SWR2 Wissen

Stuttgart 21 – Tunnelbau in gefährlichem Gestein

STAND
AUTOR/IN
Karl Urban

Audio herunterladen (25,4 MB | MP3)

Stuttgart bekommt einen neuen Bahnhof. 55 Kilometer Tunnel mussten quer durch die Hügel rund um die Stadt getrieben werden. Ein Wagnis, denn unter Stuttgart liegt viel Anhydrit. An diesem Mineral sind schon etliche Tunnelprojekte gescheitert.

Was ist Anhydrit?

Anhydrit bildet ein graues, mit schwarzen Schlieren durchzogenes, unscheinbares Gestein, das tief unter Stuttgart liegt. Kommt er mit Wasser in Kontakt, kann er quellen. Das heißt, er löst sich in Wasser und kristallisiert zu Gips aus. Der Gips braucht aber 60% mehr Platz als der Anhydrit und kann beim Quellen einen immensen Druck aufbauen.

Ein Druck, der sich auf den Tunnel überträgt, ihn beschädigen oder sogar zerstören kann. In einem Dutzend anderer Tunnel gab es solche Schäden. Und in Staufen im Breisgau hob sich in Folge einer Bohrung nach Erdwärme die historische Altstadt.

Anhydrit (Foto: IMAGO, imageBROKER/Angela Serena Gilmour)
Anhydrit imageBROKER/Angela Serena Gilmour

Wie ist der Anhydrit entstanden?

Was heute Südwestdeutschland ist, ist vor 230 Millionen Jahren ein Meer. Die ersten Dinosaurier ziehen gerade über die Welt. Die Region um Stuttgart liegt auf Höhe der Sahara, im Trockengürtel des Superkontinents Pangäa. Das Land hebt sich und das nahe Tethysmeer zieht sich zurück. Es ist brütend heiß, tagsüber weit über 40 Grad. Und die Reste des Meeres verdampfen.

Anhydrit entsteht, wenn ein Meer eindampft

"Wenn ein Meer eindampft, dann fallen die verschiedenen Minerale nach ihrer Löslichkeit aus", sagt Christoph Butscher, Geowissenschaftler an der TU Freiberg. Das Wasser verdampfte, darin gelöste mineralische Salze aber nicht. Die blieben übrig. "Das, was am schlechtesten lösbar ist, fällt zuerst aus." Das ist Kalk. "Und dann kommen diese Sulfate, in dem Fall Gips oder Anhydrit. Und es entsteht nur, wenn wir eine Eindampfung von einem Meer haben."

Das Gestein ist also ein Verdunstungsrest und in einem extrem trockenen Vorzeitklima entstanden. Kommt es heute nun - Jahrmillionen später - wieder mit Wasser in Berührung, zieht es die Feuchtigkeit wieder an.

Dann wird daraus Gips und das Gestein quillt auf wie ein Hefekuchen. Der Druck kann so stark werden, dass sich Fahrbahnen heben, meterdicke Betonwände brechen. Deshalb ist es so wichtig, jeden Kontakt mit Wasser zu vermeiden. Bisher ist in Stuttgart nichts passiert. Doch wird das auch so bleiben?

Ob das gelingen wird? Karl Urban ist in seiner Sendung für SWR2 Wissen dieser Frage nachgegangen.

30.9.2010 Räumung für Stuttgart 21: Der "schwarze Donnerstag"

30.9.2010 | Im Jahr 2010 rücken die Bauarbeiten für das Bahnprojekt Stuttgart 21 immer näher. Im gleichen Maß wächst der Protest. S21-Gegner besetzen auch die Bäume im Stuttgarter Schlosspark – die ab dem 1. Oktober gefällt werden sollen. Und so eskaliert die Lage am 30. September – dem Tag, der als Schwarzer Donnerstag in die Geschichte der Stadt eingehen soll. Das Land hat sich Polizeiverstärkung aus anderen Bundesländern geholt. Schlagstöcke, Pfefferspray und Wasserwerfer kommen zum Einsatz, es gibt Schwerverletzte, ein Mann wird dauerhaft erblinden.
Der Schwarze Donnerstag hatte juristische Folgen, nicht für mehr als 80 Demonstranten, gegen die Ermittlungen eingeleitet wurden, sondern auch für einige Polizisten und für den Polizeipräsidenten Stumpf. Den Einsatz von Schlagstöcken und Pfeffersprays beurteilte das Amtsgericht Stuttgart in vielen Fällen als unverhältnismäßig. Im Jahr 2015 urteilte das Verwaltungsgericht Stuttgart, dass der Polizeieinsatz zur Räumung des Schlossgartens rechtswidrig war.

Rückblick und was bis heute bleibt Stuttgart 21: Zehn Jahre Schwarzer Donnerstag

Der Polizeieinsatz am 30. September 2010 gegen Stuttgart 21-Gegner ist als Schwarzer Donnerstag in die Geschichte eingegangen. Was damals geschah wirkt bis heute nach.

STAND
AUTOR/IN
Karl Urban