Radikalenerlass (Foto: dpa Bildfunk, picture alliance/dpa | Egon Steiner)

Vergebliche Hoffnung auf Wiedergutmachung

Kommentar: Keine Entschuldigung ist auch eine Aussage

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Filiz Kükrekol

Keine Entschädigung für das Unrecht, das den Opfern des Radikalenerlasses vor 50 Jahren widerfahren ist - das spricht Bände, meint SWR Redakteurin Filiz Kükrekol.

Was kostet eine Entschuldigung? Vermutlich zu viel – denn Ministerpräsident Kretschmann kam sie nicht über die Lippen, bei seinem Treffen mit Frauen und Männern, die wie er vom Berufsverbot betroffen waren. Sie konnten nicht Lehrerinnen werden oder Anwälte, selbst Postbote durfte man nicht sein, wenn die politische Gesinnung zu links war. Bitter daran: Das hatten Menschen entschieden, die selbst eine rechte Vergangenheit hatten - im Nationalsozialismus. Und so kommt eine Studie an der Uni Heidelberg im Auftrag des grün geführten baden-württembergischen Wissenschaftsministeriums auch zu dem Schluss: Der Radikalenerlass 1972 war auf dem rechten Auge blind.

Vor fünfzig Jahren: Kampf um die Deutungshoheit

Vor allem jungen Menschen links der Mitte wurde der Zugang zum Staatsdienst verweigert – sie stünden nicht auf dem Boden der freiheitlich demokratischen Grundordnung, hieß es. Weil sie gegen Polizeigewalt protestiert oder auf einer Linken-Demo ein Plakat hochgehalten hatten. Und das nach einer Zeit der Entnazifizierung, in der sich junge Menschen in ihren Zwanzigern ausdrücklich von der jüngsten deutschen Geschichte distanzieren wollten, ausgerechnet sie sollten plötzlich keine aufrechten Demokraten sein? Aber Verfassungsrichter und Ministerpräsidenten, die dem NS-Kader angehörten, schon?

Der Historiker Edgar Wolfrum stellt zu Recht fest: In einer Demokratie braucht es Radikale. Keine Extremisten und Umstürzler, aber Menschen, an denen sich eine Gesellschaft reiben und weiterentwickeln kann. Bestes Beispiel ist der frühere Maoist Winfried Kretschmann. Wegen seiner Aktivitäten in kommunistischen Studentengruppierungen drohte dem damaligen Gymnasiallehrer ein Berufsverbot. Doch Kretschmann hatte Unterstützer. Zunächst konnte er an einer privaten Kosmetikschule anheuern, nach einer neuerlichen Überprüfung wurde er dann doch verbeamtet und durfte an staatlichen Gymnasien unterrichten.

Wiedergutmachung Fehlanzeige

Traurig, dass es für diese Karriere das Glück brauchte, Menschen zu finden, die das Entwicklungspotential des jungen Rebellen erkannten und sich für ihn einsetzten. In zu vielen Amtsstuben saßen offenbar noch lange Beamte mit Blockwartmentalität. Den Betroffenen sei Ungerechtigkeit widerfahren - räumt der Grüne Kretschmann ein und bedauert zutiefst. Pauschal aber von Unrecht zu sprechen, sich zu entschuldigen und Entschädigungen in Aussicht zu stellen, das gehe zu weit, auch kostet es Geld.

Ein Entschädigungsfonds mit zwei Millionen Euro, so hat die Initiative gegen Berufsverbote ausgerechnet, könnte schon vielen Betroffenen helfen, die an der Armutsgrenze leben. Die Werbekampagne "The Länd" war dem Land 21 Millionen Euro wert. Schön, dass die Prioritäten jetzt mal geklärt sind.

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