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Streit um Stromtrassen – Muss norddeutscher Windstrom in den Süden?

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Ralf Hutter
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Gábor Paál
Gábor Paál (Foto: SWR, Oliver Reuther)

Die Politik sagt: Um die Energiewende umzusetzen, brauchen wir drei Starkstromtrassen, die den Ökostrom nach Süddeutschland bringen. Doch die wahren Motive sind andere.

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Philippsburg: Windstrom statt Atomkraft?

Mitte Mai hat sich die Landschaft bei Karlsruhe etwas verändert: Die Kühltürme des Atomkraftwerks Philippsburg wurden gesprengt. Doch der Ort soll ein Schlüsselort der Energieversorgung bleiben. Denn hier ist ein großer Konverter geplant, der Strom aus der Ferne fürs regionale Stromnetz umwandelt. In Philippsburg soll nämlich das Ultranet enden, eine von drei großen Starkstromtrassen, die angeblich Windstrom aus dem Norden in den Süden bringen sollen.

Drei Trassen

Die umstrittenen Nord-Süd-Trassen werden nämlich mit einer relativ neuen Technik gebaut: Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragung, HGÜ. Sie eignet sich für den Transport von besonders viel Strom über besonders lange Strecken, da im Vergleich zu einer Wechselstromleitung sehr wenig Strom verloren geht. Der Nachteil: Es gibt auf der gesamten Strecke keine Abzweigung. Die Regionen, durch die so eine Trasse führt, haben also nichts davon.

Drei HGÜ-Korridore sind geplant: im Osten, im Zentrum und im Westen der Republik

  • Der Südostlink soll von Sachsen-Anhalt bis ins südöstliche Bayern verlaufen.
  • Der Südlink soll aus zwei Leitungen bestehen, die beide an der östlichen Nordseeküste beginnen. Sie verlaufen dann fast die gesamte Strecke zusammen. Die eine Leitung biegt dann in den Nordwesten Bayerns ab, die andere führt weiter bis nach Großgartach, einen Vorort von Heilbronn.
  • Das Ultranet ist der dritte, westliche Trassenkorridor, der seinerseits aus zwei Abschnitten besteht. Der eine soll an der Nordsee beginnen und in der Nähe von Düsseldorf enden. Dort soll also Strom abfließen können. In Düsseldorf schließt sich dann ein südlicher Abschnitt an, der durch Rheinland-Pfalz und Hessen bis zum ehemaligen Atomkraftwerk Philippsburg führen soll. Er könnte auch Strom aus dem Westen aufnehmen.

Die Energiewende – ein vorgeschobenes Argument?

Die Politik begründet die Trassen mit der Energiewende: Wenn die Kernkraftwerke abgeschaltet sind, ist Süddeutschland auf Windstrom aus dem Norden angewiesen – dafür müssten die Stromtrassen gebauten. Doch ist es wirklich so?

„Das ist sicher ein schönes Bild für die Medien, aber Netzausbau findet aus ganz verschiedenen Gründen statt“, sagt Energieexperte Andreas Ulbig von der ETH Zürich. Es gehe nicht um Beseitigung von drohenden Stromengpässen, sondern um Anforderungen des Europäischen Strommarkts.

„Sie müssen wissen, dass eines der wichtigsten Ziele der europäischen Politik der europäische Strombinnenmarkt ist“, erklärt Fiete Wulff, Sprecher der Bundesnetzagentur.

Warum sonst wird zum Beispiel Südlink – eine rein innerdeutsche Leitung – von der EU-Kommission zu einem „Projekt im gemeinsamen europäischen Interesse“ erklärt? Tatsächlich geht es nicht nur um Stromtransport von der Nordsee nach Baden-Württemberg, sondern weit darüber hinaus. Strom soll von Skandinavien nach Südeuropa fließen – durch Deutschland. Und nirgendwo steht, dass dabei nur Ökostrom transportiert werden soll.

Ziel: Preisstabilität beim Strom

Als Transitland für Strom hat die Bundesrepublik nämlich Nachholbedarf: Das Bundeswirtschaftsministerium erklärt auf Anfrage von SWR2 Wissen, dass Deutschland die neue EU-Norm für Handelskapazitäten nicht erfüllt und deshalb eine Übergangsfrist bis 2025 beantragt hat, in der das deutsche Stromnetz entsprechend ausgebaut werden soll.

Schafft Deutschland das nicht, droht eine zwangsweise Aufspaltung des deutschen Netzes in zwei Preiszonen. Der Strom im Süden würde dann aufgrund der hohen Nachfrage teurer. Doch die Bundesregierung will der Industrie zuliebe selbst leicht erhöhte Preise in Baden-Württemberg und Bayern verhindern.

Genügend Strom auch ohne Trassen

Das Ende der Kernenergie scheint auch nicht das zentrale Argument zu sein. Ende 2022 werden alle deutschen Atomkraftwerke abgeschaltet sein. Doch drei Trassen haben nun schon drei bis fünf Jahre Verspätung, zum Teil wird es noch mehr werden. Bisher aber sehen Fachleute deshalb noch kein Versorgungsproblem auf uns zukommen.

In den offiziellen Dokumenten wird auch gar keine technische Notwendigkeit begründet. So ist im aktuellen Netzentwicklungsplan für 2030 Folgendes zu Südlink zu lesen:

„Bayern und Baden-Württemberg werden auch im Jahre 2030 preiswerten Strom auf einem einheitlichen deutschen Strommarkt nachfragen.“

Umweltorganisationen beim Netzausbau gespalten

Es geht also nicht um Strom an sich, sondern um preiswerten, meint Linke-Politiker Ralph Lenkert. Die Linke kritisiert den Netzausbau als übertrieben. Er diene dazu, die Preise im Stromgroßhandel niedrig zu halten. Davon profitieren primär Industriekundinnen, die sehr wenig Netzentgelte zahlen, in Extremfällen fast gar keine.

Unter Umweltschützern gehen die Meinungen auseinander. Besonders zerrissen zeigt sich der BUND. Eigentlich ist er gegen die Trassen. Doch der Baden-Württembergische Landesverband befürwortet sie und unterstützt darin die grün-schwarze Landesregierung. An der Basis wiederum regt sich Widerstand – vor allem in der Region Heilbronn-Franken, wo Südlink enden soll.

Gottfried May-Stürmer ist seit 1985 Geschäftsführer des dortigen BUND-Regionalverbands und kritisiert: „Der Umweltminister tut viel, um diese HGÜ-Leitungen durchzusetzen. Ich habe noch kein kritisches Wort von Minister Untersteller an der grundsätzlichen Gestaltung des Strom-Markts gehört.“

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