Eine Verfassung hält im Durchschnitt nur 19 Jahre. Das hat die Wissenschaft bei einem internationalen Vergleich vor einiger Zeit mal festgestellt: Nach 19 Jahren beschließen Länder im Schnitt, dass sie eine neue Grundlage für ihr Staatswesen benötigen. Wenn das stimmt, können wir auf die 75 Jahre unserer Verfassung stolz sein. Allerdings wurde auch allerhand am Grundgesetz verändert. Die Statistik weist aktuell seit 1949 67 Änderungsgesetze aus – Gesetze, die mitunter gleich mehrere Artikel reformierten. Das heißt, auch wenn unsere Verfassung ursprünglich in ihren Formulierungen von beeindruckender Schlichtheit war, gab es das Bedürfnis nachzubessern und sie an die Entwicklung der Gesellschaft anzupassen.
Schönheit der Schlichtheit
Trotzdem ist die Schlichtheit immer noch spürbar. Etwa bei dem Satz: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Kein Wenn und Aber. Keine Bedingungen. Der Satz wird immer wieder zitiert, vielen ist er geläufig. Oder Artikel drei: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt.“ Eine Formulierung, die in ihrer Schlichtheit nicht zu überbieten ist. Anfangs glaubten noch einige, dass sei einfach nur eine Art schönes Ziel. Aber das Verfassungsgericht machte schon 1953 ernst: Nein, das ist eine Pflicht. Und später wurde noch ein Satz hinzugefügt: Der Staat muss dafür sorgen, dass Gleichheit wirklich hergestellt wird.
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Besonders ist das starke Gericht
Der Text des Grundgesetzes hätte aber nur wenig ausrichten können, wenn es nicht das Bundesverfassungsgericht gegeben hätte, das dieser Verfassung immer wieder zum Leben verholfen hat. Das Besondere am Grundgesetz, so sagen Staatsrechtler: Dass es eben so ein starkes Gericht geschaffen hat, das so massiv der Politik Vorgaben machen kann. Feststeht: Mit dem Zusammenspiel zwischen Verfassung und Gericht sind wir bis jetzt gut gefahren. Zwar erinnern sich vermutlich viele auch an Gerichtsentscheidungen, die ihnen nicht gefallen haben. Die einen werden hier vielleicht an die Urteile denken, die Schwangerschaftsabbrüche erschwert haben. Und die anderen kritisieren den Klimabeschluss, weil er der Politik zu viel Vorgaben machen würde.
Bevölkerung nimmt Teil an der Diskussion
Viele grundsätzliche Fragen an unsere Verfassung sind irgendwann in Karlsruhe gelandet, wurden anlässlich von mündlichen Verhandlungen in der breiten Öffentlichkeit diskutiert. Und so nimmt die Bevölkerung Teil an unserem Grundgesetz und lebt mit diesem Text. In der Corona-Zeit haben viele über ihre Grundrechte nachgedacht. Selbst wenn nicht alle verstanden haben, wie sie funktionieren, dass fast jedes Grundrecht immer auch mal eingeschränkt wird, selbst in guten Zeiten – die Berufung darauf zeigt, wie wichtig unsere Verfassung für die Menschen ist. Interessanterweise gilt das besonders für diejenigen, die bei uns eingewandert sind. Von ihnen kommt häufig Lob für dieses kleine Büchlein, das uns alle verbindet.
Neue Technologien, Neue Herausforderungen
Was nicht bedeutet, dass mit dem Grundgesetz gute Zeiten für immer garantiert sind. Mit der Digitalisierung, Künstlicher Intelligenz und Hass im Internet stellen sich zum Beispiel viele neue Aufgaben. Immer wieder sind die vielen Artikel im Grundgesetz daraufhin zu durchleuchten: Welche Werte hält es hoch? Und welcher Weg ist zu beschreiten, damit diese Werte Wirklichkeit werden?