Eine Heimbewohnerin schiebt ihren Rollator mit FFP-2 Maske durch einen Gang in einem Altersheim. (Foto: dpa Bildfunk, picture alliance/dpa | Angelika Warmuth)

Sozialministerium hakt nach

Wie steht es um die einrichtungsbezogene Impfpflicht in Baden-Württemberg?

Stand

Zwar ist die allgemeine Corona-Impfpflicht gescheitert, aber seit Mitte März brauchen Beschäftigte in der Pflege einen Impfnachweis. Vielerorts wird jedoch eher auf Zeit gespielt.

Drei Monate nach Beginn der Corona-Impfpflicht für Beschäftigte in Altenheimen und Kliniken sind in Baden-Württemberg erst wenige Bußgelder gegen ungeimpfte Pflegekräfte verhängt worden. Das Sozialministerium hakt nun per Umfrage bei den Gesundheitsämtern nach.

Diesen Montag soll die Abfrage beendet sein und dann ausgewertet werden, sagte eine Ministeriumssprecherin der Deutschen Presse-Agentur in Stuttgart. Zwar sei der Spielraum der Kreise beim Umgang mit ungeimpften Beschäftigten groß, doch in der Hauptsache gehe es darum, Alte und Kranke in Heimen und Krankenhäusern zu schützen.

Kritik an der Impfpflicht

Aus Sicht von Joachim Walter, Präsident des Landkreistags, droht die Impfpflicht den Pflegenotstand im Land zu verschärfen. Er dringt darauf, die Regel auszusetzen. Auch die FDP im Landtag warnt: Bußgelder würden die Ungeimpften nicht zum Impfen bringen.

Auch seitens der AfD-Fraktion gab es Kritik: So warf sie dem Stuttgarter Sozialministerium vor, die Impfpflicht in der Pflege auf Biegen und Brechen durchdrücken zu wollen. "Völlig ohne Not wird hier ein Pflegenotstand provoziert", sagte die sozialpolitische Sprecherin, Carola Wolle, mit. Sie frage sich, wer unter solchen Arbeitsbedingungen noch in der Pflege arbeiten wolle. Landkreistagspräsident Walter sei schon auf der richtigen Spur, wenn er eine Aussetzung der Pflege-Impfpflicht fordere. "Diese Impfpflicht gehört aber nicht ausgesetzt, sondern endgültig abgeschafft", forderte die AfD-Frau.

Die einrichtungsbezogene Impfpflicht in der Pflege hatte eine Welle von Verfassungsbeschwerden ausgelöst, doch das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hat Mitte Mai entschieden: Sie ist verfassungskonform. ARD-Rechtsexperte Frank Bräutigam erklärt die Begründung des Gerichts.

Teil-Impfpflicht: Beschäftigten droht Freistellung

Im Landkreis Calw wurden bisher 81 Verfahren eingeleitet, in 15 Fällen wurden Bußgeldbescheide erlassen, so die Sprecherin. Die Betroffenen müssen 250 Euro zahlen und damit rechnen, dass sie unter Umständen bis Ende des Jahres in ihrem Job am Patienten nicht mehr arbeiten dürfen oder sogar ganz freigestellt werden.

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Das Landratsamt Karlsruhe leitete kürzlich Verfahren zur Einleitung eines Bußgeldes im zweistelligen Bereich an die Bußgeldstelle der Stadt Karlsruhe weiter. Im Kreis Reutlingen wurde in etwa 80 Fällen ein Bußgeld angedroht.

Viele Verfahren zur Teil-Impfpflicht in BW dauern noch an

In den vergangenen Wochen haben sich zehntausende Beschäftigte ohne Impfnachweis bei den Gesundheitsämtern gemeldet, doch in vielen Kreisen dauern die Verfahren noch an, wie eine Umfrage der Deutschen Presse-Agentur ergab. Das trifft zum Beispiel auf Mannheim, Tübingen, den Enzkreis oder den Kreis Breisgau-Hochschwarzwald zu.

Ein Sprecher des Landkreistags sagte, der Stand der Umsetzung variiere zwischen den Kreisen. "Es kommt unter anderem darauf an, welche Konsequenzen Bußgelder und sonstige Verwaltungsmaßnahmen für die Versorgungssicherheit haben würden und ob das jeweilige Gesundheitsamt aktuell nicht mit anderen prioritären Aufgaben befasst ist." Erst im Laufe der Woche wird das Sozialministerium Baden-Württemberg einen Überblick haben, wie es konkret in den Heimen aussieht und wo bereits Bußgeldbescheide verschickt wurden, so eine Sprecherin gegenüber dem SWR.

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Die Corona-Impfpflicht für das Pflege- und Gesundheitspersonal ist verfassungskonform. Das hat das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe entschieden. Für viele Pflegekräfte ist die Entscheidung ein "Schlag ins Gesicht".

Tübingen: Landkreispräsident tritt auf die Bremse

Im Landkreis Tübingen wurden bisher noch keine Bußgelder verhängt, sondern Erinnerungsschreiben verschickt. "Insgesamt gehen wir mit Bedacht und Augenmaß vor, zumal sich bei uns viele Einrichtungen melden, die uns bitten, keine Betretungsverbote zu verhängen", sagte Landrat Joachim Walter (CDU) der Deutschen Presse-Agentur. Kliniken befürchten demnach Personalmangel und dass Patientinnen und Patienten nicht mehr ausreichend versorgt werden können.

Walter lässt auch das Argument nicht gelten, mit der Impfpflicht würden Alte und Kranke geschützt. Die Corona-Schutzimpfung helfe zwar schwere Krankheitsverläufe zu vermeiden, jedoch reduziere sie bei der aktuellen Virusvariante das Übertragungsrisiko "nicht wirklich". Daher sei es politisch "durch nichts zu rechtfertigen, dass Beschäftigte des Gesundheits- und Pflegebereichs im Unterschied zu allen anderen Berufsgruppen ein Berufsverbot riskieren, wenn sie sich nicht impfen lassen", so Walter. Das geimpfte Personal habe eine noch höhere Arbeitslast zu tragen, was nicht selten zu weiteren Ausfällen führe.

Aus dem Sozialministerium heißt es dazu: Der Schutz der Heim-Bewohner werde auch künftig oberste Priorität haben. Wer sich nicht impfen lasse, müsse möglicherweise mit Maske und Schutzanzug arbeiten oder einer Tätigkeit im Heim nachgehen, bei der es keinen Kontakt mit den Bewohnern gebe.

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