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Anwalt überflüssig? – Online-Rechtshilfe für Bürger

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AUTOR/IN
Peggy Fiebig
ONLINEFASSUNG
Ulrike Barwanietz
Candy Sauer

„Legal Tech“ bedeutet so viel wie „digitale Rechtsdurchsetzung“. Denn hier prüfen Algorithmen statt Anwaltskanzleien die Rechtsansprüche von Klienten. Das Geschäftsfeld boomt, auch zum Vorteil der Nutzerinnen und Nutzer.

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Wie funktioniert Legal Tech?

Das Legal Tech „wenigermiete.de“ beispielsweise ist ein Portal im Internet, das Mieterinnen und Mieter dabei unterstützt, eine überhöhte Miete zu senken. Auf der Internetseite können Angaben zur Wohnung gemacht werden, eine erste Schätzung wird herausgegeben und den Rest erledigt das Unternehmen Conny, ehemals Lexfox, das hinter „wenigermiete.de“ steht. Algorithmen prüfen die Rechtsansprüche des Falls und gehen in Verhandlung mit dem Vermieter.

Ziel von Legal Tech ist es, möglichst wenig menschliche Arbeit einzusetzen und alle automatisierbaren Vorgänge über Software abzubilden.

Das Attraktive für die Nutzer von „wenigermiete.de“: Sie müssen nur im Erfolgsfall zahlen – in der Regel einen vorher festgelegten Anteil der erstrittenen Summe. Sieht der Kunde oder die Kundin dagegen kein Geld, geht auch das Legal-Tech-Unternehmen leer aus. Faktisch besteht also kein Risiko.

Es gibt Legal Tech für zahlreiche Rechtsgebiete:

  • Mietrecht und Prüfung auf Mietminderungen
  • Entschädigungen bei Flugverspätungen
  • Abfindungen im Arbeitsrecht
  • Prüfung von Hartz-IV-Bescheiden
  • Verkehrsrecht, etwa bei Bußgeldern wegen Geschwindigkeitsüberschreitungen

In Deutschland dürfen nur Anwaltskanzleien rechtlich beraten

Ganz unumstritten ist so ein Geschäftsmodell allerdings nicht. Denn in Deutschland dürfen nur Anwaltskanzleien rechtlich beraten. Das steht im sogenannten Rechtsdienstleistungsgesetz.

Allerdings ist dort eine Ausnahme vorgesehen: Auch sogenannte Inkassounternehmen dürfen, wenn sie sich Ansprüche abtreten lassen und diese dann durchsetzen, in gewissem Rahmen Rechtsdienstleistungen erbringen. Viele der Legal-Tech-Unternehmen haben deshalb eine Inkasso-Erlaubnis beantragt.

Angefangen hat alles vor gut zehn Jahren. Damals ging es noch nicht darum, die Interessen von Mietern durchzusetzen. Es ging darum, Fluggesellschaften zu zwingen, bei Verspätung oder Flugausfall die gesetzlich vorgesehenen Entschädigungen zu zahlen. Die hatte im Jahr 2005 eine Europäische Verordnung detailliert festgelegt.

Findige Start-Up-Unternehmer wie Philipp Kadelbach kamen damals auf die Idee, das Ganze zu automatisieren. Er gründete „Flightright“, das erste Unternehmen dieser Art in Deutschland.

Gerichte ächzen unter der automatisierten Klagewelle von Legal Tech

Seine Erfolge verschweigt das „Flightright“ nicht. Bisher habe man schon über 300 Millionen Euro Entschädigung für die Kunden durchgesetzt, heißt es auf der Internetseite.

Währenddessen ächzt das Amtsgericht Königs Wusterhausen unter dem gesteigerten Geschäftsanfall. Denn in den fünf Jahren vor der Corona-Pandemie hat sich die Zahl der Fluggastklagen in Königs-Wusterhausen mehr als verfünffacht. Und auch während der Pandemie werden die Gerichte eingeschaltet, denn viele Flugunternehmen spielen auf Zeit und zahlen nicht oder eben erst auf Grund eines entsprechenden Richterspruches.

Es ist ein bisschen wie David gegen Goliath. Wo Flightright mit modernsten Mitteln arbeitet, Klagen bündelt und die digitale Technik bestmöglich nutzt, lebt das Amtsgericht Königs Wusterhausen weitgehend in der analogen Welt, locht, heftet ab und prüft jede einzelne Klage ganz individuell. Währenddessen boomt der Legal-Tech-Markt. Nicht nur bei Anwendungen für Verbraucherinnen und Verbraucher.

Auch Kanzleien profitieren von der Automatisierung

Algorithmen können helfen, die Arbeit von Kanzleien zu effektivieren, erklärt Markus Hartung, Rechtsanwalt und Kanzleiberater. Er hat eines der Standardwerke zu Legal Techs geschrieben und beobachtet seit längerem die Entwicklung in diesem Bereich.

Vor allem bei großen, wirtschaftsrechtlich ausgerichteten Kanzleien sei das Thema Legal Tech nicht mehr wegzudenken. Anwendungen, die den Umgang mit Dokumenten erleichtern, sind besonders begehrt. Denn das ist in der Regel der Kern anwaltlicher Tätigkeit.

Die Legal Techs verändern die Rechtsberatung. Mandantinnen und Mandanten werden zu Kundinnen und Kunden von Online-Unternehmen – immer dann, wenn es viele ähnlich gelagerte Fälle gibt. Eine individuelle Rechtsberatung bieten nach wie vor nur Kanzleien. Doch für junge Juristinnen und Juristen eröffnet die neue Technik auch zahlreiche neue Geschäftsfelder.

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