Unterricht in einer Schulklasse (Foto: dpa Bildfunk, picture alliance/dpa | Marijan Murat (Archiv))

Personalmangel an Schulen

BW will bei Lehrkräften Recht auf Teilzeit einschränken

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Henning Otte
SWR-Reporter und -Redakteur Henning Otte, SWR Landespolitik (Foto: Henning Otte)

Kultusministerin Schopper will gegen den Lehrermangel vorgehen und hat dafür einen Plan vorgelegt. Der mache den Beruf allerdings weniger attraktiv, kritisieren Lehrerverbände.

Kultusministerin Theresa Schopper (Grüne) will das Recht auf Teilzeit für Lehrkräfte beschneiden. Diese Maßnahme gehört zu einem Paket aus etwa 20 Punkten, mit dem die Landesregierung den Lehrermangel angehen und die angespannte Unterrichtsversorgung sichern will. Schopper bestätigte am Freitag die SWR-Recherche und den in der grün-schwarzen Koalition abgestimmten Entwurf des Kultusministeriums.

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Neue Teilzeit-Regelung soll ab dem Schuljahr 2024/25 gelten

"Ab Schuljahr 2024/25 wird die neue Teilzeit-Regelung scharfgestellt", sagte die Grünen-Politikerin. Wer künftig weniger als 75 Prozent arbeiten will, muss das genau begründen und genehmigen lassen. Auch für Lehrkräfte mit Behinderungen gelten lockerere Regeln. Damit soll dem Vernehmen nach verhindert werden, dass vor allem jüngere Pädagogen aus Gründen der "Work-Life-Balance" etwa nur 50 Prozent arbeiten. Bisher ist es so, dass Teilzeit in der Regel genehmigt wird, wenn keine dienstlichen Gründen dagegensprechen. Künftig soll der Lehrermangel als dienstlicher Grund gelten.

Mit der Obergrenze 75 Prozent sei man noch in einem "moderaten Modus", sagte Schopper und betonte: "Wir haben nicht den Giftzahn ausgepackt, dass wir sagen, wir gehen auf 100 Prozent hoch." Wenn Lehrkräfte familiäre Gründe oder Pflegezeiten angäben, sei das weiter völlig in Ordnung. "Die sonstigen Gründe werden unter die Lupe genommen." Etwa 14.000 von den 56.000 Teilzeit-Lehrkräften hätten "sonstige Gründe" dafür angegeben, nicht in Vollzeit arbeiten zu wollen. "Die wollen wir heben", sagte Schopper.

Es gibt aber durchaus noch weitere Schrauben, an denen die Kultusministerin dreht: Eine davon ist die Durchzahlung während der Sommerferien, von der in diesem Jahr schon mehr als 2.800 zusätzliche Lehrerinnen und Lehrer profitieren werden.

Der Entwurf sieht zudem eine Einschränkung bei Sabbaticals für Lehrkräfte vor. Künftig sollen Lehrkräfte erst ein Sabbatical nehmen können, wenn sie schon fünf Jahre im Dienst sind. Wer eine zweite solche Karenzzeit in Anspruch nehmen möchte, soll das erst fünf Jahre nach der ersten machen können. Im laufenden Schuljahr seien rund 900 Sabbaticals genehmigt worden, hieß es.

Eine Wochenstunde mehr für Referendare - dafür keine Abschlussarbeit

Außerdem sollen Referendarinnen und Referendare im zweiten Ausbildungsjahr eine Wochenstunde mehr unterrichten - dafür soll die Abschlussarbeit wegfallen. Schopper ist klar, dass das wahrscheinlich nicht gut ankommen wird. "Das wird uns die meiste Kritik eintragen", sagte sie. Man entlaste die Auszubildenden aber auch, indem die Abschlussarbeit gestrichen werde.

Darüber hinaus will Schopper mehr Quereinsteiger - also Menschen ohne klassische Lehrer-Ausbildung - in den Beruf locken. Geeignete Kandidatinnen und Kandidaten sollen die Möglichkeit eines Direkteinstiegs etwa in Grundschulen und in die Sekundarstufe 1 haben. Auch Pädagoginnen und Pädagogen, die ihre Ausbildung im Ausland gemacht haben, sollen leichter in deutsche Schulen integriert werden können. Die Ministerin will zudem das Programm "Lernen mit Rückenwind" fortsetzen, bei dem Lernrückstände aus der Corona-Zeit aufgearbeitet werden sollen. Dafür wurden auch Hilfslehrkräfte wie Studierende engagiert.

500 zusätzliche Deputate durch Maßnahmen

Mit dem Bündel an Maßnahmen will Schopper geschätzt 500 zusätzliche Deputate hinzugewinnen. Den aktuellen Bedarf wegen fehlender Lehrkräfte hatte sie zuletzt allerdings mit über 1.000 angegeben.

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Ex-Kultusminister hält härtere Teilzeit-Regeln für kontraproduktiv

SPD und Gewerkschaften zweifeln am Sinn der wichtigsten Maßnahmen. Ex-Kultusminister und SPD-Fraktionschef Andreas Stoch sagte dem SWR, Teilzeit habe doch oft mit den persönlichen Bedürfnissen der Lehrerinnen und Lehrer zu tun. "Die meisten Lehrkräfte haben ihre Unterrichtszeit nicht aus Jux und Tollerei reduziert, sondern viele auch aus gesundheitlichen Gründen."

