Männlich, weiblich, divers

Darum gibt es künftig ein "drittes Geschlecht"

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Silvia Plahl
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Anja Braun
Anja Braun, Reporterin und Redakteurin SWR Wissen aktuell. (Foto: SWR, Christian Koch)

Künftig gibt es ein drittes Geschlecht im Geburtenregister. Neben "männlich" und "weiblich" kann man dann auch "divers" eintragen. Damit stärkt der Bundestag die Rechte intersexueller Menschen.

Der Bundestag hat jetzt das umgesetzt, was 2017 das Bundesverfassungsgericht forderte: Ein drittes Geschlecht im Geburtenregister.

Was sagt die Wissenschaft zur Intersexualität?

Das Phänomen ist komplexer: Menschen werden zwar mit einem biologischen Geschlecht geboren. Doch kann die Lebenswelt und die Art zu leben tatsächlich das menschliche Erbgut, das Gehirn und einzelne Körperfunktionen, etwa die Herzfunktion, verändern. Auch Medizinerinnen und Mediziner denken also darüber nach, was das biologische Geschlecht letztlich verkörpert.

Das durch Chromosomen und Hormone definierte Sein auf der einen Seite – das kulturell und gesellschaftlich beeinflusste, sich entwickelnde und noch spezifischer definierte Sein auf der anderen Seite - zwischen diesen Polen bewegt sich die Wahrnehmung von Geschlecht und Geschlechtern.

Wie also mit menschlicher Verschiedenheit künftig umgegangen werden soll – damit befassen sich ganz unterschiedliche Disziplinen. Forschungen in der Medizin, in der Pädagogik oder auch in der Didaktik von Technik und Naturwissenschaften versuchen zu zeigen, was es bedeutet, sich als "typisch männlich" oder "typisch weiblich" zu fühlen und auch so behandelt zu werden – und was ein geschlechtsneutraler Blick bewirken kann. Einige Politikerinnen und Politiker reagieren darauf.

Mann und Frau betrachten antike Bronzeskulptur (Foto: SWR, SWR - Jochen Sülberg)
Während Facebook rund 60 Geschlechtsidentitäten von Transmann bis genderqueer anbietet, diskutieren Forscher darüber, ob die Trennung zwischen nur zwei Geschlechtern kulturell und geschichtlich konstruiert ist

Studien aus der Evolutionsbiologie zeigen, dass sich auch typische körperliche Unterschiede zwischen Mann und Frau angleichen: Männer verlieren an Muskelmasse, Frauen werden stämmiger, sie haben größere Gesichter. Und es gibt ganz unterschiedliche Ansätze, wie mit menschlicher Verschiedenheit künftig umgegangen werden soll.

Wie soll die Gesellschaft mit diesen neuen Entwicklungen umgehen? Im Englischen meint das Wort "gender" die psychologische oder soziale Dimension von Geschlecht, "sex" die biologisch definierte geschlechtliche Zuordnung eines Menschen.

Sprachliche Verwirklichung

Im November 2015 beschloss die Partei Bündnis 90/Die Grünen, den so genannten Gender-Stern zu verwenden. Aus Politikerinnen und Politikern wurden Politiker*innen. Gesine Agena, frauenpolitische Sprecherin der Grünen, sieht darin mehr Geschlechtergerechtigkeit.

Der Stern spreche alle Menschen an, und die Partei verfolge damit eine Strategie der Gleichstellung. Die auch gleichen Lohn für gleiche Arbeit anstrebe oder die Ehe für alle. Der Genderstern soll das bisherige rein zweigeschlechtliche Denken auch sprachlich in Frage stellen und aufrütteln.

Eine Haltung, die zum Teil auf erbitterten Widerstand trifft. Jahrelang wurde in Baden-Württemberg um sexuelle Vielfalt in der Erziehung gerungen. Die damals noch grün-rote Landesregierung hatte im neuen Bildungsplan festgelegt, "Respekt sowie die gegenseitige Achtung und Wertschätzung von Verschiedenheit zu fördern".

