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Posttraumatische Belastungsstörungen – Welche Therapien helfen können

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Franziska Hochwald
Franziska Hochwald (Foto: SWR, privat)
ONLINEFASSUNG
Ulrike Barwanietz
Candy Sauer

Gewalt, Mobbing, Missbrauch, Unfälle oder Kriegserlebnisse – Erfahrungen, die wir nicht verarbeiten können, machen krank. Doch die posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) verankert sich nicht nur in der Psyche, sondern auch im Körper Betroffener. Entsprechend vielfältig sind die Therapieformen. Vier davon sind hier vorgestellt.

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PTBS: vielfältige körperliche und psychische Symptome

Schlaflosigkeit, Flashbacks, das Gefühl der Wertlosigkeit oder Angstzustände sind nur einige der vielfältigen körperlichen und psychischen Symptome der posttraumatischen Belastungsstörung. Die Wahrscheinlichkeit bei Männern, zu irgendeinem Zeitpunkt ihres Lebens an PTBS zu erkranken, wird auf 5 bis 6 Prozent geschätzt, bei Frauen sind es sogar 10 bis 12 Prozent.

Traumata müssen nicht an ein einschneidendes Ereignis geknüpft sein

Lange Zeit gab es die Diagnose posttraumatische Belastungsstörung, kurz PTBS, nur für einzelne Traumata. Im aktuellen ICD-11, der Internationalen Klassifikation von Erkrankungen, ist nun auch die komplexe posttraumatische Belastungsstörung aufgeführt. Komplex heißt, dass mehrere Traumata über einen längeren Zeitraum hin bestanden.

Traumata wirken sich auf körperliche Gesundheit aus und schädigen DNA

Psychischer Stress verursacht häufig erhöhten oxidativen Stress in den Zellen. Vor allem die Mitochondrien, die Kraftwerke der Zellen, werden dabei überlastet. Das führt zu chronischen Erschöpfungszuständen und beeinträchtigt den generellen Gesundheitszustand. Deshalb sollten gerade traumatisierte Menschen besonders darauf achten, gut mit Mikronährstoffen wie Vitaminen und Mineralstoffen versorgt zu sein.

Doch auch unsere Erbsubstanz wird von Traumata in Mitleidenschaft gezogen, so Iris Tatjana Kolassa, die an der Universität Ulm erforscht, wie sich die PTBS auf Zellebene auswirkt. Das ist ein Bereich, der bislang noch wenig untersucht ist.

"Oxidativer Stress schädigt auch unsere DNA. Wir haben zum Beispiel gezeigt, dass Personen, die traumatische Ereignisse erlebt haben, tatsächlich ein Mehr an Schädigung ihrer DNA aufweisen."

Welche Therapien sind hilfreich bei PTBS?

An der Uni Ulm leitet Iris Tatjana Kolassa ein Projekt namens ENHANCE. Darin wird verglichen, wie wirksam unterschiedliche Therapiemethoden sind. Doch welche Therapien gibt es bei PTBS? Im folgenden werden vier Therapieformen vorgestellt.

Trauma-fokussierte Psychotherapie

Die Krankenkassen sehen für die Behandlung der PTBS in den Leitlinien ihres gemeinsamen Bundesausschusses die sogenannte trauma-fokussierte Psychotherapie vor (Foto: IMAGO, IMAGO / ingimage)
Die Krankenkassen sehen für die Behandlung der PTBS in den Leitlinien ihres gemeinsamen Bundesausschusses die sogenannte trauma-fokussierte Psychotherapie vor

Der Psychologe Roberto Rojas leitet den verhaltenstherapeutischen Teilbereich des ENHANCE Projektes an der Uni Ulm und erklärt den Prozess einer trauma-fokussierten Psychotherapie:

"Wir haben zwei Phasen. In dieser ersten Phase werden sogenannte Skills oder Fertigkeiten zur Emotionsregulation und zur Entwicklung von sozialen Kompetenzen zunächst erlernt. Und wenn diese Phase abgeschlossen ist, gehen wir in eine zweite Phase. Das ist die narrative Therapie, in der die Patienten tatsächlich mit den traumatischen Ereignissen aus der Vergangenheit auseinandersetzen. Wir nennen das Exposition oder Konfrontation in sensu, in der Fantasie."

Auf diese Weise soll erreicht werden, dass die Patienten Wege finden, mit der traumatischen Erinnerung umzugehen.

