SWR2 Wissen: Spezial | Das Tier und Wir (3/10)

Laboraffen und Versuchskaninchen

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Uwe Springfeld
Uwe Springfeld (Foto: David Springfeld)
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Ulrike Barwanietz
Candy Sauer

Wissenschaft und Pharmaindustrie bemühen sich, Tierversuche zu vermeiden, zu verbessern oder ganz zu ersetzen. Zeichnet sich ihr Ende ab?

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Wie lassen sich Tierversuche verhindern?

Im Jahr 2020 sind allein in Deutschland über zweieinhalb Millionen Tiere bei oder nach Versuchen gestorben: Mäuse und Ratten, aber auch Katzen und Affen.

Symbolbilder von Tierversuchen sprechen Bände, sind herzzerreißend. Sie ersetzen aber keine rationalen Argumente, wie etwa das Tierschutzgesetz. Denn experimentiert werden darf nur, wie es heißt, am „sinnesphysiologisch niedrigsten Tier“. Also an dem Tier, das auftretende Schmerzen, Leiden, Ängste am besten verträgt.

Illegale Abgasexperimente an Affen durch VW, BMW und Daimler

Nur ein Beispiel für illegale Tierexperimente: Die im Jahr 2014 von VW, BMW und Daimler in den USA beauftragten Giftigkeitstests von Dieselabgasen an Javaneraffen wären laut Tierschutzgesetz in Deutschland illegal. Zum einen, weil Experimente an sinnesphysiologisch niedrigeren Ratten möglich gewesen wären. Zum anderen, weil es etablierte Ersatzmethoden gibt.

Leiden der Tiere wird in drei Schweregrade unterteilt

In der Verhaltensforschung kann es schon als Tierversuch ersten Schweregrades gelten, wenn man Affen auf kurzfristige Diät setzt. Man muss lediglich die kurzen Perioden verminderter Fütterung als tierisches Leiden interpretieren. Das wäre dann ein Tierversuch des leichtesten von drei Schweregraden.

Gravierender sind Experimente, bei denen mittelstarke Schmerzen, Leiden und Ängste ausgelöst werden. Dazu zählen operative Eingriffe unter Narkose oder wenn ein Dauerkatheder gelegt wird, diese zählen zum zweiten Schweregrad.

Dritter Schweregrad umfasst gezieltes Auslösen von Tumoren

Am schlimmsten sind Tierversuche der dritten Kategorie mit starken Schmerzen, Leiden oder Ängsten sowie dem gezielten Auslösen von Krebstumoren oder Giftigkeitstests, die zum Tod führen. Ob ein Versuchstier das Experiment überhaupt überlebt oder nicht, ist hingegen kein Kriterium für die Einstufung.

Labormäuse in einem Glasbehälter der Bundesforschungsanstalt für Viruskrankheiten der Tiere auf Riems (Foto: IMAGO, IMAGO / Jens Koehler)
Labormäuse in einem Glasbehälter der Bundesforschungsanstalt für Viruskrankheiten der Tiere auf Riems

Kann man Tierversuche durch Alternativen ersetzen?

In der Grundlagenforschung ist die Antwort einfach. Weil hier Forscher ihren eigenen Fragestellungen und Forschungsmethoden nachgehen und sich deshalb jedes Experiment vom anderen unterscheidet, kann die Forschung selbst kaum Ersatzmethoden entwickeln.

Ein Verbot von Tierversuchen kann man heute als einen tiefgreifenden, kaum zu begründenden Einschnitt in die Forschungsfreiheit der Grundlagenforschung sehen.

Anders in der angewandten Forschung wie der Pharmaforschung. Denn hier sind die Versuche standardisiert.

Niedriger Maus-Preis ermöglicht Testreihen in der Pharmaforschung

In der Pharmaforschung beginnt der Preis einer Maus für Tierexperimente ab ungefähr 20 US-Dollar. Aufgrund dieses niedrigen Preises testet man ganze Stoffgruppen durch, ob sich eine Substanz davon als wirksam entpuppt oder nicht. Darüber, wie viele Substanzen verworfen werden, gibt es unterschiedliche Zahlen. Einer Faustregel nach: 9 von 10.

Auch solche Tierversuche sind auf absehbare Zeit nicht zu ersetzen. Doch eine Möglichkeit zur Reduzierung der Anzahl von Tierexperimenten in der Pharmaforschung ist die Modulierung von virtuellen Substanzen am Computer, beispielsweise in der Schmerz- und Opiodforschung. Die Probe dieser virtuellen Substanzen passiert am Ende wieder im realen Tierversuch, doch die Zahl der Tierversuche kann insgesamt verringert werden.

Start-ups modellieren menschliche Organe als Alternative zu Tierversuchen

Einen anderen Ansatz verfolgen zahlreiche Start-ups. Sie modellieren keine Wirkstoffe, sondern den Menschen. Der menschliche Körper besteht aus 36 Organen. Die wiederum bestehen aus verschiedenen Zelltypen. Bei der Leber sind es vier. Diese vier in einem kleinen Gefäß zusammengefasst bilden eine Modellleber.

Verbindet man solche Modellorgane durch dünne Kanäle miteinander, lassen sich Körperreaktionen ablesen. Etwa: Wie wirkt eine Creme durch wenige Hautzellen hindurch auf die Leber? Vier miteinander verbundene Modellorgane sind heute Standard. Zum Preis des 15-Fachen einer billigen Maus. An einem System, das zehn Organe miteinander verbindet, wird momentan geforscht. Doch auch hier gilt: Es werden keine Tierversuche ersetzt, aber viele verhindert.

SWR 2022/2023

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