Deutscher Diversity-Tag 2022

Stadt, Land, Queer: Paulinos Neustart in Ulm

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Hannah Schulze
Hannah Schulze (Foto: SWR)

In Ulm ist Paulino angekommen - erst hier konnte er sich als Transmann outen. Der 21-Jährige ist im ländlichen Raum bei Biberach aufgewachsen. Dort fand er weder Toleranz noch eine Community.

Transmann Paulino Kirschner hebt eine Regenbogenfahne beim queeren Stammtisch in der Friedrichsau in Ulm.  (Foto: SWR, Hannah Schulze)
Transmann Paulino Kirschner beim queeren Stammtisch in der Ulmer Friedrichsau: "Ulm war für mich ein Neustart".

Er erinnert sich noch sehr genau an diesen Moment in der Schule: Paulino ist acht Jahre alt. Er spielt mit den Jungs in der Pause Fußball, als ihm eine Klassenkameradin sagt, dass Mädchen gar kein Fußball spielen. Seine Antwort damals:

"Was, wenn ich gar kein Mädchen sein möchte?"

Paulino Kirschner ist Transmann. Also ein Mann, dem bei der Geburt das weibliche Geschlecht zugewiesen wurde. Sein Weg war alles andere als leicht: Als Kind unterstützen ihn Schulpsychologinnen und Sozialarbeiter - im Gegensatz zu seinen Eltern und zu vielen Menschen in seinem Umfeld.

Paulino wechselt zwischen Heimen und Pflegefamilien hin und her. Kommt mit 15 Jahren ausgerechnet in ein Mädchenheim, wo sein Outing als Phase abgetan wird. Immer wieder versucht er sich zu outen und stößt immer wieder auf Unverständnis und Abweisung. Es folgen Phasen der Depression, Psychatrieaufenthalte und Suizidversuche.

Queere Community: "Ulm war für mich ein Neustart"

Paulino ist gelernter Schornsteinfeger. "Eigentlich wollte ich damit zeigen, dass ich männlich genug für diesen Beruf bin", erzählt der heute 21-Jährige. Eine Weile arbeitet er im Raum Biberach, überwiegend in kleinen Städten und Dörfern und stößt auf wenig Toleranz. "In dem Beruf kennen dich die Leute", sagt Paulino. "Ich konnte nicht mehr mal auf die Straße, ohne dass jemand gesagt hat: Oh, die Transe kommt." In seinem alten Bezirk würde er sich heute nicht mehr zu arbeiten trauen.

Der Verein Young and Queer in Ulm veranstaltet alle zwei Wochen einen Stammtisch für junge Menschen. (Foto: SWR, Hannah Schulze)
In Ulm hat Paulino seine Community gefunden - wie hier beim queeren Stammtisch in der Friedrichsau.

2020 zieht Paulino dann nach Ulm. Für ihn ein Neustart. Über eine Streetworkerin findet er Anschluss in verschiedenen queere Gruppen und seinen Weg in die Community. Er outet sich als Transmann und kann endlich Paulino sein.

"Das erste Mal, als ich in der Gruppe war, war das erste Mal, dass ich wirklich gelebt habe und das erste Mal, dass ich ich selbst war."

Paulino engagiert sich heute bei den Vereinen Young and Queer und Jugend aktiv in Ulm. Er möchte andere auf ihrem Weg unterstützen. So eine Gemeinschaft sei unglaublich wichtig, so der 21-Jährige. "Das sind Menschen, die einen verstehen und die dasselbe durchlebt haben."

Alle zwei Wochen queerer Stammtisch

Neben Workshops in Schulen und Veranstaltungen, veranstaltet der Verein "Young and Queer" auch alle zwei Wochen einen Stammtisch für alle queeren Menschen zwischen 16 und 27 Jahren.

Ein queeres Manifest für Ulm

In einer Kooperation mit der Grünen Jugend und den Jusos hat der Verein Young and Queer Ulm e.V. im März ein queeres Manifest veröffentlicht. Auf rund 20 Seiten wollen die Vereine das queere Leben in Ulm sowie die Arbeit der Stadt abbilden, bewerten und weitere Ideen und Verbesserungsvorschläge aufzeigen.

Auf dem Münsterplatz fand am 17. Mai der Internationale Tag 2022 gegen Homophobie statt. (Foto: SWR, Hannah Schulze)
Aktion auf dem Ulmer Münsterplatz am 17. Mai - dem internationalen Tag gegen Homo-, Bi-, Inter- und Transphobie.

Queere Angebote: "Ulm ist auf einem guten Weg"

Neben "Young and Queer" gibt es noch weitere Anlaufstellen in Ulm für queere Menschen. So etwa das Beratungsangebot von Isabelle Melcher in der Hartmannstraße. Melcher leitet auch die Jugendgruppe Teengender, die sich an Jugendliche richtet. Zudem gibt es die "Queer Christ" in Ulm - eine Gruppe queerer Gläubiger, die sich monatlich zusammen finden.

Ulm könnte offener sein, sagt Paulino. Es könnte mehr Angebote geben, wie eine Antidiskriminierungsstelle oder feste Räumlichkeiten. Luft nach oben ist noch da, meint der 21-Jährige. Die Stadt ist aber einem guten Weg und zumindest ihm hat sie zu einem Neustart verholfen.

Paulino in aktueller ARD-Dokumentation zu sehen

Über seinen Weg erzählt der 21-Jährige auch in der aktuellen ARD-Dokumentation "Jeder Tag ein Kampf? - Queere Menschen in Deutschland" - zu sehen hier und auch in der ARD-Mediathek.

ARD-Doku: "Jeder Tag ein Kampf? Queere Menschen in Deutschland"

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