"Wir versuchen, dass die Patienten sich mit der Erinnerung auseinandersetzen, damit das sogenannte Traumagedächtnis verarbeitet wird. Wir wollen, dass die Patienten in der Therapie lernen: Das gehört zur Vergangenheit, heute im Hier und Jetzt passiert es nicht. Die Patientin kann diese Erinnerungen in der Vergangenheit orten und entsprechend speichern."

Dennoch gibt es viele Patienten, die trotz jahrelanger Psychotherapie keine Besserung erfahren. Jenseits von Verhaltenstherapie und psychodynamischen Ansätzen gibt es inzwischen eine Reihe von anderen therapeutischen Verfahren, die für die Verarbeitung von Traumata gute Ergebnisse zeigen.

EMDR – Eye movement desensitization and reprocessing

Eine Alternative zur Gesprächstherapie bei PTBS ist EMDR - hier wird mit der Augenbewegung gearbeitet (Foto: IMAGO, IMAGO / Westend61)
Eine Alternative zur Gesprächstherapie bei PTBS ist EMDR - hier wird mit der Augenbewegung gearbeitet

Hinter der englischen Abkürzung EMDR verbirgt sich eine Beschreibung des Verfahrens: Eye movement desensitization and reprocessing, also zu Deutsch "Desensibilisierung und Aufarbeitung mithilfe von Augenbewegungen".

Karsten Böhm ist psychologischer Psychotherapeut und Vorstand von EMDRIA Deutschland, der Fachgesellschaft, die sich für Psychotraumatologie einsetzt, also für die Erforschung und Behandlung von psychischen Traumafolgen. Er erklärt:

"Im Endeffekt macht man sich bei EMDR einen besonderen Wirkmechanismus zunutze. Man nimmt nämlich das Arbeitsgedächtnis, das für uns Menschen in der Verarbeitung eine wichtige Rolle spielt. Ich hole etwas in mein Bewusstsein, dann gehe ich damit in Kontakt und darüber kann ich verarbeiten."

Während die Patientin an Aspekte ihres Traumas denkt, wird sie dazu angehalten, ihre Augen regelmäßig hin und her zu bewegen.

"Beim Trauma ist es so, dass wir mit dem Traumainhalt in Kontakt gehen, aber jetzt eben nicht wie in der klassischen Traumatherapie alleine damit in Kontakt kommen, sondern wir machen dazu noch bilaterale Stimulation. Das heißt, ich bin noch mit etwas anderem beschäftigt. Und diese geteilte Aufmerksamkeit, Trauma und etwas anderes, das sich aber nicht widerspricht, das erleichtert uns Menschen die Verarbeitung."

EMDR ist inzwischen ein anerkannter Bestandteil der Leitlinien für Traumatherapie. Die Wirksamkeit der Methode ist wissenschaftlich anhand von zahlreichen Einzelstudien und einer groß angelegten Metastudie gut belegt, so Böhm. EMDR sei zudem eine vergleichsweise stressarme Methode, um sich dem eigenen Trauma zu stellen, so Böhm.

"Es geht eben auch darum, nicht nur was gut ist, sondern auch das: Worauf können sich Menschen einlassen? Das finde ich in der Traumatherapie wichtig. Wenn Menschen etwas Schreckliches erlebt haben, dass sie eben in der Therapie ein Stück weit Kontrolle zurückbekommen. Nicht gezwungen werden, nur den und den Weg zu gehen, sondern: Wie kann jemand wieder Kontrolle in sich selbst mit den eigenen Gedanken, mit den eigenen Erinnerungen bekommen?"

Die Methodik von EMDR eignet sich also auch für Menschen, die Widerstände gegen eine Therapie haben, weil die Konfrontation mit dem Trauma sie überfordert. Das führe laut Karsten Böhm auch zu weniger Therapieabbrüchen.

Hypnose

Manchen Patienten hilft Selbstwirksamkeit und Kontrolle im Umgang mit Traumata. Ein anderes Verfahren lebt davon, Kontrolle abzugeben: die Hypnose.  (Foto: IMAGO, IMAGO / Shotshop)
Manchen Patienten hilft Selbstwirksamkeit und Kontrolle im Umgang mit Traumata. Ein anderes Verfahren lebt davon, Kontrolle abzugeben: die Hypnose.

Hypnose ist in den Leitlinien nicht als eigenständige Therapieform aufgeführt, kann aber im Rahmen anderer Therapieformen angewendet werden. Doch viele Menschen haben Vorbehalte gegen die Hypnose.

"Dieses Heilverfahren wird eben damit assoziiert, dass ursprünglich sehr viel Macht vom Hypnotiseur, meistens auch Mann, ausgeht. Die zweite Schattenseite ist, dass der Patient eher in eine hilflose rezeptive Rolle geht, anstatt in der aktiven Form mental dabei zu sein."

