SWR Aktuell: Frau Kosel, Sie haben gesagt, dass die Tübinger Kinder- und Jugendpsychiatrie während der Pandemie-Zeit eine Vervierfachung an Erkrankten mit Magersucht behandelt hat. Woran liegt das?
Franziska Kosel: Ein Hauptpunkt war, dass es durch die Pandemie zu vielen Verunsicherungen und auch Kontrollverlust kam. Viele konnten die Situation, in der sie sich befinden, nicht mehr kontrollieren. Und gerade bei Magersucht spielt Kontrolle eine ganz wichtige Rolle. Wenn ich alles andere schon nicht kontrollieren kann, ist die Kontrolle vom Essverhalten auch als Bewältigungsstrategie zu sehen, um eben wieder mehr Kontrolle zu erlangen. Hinzu kommt, dass viele stützende Faktoren, wie ein geregelter Alltag, eine Tagesstruktur, aber auch zahlreiche Kontakte weggefallen sind. Gerade bei Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen kommt noch ein erhöhter Medienkonsum dazu. Das heißt, ich bin vielleicht mehr im Internet unterwegs und dadurch noch mehr mit geschönten Bildern konfrontiert. Außerdem ist der Abgleich mit der Realität durch die fehlenden sozialen Kontakte weggefallen.
Magersucht kann ja umso besser behandelt werden, je früher man sie entdeckt. Aber die Betroffenen verstecken die Krankheit oft. Das neue Netzwerk, das sie jetzt gegründet haben, bietet Ansprechpartner. Beispielsweise für die Sportlehrerin, wenn Sie feststellt, dass eine Schülerin immer dünner wird, oder?
Wir haben ein Angebot für Betroffene wirklich jeden Alters. Für Angehörige, nahestehende Personen und Interessierte ist das die Koordinationsstelle, die beim Kreisgesundheitsamt in Reutlingen angesiedelt ist. Kompetente Ansprechpartner sollen dabei helfen zu schauen, welche Therapieoptionen, welche Behandlung und welches Angebot das richtige ist.
Also die Fachkräfte dort können selbst nicht therapieren, wissen aber genau, an wen man sich wenden kann, beispielsweise an die psychiatrische Ambulanz, Fachärzte, Psychotherapeuten und Beratungsstellen?
Genau. Es ist ja so, dass diese Krankheit ganz unterschiedlich verläuft und deswegen auch die Kriterien, die Therapie und die Behandlungsformen unterschiedlich sein können. Die Koordinationsstelle möchte eben helfen, sich in diesem Dschungel zurechtzufinden und Personen bei der Suche nach den richtigen Hilfs-und Behandlungsangeboten, sowie Beratungsangeboten zu unterstützten. Nehmen wir mal an, man ist sich nicht sicher, ob man vielleicht selber an dem Symptom einer Magersucht leidet oder ob eine nahestehende Personen betroffen sein könnte. Dann kann man eben bei der Koordinationsstelle anrufen und die helfen dann weiter, die nächsten Schritte zu planen und die richtige Anlaufstelle zu finden. Das Netzwerk finden alle unter www.netzwerk-magersucht.de.