Donauschwäbisches Zentralmuseum in Ulm erinnert an Schicksale

"Stalins Sklaven": Was verschleppte Donauschwaben in sowjetischen Lagern erlebt haben

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Autor/in
Anita Schlesak
Anita Schlesak

Im Januar 1945 werden rund 90.000 Donauschwäbinnen und -schwaben zur Zwangsarbeit in die Sowjetunion verschleppt. Das DZM Ulm zeigt eine Ausstellung mit beispielhaften Biografien.

Rund 90.000 junge donauschwäbische Frauen und Männer werden im Winter 1944/45 in die Sowjetunion deportiert, als menschliche Reparationszahlung für die Schäden des Zweiten Weltkriegs. Viele von "Stalins Sklaven" - wie sie auch genannt werden - kommen unter den grausamen Lebensbedingungen in Bergwerken oder beim Straßenbau zum Beispiel im Donezbecken der heutigen Ukraine, in Sibirien oder im Ural ums Leben. 80 Jahre danach erinnert das Donauschwäbische Zentralmuseum (DZM) in Ulm daran.

In den Lagern in Sibirien herrschen bis zu minus 40 Grad

Die Ausstellung "Verschleppt" zeigt rare Erinnerungsstücke der Deportierten, einige stechen gleich ins Auge: ein Holzkoffer, ein in Ehren gehaltenes Marienbild, verziert mit einem Rahmen aus mühsam wie kunstvoll geflochtenem Draht oder eine Fellmütze mit Ohrenklappen. In den Zwangsarbeiterlagern in Sibirien etwa waren minus 40 Grad keine Seltenheit.

Das zentrale Museum der Donauschwaben in Ulm zeigt in einer Vitrine einen roten Topf als Essgeschirr aus der Deportation gedenkt an 80 Jahre Deportation in die Sowjetunion
Dieser Topf dokumentiert in der Ulmer Ausstellung im DZM das Elend in der Deportation. In diesem überlebenswichtigen Utensil bekamen die Verschleppten zwei Mal am Tag ihre karge Ration - oft nur Kohlsuppe und hartes Brot.

Ein scheinbar banales, aber überlebenswichtiges Objekt erzählt vom Elend der Verschleppten, mehrheitlich Frauen, erklärt Kuratorin Amelie Bach vom DZM. "Töpfe waren ganz wichtig in der Zeit im Lager, weil man ein Gefäß benötigt hat, um sich die Essensrationen abzuholen."

Zweimal täglich gab es die kargen Mahlzeiten, oft nicht mehr als dünne Kohlsuppen und hartes Schwarzbrot, berichteten Zeitzeugen, die heute fast alle verstorben sind. Dennoch stehen sie im Mittelpunkt der Ausstellung, die zehn exemplarische Lebensläufe erzählt, acht von Frauen.

Liebesgeschichte im Lager: mit seltenem Happy End

Rosalie Wilhelm zum Beispiel wird mit 19 aus Schorokschar - heute ein Stadtteil von Budapest - verschleppt und lernt in einem Lager ihren späteren Mann Imre Tillinger kennen, er wird zufällig auf der Straße in Budapest aufgegriffen. Als die Polizisten seinen deutschen Nachnamen in seinem Ausweis lesen, bringen sie ihn sofort zum Bahnhof, wo er in einem der Viehwaggons gen Osten verschleppt wird, erzählt Tochter Marika Kottsieber, die heute in Ulm lebt.

Ihre Mutter kehrt nach 33 Monaten bereits schwanger aus dem Lager am Schwarzen Meer in Georgien heim, ihre Liebesgeschichte in der Deportation nimmt ein glückliches Ende. Freilich ein äußerst seltenes Happy End.

Schwarz-Weiß-Foto aus einem sowjetischen Lager zeigt junge Frauen in Schürzen mit ernstem Blicke Ulm gedenkt - DZM Ulm gedenkt der Deportation vor 80 Jahren.
Junge Donauschwäbinnen 1946 im Lager Kriwoi Rog, in der heutigen Ukraine. Jede und jeder Siebente der Deportierten kam wegen Hunger, Kälte oder Krankheit ums Leben.

DZM Ulm: Jede und jeder Siebte stirbt in der Deportation

Schätzungsweise 15 Prozent der deportierten Donauschwaben und -schwäbinnen kommen während der bis zu fünf Jahre dauernden Zwangsarbeit ums Leben, einige schon während des Transports. "Die Arbeit ist sehr gefährlich", weiß Amelie Bach, "es gibt viele Unfälle, viele Verletzungen." Hunger, Kälte und Krankheiten führen dazu, dass eben viele nicht zurückkehren.

Die Mutter von Renate Bayer überlebt. Als 24-Jährige wird sie am Zweiten Weihnachtstag aus ihrem donauschwäbischen Heimatdorf in der Nähe von Pecs in Ungarn verschleppt und muss 33 Monate im tschetschenischen Grosny in einer Plantage schuften.