Tatsächlich erleben wir einen gewissen Kontrollverlust, wenn wir uns auf Hypnose einlassen. Deshalb ist hier ein hohes Maß an Vertrauen in die therapeutische Beziehung notwendig. Doch genau dieser Kontrollverlust öffnet uns Wege der Verarbeitung, die uns im Alltagsbewusstsein verschlossen bleiben, so Revenstorf vom Milton Erickson Instituts für Klinische Hypnose in Tübingen:

"Da hypnotische Trance einen Zustand der inneren Offenheit und Unverbundenheit darstellt, ist die Möglichkeit gegeben, dass man Erinnerungen verändert. Das klingt ganz absurd, aber dazu ist es wichtig, dass wir auch die Gedächtnisforschung angucken. Die Gedächtnisforschung sagt uns Folgendes: Jedes Mal, wenn wir eine Erinnerung wieder wachrufen und sie uns selber oder jemand anders erzählen, verändert sie sich. Erinnerungen sind keine fixen Bilder oder Filme. Und tatsächlich ist auch diese Erinnerung beeinflussbar."

Die Hypnose kann so helfen, einen neuen Zugang zu Gedanken und Gefühlen zu bekommen. Ein Trauma verankert sich jedoch nicht nur in der Psyche, sondern auch im Körper. 

Somatic Experiencing

Der therapeutische Ansatz des Somatic Experiencing bezieht auch die Körpergefühle und Mimik der Betroffenen in die therapeutische Arbeit mit ein  (Foto: IMAGO, IMAGO / Panthermedia)
Ein Trauma verankert sich nicht nur in der Psyche, sondern auch im Körper. Somatic Experiencing bezieht darum auch die Körpergefühle und Mimik der Betroffenen in die therapeutische Arbeit mit ein

Der US-amerikanische Biophysiker und Psychologe Peter Levine hat untersucht, welche körperlichen Prozesse bei einer traumatischen Erfahrung ablaufen. Die Körper- und Traumatherapeutin Gude Dose erklärt Levines Erkenntnisse folgendermaßen:

"Wenn man beim Unfall zum Beispiel aus etwas nicht rauskommt. Also wenn ich die Erfahrung mache, ich kann nicht mehr handeln, ich bin überwältigt, dann setzt eigentlich eine Schockstarre ein und dann kommt man in so einen Strudel rein. Das zeigt sich dann in vielen körperlichen Symptomen, auf ganz unterschiedlichen Ebenen."

Viele traumatisierte Menschen berichten von einem Gefühl des "Eingefrorenseins". Dieses Feststecken in der traumatischen Erfahrung zeigt sich in unserem gesamten Nervensystem, sagt Traumatherapeutin Gude Dose:

"Atmung, Blutkreislauf, bis in unseren Stoffwechselbereich, in die Darmfunktion, auch die Trockenheit der Haut. Das sind alles Symptome, die hier auftauchen. Wenn wir in diesen Flucht- und Kampfimpuls kommen, dann ist es ja so, dass alles ganz eng wird, weil wir wirklich darauf ausgerichtet sind zu fliehen. Dann wird die Blase, alles wird eng. Und die Entladung im positiven Sinne ist dann, dass alles wieder weit werden kann. Dass der Herzschlag sich beruhigt, und dann wird die Farbe meistens auch anders."

Somatic Experiencing zielt darauf ab, nicht nur auf der mentalen und emotionalen Ebene zu arbeiten, sondern die Körpergefühle und die Mimik der Betroffenen in die therapeutische Arbeit einzubeziehen. Doch Somatic Experiencing wird bislang noch nicht von den Krankenkassen übernommen. Mit ihrem Fokus auf die körperlichen und neuronalen Vorgänge deckt diese Methode jedoch ein therapeutisches Feld ab, das gerade bei Traumata wichtig ist.

Eine posttraumatische Belastungsstörung verankert sich somit nicht nur in der Psyche, in den Gedanken und Gefühlen. Sie führt zu Stress, der unser Nervensystem dauerhaft überlastet und uns lähmt, der das Leben einfrieren lässt. Der unseren Körper und Organismus schädigt, und das bis in unsere genetische Substanz. Deshalb reicht eine herkömmliche Psychotherapie nicht immer aus. Auch wenn nicht alle Verfahren von der Krankenkasse übernommen werden, es gibt viele bereits bewährte und neue Therapieformen, die auch bei langjährigen Traumata helfen können.

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