Symbolbild für die 4-Tage-Woche. (Foto: dpa Bildfunk, Picture Alliance)

Interview zu verkürzter Arbeitszeit

Arbeitsmarktforscher zur 4-Tage-Woche: "Für die Unternehmen ist es die Lösung des Fachkräftemangels"

Stand

Die 4-Tage-Woche könnte ein Zukunftsmodell sein, meint der Karlsruher Arbeitsmarktforscher Philipp Frey. Die Voraussetzungen dafür seien gut und auch die Arbeitgeber könnten davon profitieren, so der Experte im Interview.

Ein Handwerksbetrieb aus Überlingen zeigt, dass die 4-Tage-Woche ein mögliches Instrument gegen den Fachkräftemangel sein kann. Bei ihm gingen in diesem Jahr doppelt so viele Bewerbungen ein als er Ausbildungsplätze zu vergeben hatte. Und das, obwohl allein in Baden-Württemberg im Juli 26.000 Ausbildungsplätze unbesetzt geblieben sind. Dass die Einführung einer 4-Tage-Woche ein starkes Mittel gegen den Fachkräftemangel sein kann, bestätigt auch Philipp Frey vom Karlsruher Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse. Im SWR-Interview begründet er diese Einschätzung, spricht über Chancen und Risiken und nennt die bereits bestehenden guten Vorraussetzungen.

SWR Aktuell: Sie sagten unlängst, dass eine 4-Tage-Woche volkswirtschaftlich möglich ist? Wie ist das gemeint?

Philipp Frey: Sie ist volkswirtschaftlich möglich, weil einerseits die Produktivität in Deutschland bereits sehr hoch ist und immer weiter wächst, gleichzeitig die Vollzeit-Woche seit 30 Jahren stagniert. Daher sollten wir uns eher fragen, warum wir noch keine 4-Tage-Woche haben. Auf der anderen Seite führt die Einführung von Arbeitszeitverkürzung zu Produktivitätssteigerungen.

"Es ist nicht nur ein Geschenk an die Arbeiter, sondern es ist auch ein Mittel, um eine Volkswirtschaft innovativ zu halten."

SWR Aktuell: Gibt es dazu statistische Erhebungen?

Philipp Frey: Ja. Tatsächlich läuft gerade ein groß angelegter Feldversuch in Großbritannien mit über 70 Unternehmen und über 3.300 Beschäftigten. Sie wurden drei Monate nach der Einführung der 4-Tage-Woche gefragt, wie sich bei ihnen die Produktivität entwickelt. 46 Prozent der Unternehmen hat angegeben, dass sich eigentlich nichts geändert hat. Sie sind so produktiv wie davor. 34 Prozent haben angegeben, dass sie eine leichte Produktivitätssteigerung beobachten konnten und 15 Prozent sogar eine deutliche Produktivitätssteigerung.

Wie das Heizungs- und Sanitärunternehmen Keller in Überlingen die 4-Tage-Woche umgesetzt hat, zeigt dieser SWR-Beitrag aus dem September 2022:

SWR Aktuell: Also ist die Produktivität durch die 4-Tage-Woche nicht gesunken, sondern tendenziell sogar gestiegen?

Philipp Frey: Genau. Das bestätigen auch Forschungen, die es seit den 1980er Jahren gibt. Arbeitszeitverkürzungen führen zu deutlichen Produktivitätssteigerungen. In Island wurde jüngst im öffentlichen Sektor die Arbeitszeit auf eine 35-Stunden-Woche verkürzt, also nicht ganz vier Tage. Da war die Ausgangsbedingung, dass die Qualität und Quantität der öffentlichen Daseinsvorsorge nicht zurückgehen darf. Und auch da ist es gelungen, bei gleichem Angebot auf eine 35-Stunden-Woche herunterzugehen. 

SWR Aktuell: Welche Voraussetzungen müssen für die Einführung der 4-Tage-Woche geschaffen werden?

