auch eine dezentrale Organisation etwaiger Proteste denkbar.