Netzkultur

Wie KI zur Desinformationswaffe im Nahost-Krieg wird

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AUTOR/IN
Christian Schiffer

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Wie kaum in einem anderen Krieg spielt die KI im Nahostkonflikt eine Rolle bei der Propaganda und wird zur Desinformationswaffe. Dass künstliche Intelligenz Fakes und Manipulationen einfach macht, ist nicht neu. Mittlerweile ist es problemlos möglich, per KI Stimmen zu klonen und jemandem Dinge in den Mund zu legen, die diese Person niemals gesagt hat. Und in kaum einer anderen Situation wird Desinformation so begierig konsumiert und verbreitet, wie im Krieg.

Deep-Fake-Video nach dem Überfall der Hamas

Bella Hadid stands with Israel. Sinwar didn’t expect to get this surprise for his 61 birthday 🎈🎂#WeFixedItForBella pic.twitter.com/ZcXy42hP04

Bella Hadid ist ein bekanntes amerikanisches Model. Die 27-Jährige ist Tochter eines jordanischen Immobilienhändlers palästinensischer Abstammung und bekannt für Ihre harsche Kritik an Israel. Doch Ende Oktober taucht im Internet ein kurzer Clip von ihr auf. Hadid entschuldigt sich für ihre Aussagen in der Vergangenheit. Der brutale Terror gegen israelische Zivilisten am 7. Oktober hätte alles verändert.

Tonspur und Lippenbewegungen nicht synchron

Das Video ist natürlich fake oder genauer: Es ist ein deep fake, also ein Clip, der mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz manipuliert wurde. Wer genau hinschaut und hinhört, dem fällt schnell auf, dass die Tonspur nicht hundertprozentig zu den Lippenbewegungen passt.

KI-Bilder und -Videos sind längst Teil des Informationskrieges

Das gefakte Bella Hadid-Video ist nur eines von zahlreichen Beispielen, wie KI gerade in der Propaganda-Schlacht zwischen Israel und der Hamas genutzt wird. Der aktuelle Krieg in Nahost ist der erste, bei dem KI diesbezüglich eine größere Rolle spielt. Eine neue Technologie mit viel Missbrauchspotenzial trifft hier auf eine extrem aufgeheizte und emotionalisierte Stimmung. Vor allem KI-Bilder sind es, die sich rasend schnell verbreiten.

Kürzlich ging das vermeintliche Foto eines Vaters aus Gaza viral, der vier Kinder auf seinen Schultern trägt, deren Arme und Beine bei genauerem Hinsehen aber eine unplausible Anatomie aufwiesen. Große Verbreitung fand auch das Bild eines kleinen palästinensischen Jungen in einem Trümmerfeld. Was viele nicht bemerkten: Das Kind hatte an der Hand sechs anstatt fünf Finger – ein eindeutiges Zeichen, dass das fotorealistische Bild KI-generiert war. Gefakte Bilder und Videos sind das eine, doch KI wird auch auf eine andere Art Teil des Informationskrieges.

Umgekehrt werden echte Bilder als Fakes gebrandmarkt

Der umstrittene britische Prediger Didar Hasan etwa behauptet, dass die Verbrechen der Hamas in Israel Lügen seien und die grausamen Bilder raffinierte KI-Fälschungen. Immer wieder wird die bloße Existenz von Künstlicher Intelligenz als Vorwand benutzt, um die Hamas-Verbrechen an israelischen Zivilisten zu leugnen. Hinzu kommt, dass es rein technisch keine absolut sichere Möglichkeit gibt, um KI-Fakes zu detektieren, eher im Gegenteil.

KI-Erkennungswerkzeug hielten das Foto einer verkohlten israelischen Babyleiche für wahrscheinlich KI-generiert, für ein Fakebild also – Wasser auf die Mühlen derjenigen, die glauben, Israel hätte den Terror vom 7. Oktober selbst inszeniert.

Im Krieg stirbt die Wahrheit als erstes

Und hier liegt die eigentliche Gefahr der KI-Desinformation im Krieg: Nicht so sehr darin, dass jeder KI-Fakes glaubt, sondern dass echte Bilder und Videos plötzlich unter den Fake-Verdacht geraten. „Im Krieg stirbt die Wahrheit als erstes“, heißt es immer wieder. Im KI-Zeitalter stirbt die Wahrheit nun sogar etwas schneller.

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Mitten drin im „Informationskrieg“ – nach dem Anschlag der Hamas in Israel hat die Menge an Fake-News in den Netzwerken eine nie da gewesene Qualität erreicht. Nachrichten werden für die einen selbst Kriegswerkzeug dank Manipulation.

Von angeblichen Kidnapping-Videos palästinensischer Mädchen, über aus dem Kontext gerissene ägyptische Fallschirmspringer bis hin zu Cristiano Ronaldo angeblich mit einer palästinensischen Flagge im Stadion. Das stellt den Journalismus vor neue Herausforderungen, sagt Josha Weber, Journalist beim Fact-Checking Deutsche Welle: “So eine Flut an aus dem Kontext gerissenen Falschinformationen wie wir sie derzeit erleben, hat es so auch im Ukrainekrieg noch nicht gegeben. Wir kommen als Fakten-Checker gar nicht hinterher, wir können nur einen kleinen Teil davon analysieren.”

„Wir müssen die Plattformen, auf denen Desinformationskampagnen stattfinden, noch stärker in die Verantwortung nehmen. Gerade Elon Musk versucht zurzeit X/Twitter wieder so zu führen wie 2008“, sagt Christian Katzenbach, Professor für Kommunikations- und Medienwissenschaft Alexander von Humboldt Institut für Internet und Gesellschaft (HIIG)

Mit ihm gehen wir der Problematik um YouTube, Facebook, TikTok, Instagram, WhatsApp, Telegram und den vielen anderen Plattformen auf den Grund. “Die benutzen wir immer noch zu achtlos”, sagt Bernhard Pörksen, Medienprofessor Universität Tübingen, "Wir achten beim Medienkonsum bisher viel zu wenig auf die Quelle. Aber die Quelle einer Information ist das entscheidende Detail bei der Einordnung”

Laut Josha Weber fordern manche sogar noch mehr: “KI-Experten sagen uns, wir müssen lernen umzudenken: Wir müssen in Zukunft davon ausgehen, dass das, was im Netz steht, erstmal nicht stimmt.” Der Manipulationsverdacht wird also künftig allgegenwärtig.

Mailt uns Feedback und Themenideen an kulturpodcast@swr.de.

Host: Christian Batzlen
Showrunner: Julian Burmeister
Sendungsmusik (Intro): “The Great Debate” (Dream Theater)

Links zur Sendung:
https://www.nzz.ch/feuilleton/weltbilder-erschuettern-mit-arnold-schwarzenegger-oder-wie-man-desinformation-und-propaganda-wirksam-bekaempft-ld.1691236

https://uni-tuebingen.de/forschung/zentren-und-institute/internationales-zentrum-fuer-ethik-in-den-wissenschaften/publikationen/blog-bedenkzeiten-alt/weitere-blog-artikel/schaden-deepfakes-wirklich-der-demokratie/

https://www.boell.de/de/2020/10/12/fehlinformationen-verstehen-unsere-gesellschaft-unsere-technologie-wir-selbst

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Christian Schiffer