Bunte Gehirne

Es solle allen Schülerinnen und Schülern ermöglicht werden, "die eigene Identität zu finden und sich frei und ohne Angst vor Diskriminierung zu artikulieren". Mit dem zentralen Argument, dadurch finde eine Frühsexualisierung von Kindern statt, organisierte das konservative Aktionsbündnis "Für Ehe und Familie – Stoppt Gender-Ideologie und Sexualisierung unserer Kinder!" mehrmals Demonstrationen dagegen.

Aktuelle Studien legen dar, dass es sinnlos ist, weiter strikt und ausschließlich nach "weiblich" oder "männlich" zu kategorisieren. Ein Hirnforscherteam aus Israel, der Schweiz und Deutschland hat gezeigt, dass zwar durchaus "typisch männliche" und "typische weibliche" Merkmale in den Hirnstrukturen auftreten – dass Frauen und Männer jedoch jeweils einen bunten "Mix", ein Mosaik aus typisch männlichen und typisch weiblichen Gehirnfacetten haben.

Zwei Babys, eines in Rosa, das andere in Hellblau (Foto: Colourbox, Petro Feketa)
Aktuelle Studien legen dar, dass es eigentlich sinnlos ist, weiter strikt und ausschließlich nach „weiblich“ oder „männlich“ zu kategorisieren

Ist ein Baby weder eindeutig männlich noch weiblich zuzuordnen, konnten Ärzte seit November 2013 die Angabe im Geburtenregister frei lassen, diese Kinder gelten als "intersexuell". Ab jetzt gibt es für sie das "dritte" Geschlecht. Es gibt aber noch unzählige andere geschlechtliche Varianten – die meisten von ihnen leben diese im Verborgenen und werden von einem Großteil der Gesellschaft gar nicht wahrgenommen. "Facebook" bietet mittlerweile rund 60 geschlechtliche Selbstbeschreibungen an.

Kleine Fortschritte

Der frühere US-Präsident Obama hatte ein Schreiben an die Schulverwaltungen gesandt mit der Empfehlung, allen Kindern und Jugendlichen, gleich welchen Geschlechts zu erlauben, alle Toiletten zu benutzen. Ein aktueller Befund aus der groß angelegten Längsschnittstudie "Trans Youth Project" in USA und Kanada zeigte daneben, dass Transgender-Kinder sich wohlfühlen können und weniger Depressionen entwickeln, wenn ihre Eltern ihre wechselnden Geschlechtsidentitäten akzeptieren.

In Berlin ist ein städtisches Schwimmbad zwei Stunden im Monat nur für trans- und intersexuelle Menschen geöffnet, damit sie in geschütztem Raum und ohne abfällige Bemerkungen Sport treiben können. Doch das bedeutet nur sehr kleine Fortschritte in einem Lebensalltag voller Diskriminierungen.

Vielfältige Geschlechter zu denken, bedeutet auch auf sprachlicher Ebene die strikte Trennung in "er" und "sie" zu verlassen. Doch das Deutsche kennt für weitere Identitäten keine eigenen Pronomen.

Nutzen der Genderforschung

Es gibt immer mehr Menschen, die bereit dazu sind, neu über das Geschlecht nachzudenken und sich dem Unbekannten zu nähern. Andere reagieren mit Ablehnung. Die Partei Alternative für Deutschland AfD fordert sogar, die Förderung der Genderforschung an den Universitäten zu beenden.

Stattdessen nutzen die Fachbereiche bereits die Ergebnisse der Genderforschungen. Wenn es etwa darum geht, mehr Männer für soziale und pädagogische Berufe, mehr Frauen für technische Berufe zu interessieren. Oder auch ganz allgemein die hohen Hürden für mehr Fachkräfte in Naturwissenschaft und Technik etwas abzubauen.

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Anja Braun, Reporterin und Redakteurin SWR Wissen aktuell. (Foto: SWR, Christian Koch)