Extremer Hunger: Es gab nur warmes Wasser und Pseudobrot

Die grausamen Jahre im Lager sind prägend und wirken in ihrer Familie bis heute nach, schildert Renate Bayer aus Illerkirchberg, Alb-Donau-Kreis, vom Landes- und Bundesvorstand der Landsmannschaft der Deutschen in Ungarn. Die Mutter habe zeitlebens "vom extremen Hunger" in der Deportation erzählt und dass es "wirklich nichts gab außer warmes Wasser und Pseudobrot, das mit Holzspänen gestreckt war".

Auch sie könne heute unmöglich Lebensmittel wegwerfen und esse auch unappetitliche Reste auf. Die aktuelle Ausstellung in Ulm berührt sie sehr: "Man hat es nicht leicht, wenn man so durchgeht und sich an so manches erinnert, was man erzählt bekommen hat."

Enkelin Caterina Bayer fühlt sich dieser Familiengeschichte verbunden, hat auch mit der Oma bis zum 14. Lebensjahr zusammengelebt. Sie bedauert, dass dieses wichtige Thema "in der Schule nicht mal ansatzweise" besprochen wurde.

Erhellend und bewegend sei das Thema des Zweiten Weltkriegs nicht nur für Betroffene, meint einer der geschichtsinteressierten Besucher im DZM. Und ein anderer Ulmer findet die kleine Schau im Kabinett des Museums sehr informativ. "Die Schicksale sind natürlich schon unglaublich hart."

Der Begriff "Stalins Sklaven" ist überhaupt nicht übertrieben, wenn man sich die Einzelschicksale anschaut, eher noch untertrieben.

In den Herkunftsländern Ungarn, Jugoslawien und Rumänien wird das Thema erst seit der Wende erforscht. "Stalins Sklaven" sind hinter dem Eisernen Vorhang lange ein Tabuthema, erklärt Kulturreferentin Swantje Volkmann und betont, dass der Begriff der Sklaverei nicht übertrieben sei. "Überhaupt nicht! Also wenn man sich diese Einzelschicksale anschaut, dann ist das eher untertrieben."

Die Zwangsarbeit der deutschstämmigen Bevölkerung in Südosteuropa galt 1945 als Reparationszahlung für die Sowjets und wurde auch von den Alliierten auf der Konferenz von Jalta abgesegnet.

Das oft verschwiegene und manchmal auch erzählte Leiden betrifft bis heute viele Familien, denn auch manche kleinen Kinder blieben mutterlos bei den Großeltern zurück. Die Kulturreferentin am DZM begegnet immer wieder Donauschwaben, die ihr erzählen: "Ich war sechs Jahre alt und meine Mutter wurde deportiert. Und sie ist nicht zurückgekommen…"

Gedenkfeier am Donau-Ufer in Ulm. Am Donauschwabendenkmal werden Kränze abgelegt, knapp 100 Menschen lauschen den Worten zweier Pfarrer der donauschwäbischen und der siebenbürgischen Gemeinschaft.
Knapp 100 Menschen gedenken am Donauschwabendenkmal in Ulm an die Deportation vor 80 Jahren. Im Januar 1945 wurden rund 120.000 Deutsche aus Rumänien, Ungarn und Jugoslawien zur Zwangsarbeit in die Sowjetunion verschleppt.

Landsmannschaften gedenken an der Donau in Ulm der Verschleppung vor 80 Jahren

Das gleiche Schicksal erleiden auch rund 30.000 Siebenbürger Sachsen und Sächsinnen, die von Rumänien aus ins Nachbarland deportiert werden. Der heutige Staat ist der einzige Osteuropas, der den Opfern der Verschleppung und ihren Nachkommen eine Rente gewährt.

Die Erinnerung an die Deportation ist ein "Appell an Frieden und Freiheit", heißt es bei der Gedenkveranstaltung am Donau-Ufer in Ulm. Die verschiedenen Landsmannschaften legen Kränze am Donauschwabendenkmal nieder.

Die Geistlichen der donauschwäbischen und der siebenbürgischen Gemeinde richten ihre mahnenden Worte an rund 100 Menschen, die der Kälte trotzen. "Gewalt schafft nur Friedhofsruhe", predigt der evangelische Pfarrer und frühere Dekan Hans-Gerhard Gross unter freiem Himmel. "Die Antwort könne nur Versöhnung sein, um Feindschaft zu überwinden."

Im Donauschwäbischen Zentralmuseum kann man das düstere Kapitel deutscher Geschichte nun nachvollziehen. Die Kabinettausstellung "Verschleppt" stellt es komprimiert, nüchtern und anschaulich dar: bis zum 21. April am DZM in Ulm.

Wanderausstellung Trachten erzählen Geschichte: Die Ausstellung „Schwerer Stoff“ im Donauschwäbischen Zentralmuseum in Ulm

Die Ausstellung „Schwerer Stoff“ im Donauschwäbischen Zentralmuseum in Ulm zeigt Frauenkleidung von 1880 bis 1990. Die Trachten spiegeln die Lebenswelt ihrer Trägerinnen wider.

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