Mitten im Winter leben in Straßburg dutzende Kinder mit ihren Familien auf der Straße - hauptsächlich Geflüchtete. Bürgermeisterin Jeanne Barseghian hat an Haus- und Wohnungseigentümer appelliert, leerstehende Wohnungen zu öffnen, um die Menschen unterzubringen. Aber wer ist eigentlich für diese Menschen zuständig?
Verein sucht in Straßburg nach Wohnungen
"Der Druck ist groß in diesem Winter", sagt Sabine Carriou vom Verein "Les Petites Roues" (zu Deutsch: Die kleinen Räder). Seit Jahren kümmert sie sich in Straßburg um Geflüchtete ohne feste Bleibe. Vor allem sucht sie nach Unterkünften für Familien, die teils seit Monaten draußen in Zeltcamps leben. Sie organisiert leerstehende Wohnungen, in denen sie mal fünf, mal zehn Personen vorübergehend unterbringen kann.
Sabine Carriou schätzt, dass aktuell 80 bis 90 Kinder mit ihren Familien in der Stadt in Autos oder Zelten schlafen. Allein 30 Kinder sollen es im Park Eugène Imbs im Stadtteil Montagne Verte sein.
Viele Geflüchtete am Ende des Asylverfahrens
Was das für Menschen sind, die dort tagsüber am Feuer sitzen und in der Nacht auf Palletten schlafen, viele schwer krank? Die Frage ist nicht ganz einfach zu beantworten.
"Viele dieser Familien stehen am Ende eines Asylverfahrens", sagt Sabine Carriou. Ihre Asylanträge seien abgelehnt worden.

Anders als Deutschland schiebt Frankreich Menschen mit abgelehnten Asylanträgen nicht in ihre Heimatländer ab. Viele bleiben im Land - und sind sich selbst überlassen.
Recht auf Unterkunft - unabhängig vom Aufenthaltsstatus
Neben dieser Gruppe leben in den Zeltcamps laut Carriou auch Personen, für deren Asylantrag nach der sogenannten Dublin-Verordnung eigentlich ein anderer EU-Staat zuständig wäre. Andere warten auf einen Termin, den sie brauchen, um ihren Asylantrag stellen zu können. Erst nach der Registrierung wird eine Unterbringung organisiert. Und dann sind da auch solche, deren Asylantrag in Frankreich in Bearbeitung ist, die aber in den vorgesehenen Unterkünften für Asylbewerber keinen Platz finden.
Unabhängig davon, welchen Aufenthaltsstatus die Menschen haben: Eigentlich haben sie alle in Frankreich Anspruch auf eine Unterkunft - so sieht es das nationale Recht vor. Zuständig für die Umsetzung ist eigentlich der französische Staat.
Gericht urteilt gegen Frankreich
Für den Umgang mit Geflüchteten war das Land in der Vergangenheit bereits vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verurteilt worden. Geklagt hatten Asylsuchende, die auf der Straße schlafen mussten, keinen Zugang zu sanitären Einrichtungen hatten und über keinerlei Mittel zur Bestreitung ihres Lebensunterhalts verfügten.
Das Gericht kam zu dem Schluss, dass die französischen Behörden ihren Pflichten gegenüber diesen Menschen nach innerstaatlichem Recht nicht nachgekommen waren. Es bewertete die Behandlung als erndiedrigend und sah einen Mangel an Respekt für die Würde der Betroffenen. Frankreich habe damit gegen Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (Verbot unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung) verstoßen.

Hilfsorganisationen beklagen, dass die staatlichen Stellen zu wenig Unterkünfte für Asylsuchende bereit halten. Die Präfektur in Straßburg habe es zuletzt abgelehnt mit Stadt und Helfern an einem Tisch über die Probleme zu sprechen. So gebe es immer mehr Zelte und immer mehr Camps.
Um die Situation der notleidenden Menschen zu verbessern, war in der Vergangenheit mitunter die Stadt eingesprungen. Im Bereich der Zeltcamps wurden Wasserhähne installiert und Toilettenhäuschen aufgestellt. Auch Turnhallen hatte die Stadtspitze zeitweise geöffnet.
Appell an Haus- und Wohnungseigentümer
In diesem Winter hat Straßburgs Bürgermeisterin Jeanne Barseghian nun an Haus- und Wohnungseigentümer appelliert. Sie sollen leerstehende Wohnungen öffnen, um Menschen unterzubringen.
"Angesichts der dramatischen Notlage von Kindern, die abends auf der Straße oder in Autos schlafen müssen, appelliere ich an die Soldiarität aller Eigentümer von leerstehendem Wohnraum. [...] Sie können handeln. Sie können dafür sorgen, dass diese Kinder ein Dach über dem Kopf haben", schreibt Jeanne Barseghian.
Laut Stadt gibt es Tag für Tag neue Meldungen über Schulkinder, die in städtischen Schulen unterrichtet werden, aber auf der Straße leben. Die Stadt habe inzwischen leerstehende städtische Gebäude bereitgestellt und einen Vertrag mit einer Hilfsorganisation geschlossen.
Kleiner Verein soll Wohnraum vermitteln
Die Hilfsorganisation, das ist der kleine Verein "Les Petites Roues" (zu Deutsch: Die kleinen Räder) mit gerade einmal 50 Mitgliedern. Seit Dezember 2023 verwaltet er einige städtische Räume und konnte Familien von der Straße holen.
"Unser Verein vermittelt zwischen den Hilfsbedürftigen und der Stadt Straßburg", sagt Sabine Carriou. "Wir bürgen für den Zustand der Unterkünfte. Wir finanzieren die Stromrechnung, wir organisieren eine Versicherung und zahlen eine kleine Solidarmiete."
Bisher keine Angebote, aber noch mehr Anfragen
Eine ähnliche Funktion soll "Les Petites Roues" nun auch übernehmen, wenn Privatpersonen Wohnraum bereitstellen. Der Verein zahlt eine Kaution und garantiert, dass die Wohnungslosen die bereitgestellten Räume zum vereinbarten Zeitpunkt auch wieder verlassen.
"Wir begrüßen diese Initiative. Es gibt viel leerstehenden Wohnraum", sagt Sabine Carriou. Bisher habe "Les petites Roues" aber noch kein Angebot erhalten. Dafür aber: "Jetzt, wo wir als Verein benannt wurden, der Wohnungen beschafft, kommen viel mehr Nachfragen als vorher." Ständig klingele das Telefon. "Der Druck ist groß in diesem Winter."