"Jetzt weiß ich, was Inklusion wirklich bedeutet", sagt die Verwaltungsdirektorin des Landestheater Tübingen (LTT), Dorothee Must. Mit Geschenkekaufen in einer Werkstatt mit Menschen mit Behinderung sei es definitiv nicht getan. Inklusion ernstzunehmen bedeute, Menschen mit Behinderungen einzustellen, ihre Bedürfnisse anzuerkennen und sich den gemeinsamen Hürden und Hindernissen zu stellen.
Inklusion kostet Zeit, Kraft und Geld
Im Fall von Kristina Weber, der gehörlosen Herrenschneiderin am LTT, heißt das beispielsweise immer wieder Dolmetscher zu organisieren, die die Gebärdensprache beherrschen – zum Beispiel für Abteilungssitzungen oder Mitarbeitergespräche. Das kostet im Jahr deutlich mehr, als Kristina Weber als Schneiderin beim Theater verdient. Für die Kostenübernahme müssen Anträge beim Kommunalverband für Jugend und Soziales Baden-Württemberg (KVJS) gestellt werden. Außerdem seien gebärdende Dolmetscher nur schwer zu bekommen, weil es wenige gebe, sagt Must.
Für alle Ausbilder das erste Mal
Kristina Weber erinnert sich noch an die dreijährige Meisterausbildung an der Gewerbeschule in Metzingen und der Industrie- und Handelskammer Reutlingen. Für alle Beteiligte, die Kolleginnen, die Lehrer und die Prüfer, war es das erste Mal im Umgang mit einer Gehörlosen. Manche Lehrer taten sich anfangs schwer, einen Gebärdensprache-Dolmetscher neben sich zu akzeptieren, weil das erst einmal alle Hörenden abgelenkt hat, erzählt Kristina Weber.
Auf Mitschriebe der anderen angewiesen
Ihre Herausforderung lag dagegen darin, sowohl auf die Powerpoint-Präsentation als auch auf ihren Dolmetscher zu schauen. Das Gesagte auch noch parallel mitzuschreiben, war unmöglich, erinnert sie sich. Sie war auf die Mitschriebe ihrer Mitschülerinnen und Mitschüler angewiesen. Mit vielen Abendstunden zum Nachlesen und Nachlernen hat sie es dann geschafft und hält heute den Meisterbrief in den Händen.
Inklusion ist Teamarbeit
Sie ist ihren Kolleginnen und Kollegen, ganz besonders den Kolleginnen in der Schneiderei des LTT, dankbar dafür, wie sie es mittlerweile als Team schaffen, mit ihrer Gehörlosigkeit umzugehen und dass sie sie und ihre Arbeit anerkennen und ihr spontan versuchen zu erklären, wenn es in der Werkstatt gerade etwas zum Lachen gibt. Ihre Kollegin Susanne Bek-Sadowski war in der anstrengenden Zeit der Ausbildung eine wichtige Unterstützung, um Lehrer und Prüfer von ihrem Können zu überzeugen. Ein Traum von Kristina Weber ist es, dass auch ihre Kolleginnen gebärden können.
Was muss sich für Arbeitgeber ändern für mehr Inklusion?
Damit es noch mehr Arbeitgeber wie das Landestheater gibt, die Menschen mit Behinderung bei sich einstellen und in den Arbeitsalltag gleichwertig einbinden, müsse es Arbeitgebern von staatlicher Seite so einfach wie möglich gemacht werden, sagt Dorothee Must. Die Bürokratie und manche Richtlinien seien mehr Hürde als Hilfe. Zum Beispiel werden aktuell die Kosten für Kristina Webers Lieblingsdolmetscherin, Rita Mohlau, nicht übernommen. Dabei wohnt sie beim LTT um die Ecke und würde gern wieder mehr vor Ort dolmetschen. Der Grund: Mohlau ist keine staatlich geprüfte und diplomierte Gebärdensprachdolmetscherin. Dabei kann sie perfekt gebärden. Denn sie ist eine "CODA" (Child of Deaf Adults), eine hörende Tochter von gehörlosen Eltern.
Was heißt für Kristina Weber Inklusion?
Kristina Weber hofft darauf, dass ihre Bedürfnisse und die der anderen Gehörlosen nicht nur gehört, sondern auch ernstgenommen und umgesetzt werden. "Wenn ich sage, ich brauche hier einen Dolmetscher, dann meine ich das auch so. Wenn ich bei Fremden Lippen lese, verstehe ich nur 30 Prozent", gebärdet die Herrenschneiderin. Sie wünscht sich, dass es irgendwann normal ist, dass Theaterstücke oder Konzerte live gedolmetscht werden. Dann könne sie auch endlich mitfühlen und nachempfinden, was ihre Schauspiel-Kolleginnen und -Kollegen auf die Bühne bringen. Denn noch stattet sie sie mit Kostümen aus, ohne aber in den Genuss des Könnens von ihnen zu kommen.