Zu wenig Geld, zu wenig Zeit, zu viele Aufgaben: Pflegerinnen und Pfleger arbeiten meist am Anschlag und manchmal leiden auch die Patientinnen und Patienten. Bei den Sozialstationen der Caritas in Wehr-Öflingen (Kreis Waldshut) und im Dreisamtal bei Freiburg wurde vor drei Jahren ein Modellprojekt gestartet, um das zu ändern. Das neue Vergütungssystem findet inzwischen bundesweit Beachtung.
Pflegekräfte haben mehr Zeit, mehr Kompetenz und mehr Flexibilität
Statt den vorgegebenen Pauschalen und Modulen der Pflegeversicherung zu folgen, vereinbaren die Pflegekräfte direkt mit den Patientinnen und Patienten, was gemacht werden soll und wie viel Zeit das braucht. Jeder Fall wird individuell behandelt. Wenn ein Patient beispielsweise beim Duschen Hilfe braucht, sich aber selbst die Zähne putzen kann und will - dann wird diese Zeit für andere Dinge verwendet, beispielsweise für Übungen zur Stärkung der Muskelkraft.
Patienten und Angehörige können je nach Tagesform mit den Pflegerinnen und Pflegern entscheiden, wie viel Zeit bei einem Besuch benötigt und was gemacht wird. Das System funktioniert wie bei einem Handwerker: Die Stunde kostet 62 Euro. Diesen Satz hat die Caritas mit den Krankenkassen so vereinbart.
"Ich finde das System jetzt viel besser, bei dem nach Minuten abgerechnet wird. Denn es ist nicht immer gleich. An Tagen, an denen ich keine Hilfe brauche, wird das auch nicht abgerechnet. Früher war viel Wechsel und schnell, schnell. Das ist heute nicht mehr so."

Wichtiger Effekt im neuen System: Kaum Kündigungen von Pflegekräften
Teurer wird die Pflege nicht, bestätigen die Patienten und der Pflegedienst der Caritas Hochrhein. Sie sprechen von einer deutlich verbesserten Qualität in der Pflege und mehr Flexibilität bei der Betreuung der Patienten.
Jessica Bittner, Pflegedienstleiterin der Sozialstation der Caritas in Wehr-Öflingen, sieht einen wesentlichen Vorteil in der deutlich gestiegenen Zufriedenheit der Pflegerinnen und Pfleger. Das habe eine anonyme vierteljährliche Befragung der 40 Beschäftigten ergeben. Weil die Pflegenden nun selbst entscheiden können und weniger Zeitdruck haben, steige die Freude am Beruf.

"Ich kann jeden Patienten individuell versorgen, so wie er oder sie es braucht, und das gibt mir ein gutes Gefühl. Man wird auch mehr wertgeschätzt. Ich könnte mir nichts anderes mehr vorstellen."

Das Pflegemodell aus Wehr ist deutschlandweit gefragt
Die Caritas Hochrhein stellt derzeit drei weitere Sozialstationen auf das neue Vergütungsmodell um. Bundesweit gibt es Interesse, Pflegedienste aus ganz Deutschland arbeiten an ähnlichen Projekten. Die Voraussetzung dafür sind allerdings Einzelverhandlungen mit den Krankenkassen.
Jedoch ist es bei diesem Modell kaum möglich, Gewinne zu erwirtschaften. Die Caritas Hochrhein muss dies als Wohlfahrtsverband auch nicht. Für private Pflegedienste sei das neue Modell deshalb schwieriger umzusetzen, so der Geschäftsführer der Caritas-Sozialstationen am Hochrhein, Rolf Steinegger. Aus seiner Sicht ist der eingeschlagene Weg trotzdem ein wichtiger Beitrag, um den Pflegeberuf attraktiver zu machen und den Pflegenotstand zu lösen.