SWR2 Wissen: Spezial | Das Tier und Wir (6/10)

Tiere essen?

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Uwe Springfeld
Uwe Springfeld (Foto: David Springfeld)
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Eingepfercht, gemästet, geschlachtet – obwohl das Halten und Schlachten von Tieren in Übereinstimmung mit dem Tierschutzgesetz steht, ist für viele Tierschützer das Essen von Fleisch moralisch verwerflich. Gibt es einen Ausweg aus dem Dilemma?

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Tiere essen – ein schwieriges und höchst umstrittenes Thema

Tiere werden gehalten, gemästet, geschlachtet und gegessen – ein Prozess, der größtenteils hinter geschlossenen Fabriktoren abläuft. Am Ende sehen wir nur das fertige Produkt. Und davon kommt in Deutschland eine Menge auf die Teller: Pro Tag sind es etwa 170 Gramm Fleisch- und Wurstwaren. Das sind 5 Kilo pro Monat, 60 Kilo im Jahr.

Obwohl in Deutschland Woche für Woche eine Million Schweine geschlachtet werden, muss einiges von dem importiert werden, was man in Deutschland isst. Was weniger gegessen wird, geht in den Export: Schweineköpfe, Ohren oder Schweinefüße. Das sind die Teile, die man in Fleischauslagen ungern sieht – vielleicht, weil sie zu sehr an das Lebewesen erinnern, das geschlachtet wurde?

Abgesehen von den gesundheitlichen Risiken, die regelmäßiger Fleischkonsum mit sich bringen kann, winden wir uns um die moralische Frage: Darf man Tiere um des Essens Willen töten oder nicht?

Das Lebewesen wird vom Lebensmittel abgekoppelt – für das gute Gewissen

Es bleibt kontrovers: Einerseits halten wir Menschen Haustiere, füttern und streicheln sie, geben ihnen Namen und sprechen ihnen Persönlichkeiten zu. Auf der anderen Seite wissen wir um die Bedingungen in Mastbetrieben und auf Schlachthöfen und greifen beim nächsten Kantinengang trotzdem zum Schnitzel.

Woher kommt diese Kluft zwischen beseeltem Tier und Nahrungsmittel? Dem emeritierten Historiker Richard Bulliet von der Columbia University in New York zufolge sind es vor allem Schuldgefühle, deretwegen wir Lebewesen und Lebensmittel voneinander abkoppeln. Die Milch aus der Plastiktüte, das abgepackte Steak aus dem Kühlfach – laut Bulliet gibt es so gut wie keine Berührungspunkte mehr zum Tier. Früher war das anders:

"Vor 1970 wurde den Kindern schnell bewusst, dass man Tiere töten muss. Entweder lebten sie auf einem Bauernhof, oder sie wussten, dass einem Huhn zum Abendessen der Kopf abgeschnitten wird oder Ähnliches. In der heutigen Zeit wird das Töten von Tieren versteckt."

Haltungsform auf der Wurstpackung: Hilft das dem Tierwohl?

Trotzdem scheint die Sorge ums Tierwohl in der Gesellschaft durchaus etabliert. Darauf deuten Tierrechtsbewegungen, Trends wie Veganismus und auch die strengen Tierschutzverordnungen in Deutschland.

Hafermilch, Tofuschnitzel, Lupinenjoghurt: Vegetarische bzw. vegane Ersatzprodukte sind voll im Trend. Viele Ernährungsbewusste verzichten zudem auf Kuhmilch im Kaffee: Alternativen aus Hafer, Reis oder Mandeln finden sich inzwischen in jedem Discounter. (Foto: IMAGO, Panthermedia)
Hafermilch, Tofuschnitzel, Lupinenjoghurt: Vegetarische bzw. vegane Ersatzprodukte sind voll im Trend. Viele Ernährungsbewusste verzichten zudem auf Kuhmilch im Kaffee: Alternativen aus Hafer, Reis oder Mandeln finden sich inzwischen in jedem Discounter.

So sollte der Mastbetrieb durch die Einführung verschiedener Haltungsformen verbessert werden. Sie kam von der Initiative Tierwohl, einem Zusammenschluss von Unternehmen aus der Land- und Fleischwirtschaft, dem Lebensmittelhandel und der Gastronomie.

Ist es damit getan? Reicht es, nur noch Produkte ab Haltungsstufe drei zu kaufen, weil man hier von "ausreichend Tierwohl" ausgehen kann? Schwierig, meint die Verhaltensbiologin Edna Hillmann von der Humboldt-Universität in Berlin. Tierwohl ist sehr artspezifisch. Ihr zufolge ist es kaum möglich, das Wohlergehen der Nutztiere in großen Stallbetrieben wirklich nachzuvollziehen.

Auf der Wiese herumtollen, im Schlamm wälzen: So viel Glück haben die wenigsten Ferkel. Die meisten Mastschweine verbringen ihr Dasein eingepfercht in gigantischen Stallanlagen. Dabei brauchen Schweine, wie auch Rinder, Schafe und andere Nutztiere, viel Auslauf und frische Luft. (Foto: picture-alliance / Reportdienste, Boris Roessler)
Auf der Wiese herumtollen, im Schlamm wälzen: So viel Glück haben die wenigsten Ferkel. Die meisten Mastschweine verbringen ihr Dasein eingepfercht in gigantischen Stallanlagen. Dabei brauchen Schweine, wie auch Rinder, Schafe und andere Nutztiere, viel Auslauf und frische Luft.

Laut Tierschutzgesetz gerechtfertigt: Tiere töten für Lebensmittelproduktion

Erreichen die Tiere das gewünschte Mastendgewicht, steht die Schlachtung bevor. Das Tierschutzgesetz verbietet zwar das grundlose Töten von Tieren, die Produktion von Lebensmitteln wird vom Gesetz her aber als Grund akzeptiert. Wenn also Schlachter Tiere töten, um daraus Lebensmittel zuzubereiten, ist das erlaubt.

Allerdings wird längst nicht alles gegessen, was geschlachtet wird:Jährlich 346 Millionen Kilogramm Fleisch landen in Deutschland im Müll. Dafür müssten, aufs Gewicht umgerechnet, 45 Millionen Hühner, 4 Millionen Schweine und 200.000 Rinder sterben. Die eine Hälfte wird daheim weggeworfen, die andere Hälfte geht zulasten der Logistik – unterbrochene Kühlkette, abgelaufenes Haltbarkeitsdatum und so weiter.

Fleisch der Zukunft: Stammzell-Steak aus der Retorte?

Moralisch fragwürdig, schlecht für das Klima – gegen Massentierhaltung spricht vieles. Höchste Zeit, Fleischproduktion und -konsum neu zu denken. Diesem Ziel hat sich der Think Tank New Harvest verschrieben. Mithilfe von Zellbiologie versucht das Team rund um die Geschäftsführerin Isha Datar die Fleisch- und Wurstwirtschaft zukunftsfähig machen. Denn Fleisch, sagt sie, bekommt man nicht nur durchs Schlachten von Tieren. Bald kann man es aus Stammzellen ziehen. Davon ist Datar überzeugt:

"Wir könnten Zellkulturen miteinander teilen. Wir könnten diese riesigen Mengen an Nahrungsmitteln oder sehr kleine Mengen an Lebensmitteln lokal anbauen, je nachdem, welche Ressourcen wir um uns haben. Ich denke, es ist noch spekulativ und liegt in der Zukunft, aber ich sehe es als etwas, das möglich sein könnte."

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