Öffentliche Bibliotheken sind für alle da. Die Bücher in ihren Regalen zeigen verschiedenste Weltanschauungen. Ihre Vielfalt soll Leserinnen und Leser dabei unterstützen, sich eine eigene Meinung zu bilden. Aber was, wenn Bücher am Rande des Sagbaren tänzeln? Wenn sie Unwahrheiten und Verschwörungen verbreiten?
Bibliotheken sollen Meinungsvielfalt abbilden
"Bibliotheken sind permanent allen möglichen Weltanschauungen ausgesetzt", sagt Michael Steffel von der Stadtbibliothek Aalen. Er erinnert sich noch gut an zentnerschwere Buchgeschenke, die ungebeten auf seinem Schreibtisch landeten. Mitglieder einer Sekte hatten sie geschickt, in der Hoffnung, dass Steffel sie in die Sammlung aufnimmt. Hat er aber nicht. "Das ist eine souveräne Entscheidung der Bibliothek. Der Bestand soll ausgewogen sein. Wir versuchen, ein möglichst breites Spektrum anzubieten, damit sich Leute ein Bild machen können."
Der Bestand soll ausgewogen sein. Wir versuchen, ein möglichst breites Spektrum anzubieten, damit sich Leute ein Bild machen können.
In Deutschland darf vieles gesagt oder behauptet werden - das regelt die Meinungsfreiheit im Grundgesetz. Auch Verlage haben viele Freiheiten. Manche von ihnen bewegen sich an den äußeren politischen Rändern.
Was nicht gegen das Gesetz verstößt, darf in die Bücherei
Thomas Jentsch, Leiter der Stadtbibliothek Heidenheim, sagt, dass "alles, was nicht gegen Gesetze verstößt" prinzipiell in die Bücherei aufgenommen werden kann. In den weißen Regalen finden sich daher auch Titel des umstrittenen Kopp-Verlags. Bücher beispielsweise mit Untergangsfantasien.
Der Heidenheimer Bibliotheksleiter Jentsch beobachtet, dass Menschen von außerhalb durchaus versuchen, Einfluss auf den Bestand der Bücherei zu nehmen: So verschwinde ab und zu linke Literatur aus den Regalen, die Bücher werden in der Bibliothek versteckt. Oder Zettel mit missionarischen Inhalten tauchen plötzlich zwischen Buchseiten auf.

In Ulm setzt sich Woche für Woche Ursula Jaksch mit den Bibliothekarinnen und Bibliothekaren der Zentralbibliothek zusammen. Mit ihnen bespricht sie Neuerscheinungen und Entwicklungen bei den Verlagen. Einige hätten sich in jüngerer Zeit deutlich radikalisiert, beobachtet Jaksch. Eine Herausforderung für die Bücherei - immerhin können es die Bibliotheksmitarbeitenden selbst kaum leisten, jedes einzelne Buch zu lesen, bevor es in den Bestand aufgenommen wird.
Bibliotheken bekommen Hilfe von Lektoratsdiensten
Bei der Buchauswahl bekommen viele Bibliotheken Unterstützung von Lektoratsdiensten. Von rund 70.000 Büchern, die jährlich in Deutschland erscheinen, lesen Experten dieser Dienste ein Fünftel. Deren Bewertungen bekommen die Büchereien dann in wöchentlichen Übersichten zugesendet. Eine Arbeit, die zunehmend wichtiger wird. Denn extreme Ansichten und Falschinformationen haben in den letzten Jahren - und besonders mit der Corona-Pandemie - zugenommen, sagt Jennifer Deuschle von der Lektoratskooperation, einem der Lektoratsdienste in Deutschland.
Umstrittene Bücher landen über Bestsellerliste in Bibliotheken
Anfällig seien besonders Sachbücher. "Das ist gefährlich, weil man vielleicht denkt: Das ist gedruckt, nicht aus dem Internet - dann ist das schon mal weniger Fake News", erklärt die Lektorin. "Aber es gibt eben auch Fake News im Sachbuch-Bereich". Und die sind erfolgreich: Schon mehrfach schafften es Bücher mit rechtsradikalen Inhalten oder Verschwörungsmythen auf die SPIEGEL-Bestsellerliste. Titel, die dort landen, werden von den Bibliotheken routinemäßig bestellt. So gelangen sie beinahe automatisch in viele Bestände.
"Wir machen als Bibliothek keine Gesinnungsprüfung", stellt Martin Szlatki, Direktor der Ulmer Stadtbibliothek, klar. "Wenn ein umstrittenes Buch per SPIEGEL-Bestsellerliste zu uns ins Haus kommt, wird es Menschen geben, die sich kritisch damit auseinandersetzen möchten." Wer Kontext will, um das Gelesene einzubetten, kann sich bei anderen Büchern im Themenbereich bedienen, so Szlatki weiter.
Rechtsextreme Literatur nicht in Büchereien
Eine Grenze zieht der Bibliotheksdirektor allerdings bei eindeutig rechtsextremistischer Literatur. "Die gehört nicht in öffentliche Bibliotheken". Gerade in politisch bewegten Zeiten sei es ein besonderer Wert von Bibliotheken, dass sie einerseits zeigen, wie vielfältig die Gesellschaft ist. Und andererseits ein wachsames Auge darauf haben, dass rechtsextremistische Literatur mit ihnen nicht vereinbar ist.