Philipp Frey: Die Voraussetzungen sind gar nicht so schlecht. Es gibt bereits einen ganz starken Trend hin zur Teilzeit. Die durchschnittliche Stundenzahl, die in Deutschland gearbeitet wird, liegt bereits bei 30 Stunden. Also faktisch haben wir bereits eine 30-Stunden-Woche. Nur finanzieren die Beschäftigten das durch individuellen Lohnverzicht. Insofern würde ich sagen, dass der rechtliche und arbeitsorganisatorische Rahmen bereits gegeben ist. Man muss nur mutig vorangehen. 

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SWR Aktuell: Stichwort Fachkräftemangel: Wenn alle Menschen nur noch vier Tage arbeiten, braucht man dann in der Summe nicht mehr Personal? 

Philipp Frey: Das ist ein Argument, das auch in Deutschland sehr stark in der Debatte - unter anderem vom Bundesverband der deutschen Arbeitgeber - angeführt wird. Mir scheint das eine etwas antiquierte Denkweise, weil eben darauf gesetzt wird, die Arbeitszeit auszudehnen, statt sich zu überlegen, wie effektiver gearbeitet werden kann. Auf der anderen Seite gilt es für das Einzelunternehmen auf jeden Fall nicht, dass Arbeitszeitverkürzungen zu einer Verschärfung des Fachkräftemangels führen. Im Gegenteil. In Großbritannien ist es so, dass eigentlich sämtliche Unternehmen, die an dem Feldversuch teilnehmen, als Hauptargument angeben, dass sie attraktiver als Arbeitgeber werden wollen. Einerseits, um ihre Beschäftigten zu halten und andererseits, um auch neue anzulocken. Ganz eindrücklich ist das zum Beispiel bei einer Bank, die auch auf eine 4-Tage-Woche umgestiegen ist. Binnen drei Monaten hat sie fünfmal so viele Bewerbungen bekommen wie davor. Für die Unternehmen ist es die Lösung des Fachkräftemangels. 

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SWR Aktuell: Welche Risiken gibt es für die Unternehmen? 

Philipp Frey: Das ist natürlich erst einmal fordernd für Unternehmen. Es braucht Veränderungen der Arbeitsorganisation, teilweise muss vielleicht auch neue Technologie angeschafft werden, um die Produktivität zu steigern. Gerade bei Unternehmen, die viel Kundenkontakt haben, ist es auch oft so, dass am Freitag nicht komplett geschlossen wird. Da kommt es eher zu einer Rotation der Beschäftigten, so dass die Kunden auch immer jemanden haben, den sie ansprechen können.

SWR Aktuell: Und für die Arbeitnehmer?

Philipp Frey: Für die Beschäftigten ist das Hauptrisiko, das ich sehe, eigentlich nur die Arbeitsverdichtung. Die Arbeitsverdichtung, die Produktivität ist in Deutschland bereits sehr hoch. Und wenn es zu keinerlei Personalausgleich bei der Einführung einer 4-Tage-Woche kommt, ist die Gefahr natürlich groß, dass die Arbeit sich nochmal intensiviert. In vielen Bereichen, ich denke da zum Beispiel an die Pflege, scheint mir das wirklich völlig unrealistisch und auch unzumutbar. 

SWR Aktuell: Welche Auswirkungen hätte eine 4-Tage-Woche auf das Gehalt?

Philipp Frey: Das hängt ein bisschen von den Unternehmen ab. Der Feldversuch in Großbritannien zum Beispiel erfolgt nach dem 100-80-100-Modell. Das heißt 100 Prozent Bezahlung, 80 Prozent Arbeit und 100 Prozent Leistung. Man soll in diesen vier Tagen also das schaffen, was man sonst an fünf geschafft hätte. Mir erscheint der Königsweg, dass es zu einem Lohnausgleich bei Arbeitszeitverkürzungen kommt.

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