Die geplante Maßnahme von Ministerin Schopper könne kontraproduktiv sein. "Wenn man diese Möglichkeiten jetzt einschränkt, ist es eine große Gefahr, dass Lehrkräfte sich aus diesem Beruf verabschieden. Und dann haben wir das Gegenteil von dem erreicht, was man eigentlich wollte." Dann falle noch mehr Unterricht aus.

"Man jagt die Leute den Baum hoch und hat nicht viel davon"

Der Verband Bildung und Erziehung (VBE) hat große Zweifel, ob die Teilzeitbeschränkung eine positive Auswirkung auf die künftige Lehrer-Versorgung haben wird. Der Vorsitzende Gerhard Brand sagte dem SWR: "Man jagt die Leute den Baum hoch und hat nicht viel davon." Er warnte davor, dass die Attraktivität des Lehrer Berufes damit langfristig sinke und sich am Ende weniger junge Menschen für den Lehrerberuf entschieden. Zu dem Maßnahmenpaket insgesamt sagte er:

"Die Kultusministerin kümmert sich um jede Stunde und um das letzte Krümelchen, das sie noch rauskehren können und dem Unterricht zuführen können, so arg brennt die Hütte. Man muss schon sehr verzweifelt sein, wenn man vollkommen unpopuläre Maßnahmen so angeht, wohlwissend dass sie gar nicht so arg viel bringen werden."

Auch die SWR-Community diskutiert das Theme rege. Die meisten Userinnen und User haben eine klare Meinung - sie lehnen die Pläne des Kultusministeriums ab:

Monika Stein, GEW-Landesvorsitzende, sieht ebenfalls Risiken. "Wenn das Kultusministerium an der Teilzeitschraube dreht, dann wird das dazu führen, dass Lehrerinnen und Lehrer etwas nachweisen müssen und dann befürchte ich, dass manche Leute ganz rausfallen. Das könnte dann am Ende mehr schaden, als dass es etwas bringt", sagte die Landeschefin der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft dem SWR. Schon jetzt gebe es viele Teilzeitkräfte, die aus gesundheitlichen Gründen nicht das volle Deputat erfüllen könnten, dies aber nicht als offizielle Begründung angeben würden.  

Kritik gab es auch an dem Plan, Referendarinnen und Referendare eine Wochenstunde mehr aufzubrummen. Das sei für die jungen Leute mit erheblichem Aufwand bei der Unterrichtsvorbereitung verbunden und treffe die Auszubildenden in einer Phase, in der sie jetzt schon stark belastet sein, sagte die GEW-Landeschefin.

GEW will Zugang zu Grundschulstudium erleichtern

Stein begrüßte es jedoch, dass die Landesregierung den bisherigen Klassenteiler nicht antasten wolle. Unverständlich findet Stein hingegen, dass die Landesregierung an den hohen Hürden für das Lehramtsstudium an Grundschulen festhält.

Grundsätzlich sagte die Gewerkschafterin zu dem Paket: "Ich habe den Eindruck, dass der Ministerpräsident das Thema Schulbildung als Chefsache erkannt hat, aber leider wird es nicht mit Geld und Macht hinterlegt. Und Bildungspolitik wird immer noch nicht in langen Linien gemacht. Die denken in Legislaturperioden, sonst würden sie den Numerus Clausus für Grundschulen entfernen. Die müssen an die nächste Landesregierung denken, sonst hinterlassen sie eine Wüste."

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Schoppers Kampf mit dem "Delta"

Das Kultusministerium hat vor allem mit fehlendem Nachwuchs für die Lehrerzimmer zu kämpfen. Im vergangenen Sommer mussten 5.500 neue Stellen besetzt werden, es wurden aber nur 4.100 Referendarinnen und Referendare fertig. Zudem müssen laut Schopper im Schnitt pro Jahr etwa 8.000 Schwangere ersetzt werden. Um die Lücken zu stopfen, greift das Land bisher auf den Bestand zurück. Das Ministerium setzte auf freiwillige Mehrarbeit und reaktivierte Pensionäre.

Der Vorsitzende des Landes-Eltern-Beirates Baden-Württemberg, Michael Mittelstaedt, kritisierte im SWR die Pläne der Kultusministerin.

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Stoch kritisiert Ministerin: "Versucht Probleme zu kaschieren"

SPD-Landeschef Stoch hielt Schopper vor, bisher wenig bewegt zu haben. "Aus meiner Sicht hat sie die Probleme bisher versucht zu kaschieren. Und es reicht eben nicht, die Probleme nur zu benennen, aber nicht zu lösen." Stoch schlug vor, die Lehrkräfte so zu entlasten, damit sich diese auf den Unterricht konzentrieren können.

"Lehrkräfte müssen heute nebenher die Schul-IT verwalten. Lehrkräfte müssen nebenher die Arbeit von Schulsozialarbeit und Schulpsychologen erledigen." Hier müsse die Landesregierung Fachkräfte einstellen. "Ich glaube, wenn wir wirklich zu guten multiprofessionellen Teams an unseren Schulen kommen, Lehrkräfte für den Unterricht und Menschen anderer Kompetenzen darum herum, dann hätten wir eine Entlastung der Lehrkräfte."

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