Album-Kritik

Uninspiriert und kitschig: Elīna Garančas Album „When Night Falls“

Stand
AUTOR/IN
Hannah Schmidt
Hannah Schmidt (Foto: SWR)
ONLINEFASSUNG
Dominic Konrad
KÜNSTLER/IN
Elīna Garanča

Die Mezzosopranistin Elīna Garanča singt auf ihrem zwölften Soloalbum Abend- und Nachtlieder – zeitgenössische und ältere Kompositionen sowie lettische Traditionsmelodien, die sie selbst als Kind zum Einschlafen vorgesungen bekam. Das Ergebnis ist leicht verkäufliche Ware für Garanča-Fans, die künstlerisch allerdings weitestgehend uninteressant bleibt.

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Ein Album für ruhige Stunden

Abende können magisch sein: ruhige, leise Stunden, in denen ein Mensch über den Tag und das Leben nachsinnen kann, zur Ruhe kommt, reflektiert, vielleicht in Sicherheit weinen kann, allein oder zusammen mit anderen.

Die Mezzosopranistin Elīna Garanča schreibt im Booklet ihrer CD „When Night Falls“: „Ich möchte mit dem Album ein Gefühl vermitteln für jene Zeit am Tag, in der man (…) nach Hause kommt, die Tür zumacht und sich in einem geschützten Rahmen ganz dem eigenen, privaten Leben widmet.“ Das hier geht also raus an alle, die Familie, Freundinnen und ein warmes zu Hause haben, in dem sie sich wohl und sicher fühlen – oder die sich danach sehnen.

Gekonntes Spiel mit der Nostalgie

Elīna Garanča singt Volkslieder, Lieder aus Opern, Schlaf- und Kunstlieder und Stücke, die ein befreundeter Zeitgenosse komponiert hat. Dabei spielt Garanča gekonnt mit Nostalgie: Sie singt bekannte spanische, italienische, deutsche und lettische Melodien, die ihre Hörerinnen und Hörer gezielt da abholen, wo sie die CD kaufen werden.

Arrangiert sind die Stücke für Klavier und Gitarre, mit Oboe oder kleinem Ensemble und sogar Orchester – auch hier soll wohl für jeden und jede etwas dabei sein. In Humperdincks „Abends will ich schlafen gehen“ aus der Oper „Hänsel und Gretel“ hat Garanča sogar beide Stimmen selbst eingesungen:

Professionell, aber mitunter distanziert und kühl

Garančas Stimme schwingt in diesen Liedern immer gleich glatt und warm und klar, trotz ihres Volumens wird sie nie zu dick oder schwer. Die Interpretationen sind professionell, wirken mitunter aber etwas distanziert und kühl, wie zum Beispiel in Luciano Berios „Loosin Yelav“ nach einem armenischen Traditional – dabei ist dieses Stück musikalisch noch eines der interessantesten auf dem Album:

Vielleicht entsteht diese gefühlte Distanz auch nach und nach durch die etwas einfallslose Dramaturgie des Albums: Ein Wiegenlied folgt auf das nächste, die Texte erzählen naturgemäß im Grunde alle das Gleiche, sie romantisieren Mutterschaft und Einschlaf-Begleitung.

Unreflektierte Wiedergabe problematischer Texte

Im Fall zweier jüngerer Stücke von Xavier Montsalvatge und dem noch lebenden José María Gallardo del Rey geht es problematischerweise um Schwarze Kinder, die mit dem spanischen N-Wort bezeichnet werden. In einem Lied träumt das Kind von seiner Mutter, die es zu „Rumba“-Klängen in einem Baum in den Schlaf schaukelt. Das wiederum ist kein Schlaflied, sondern Kolonialherren-Fantasie.

Man fragt sich, warum solche Texte im Jahr 2024 noch unreflektiert auf Soloalben landen. Darüber kann dann auch selbst ein hinreißend gesungenes lettisches Schlaflied nicht hinwegtrösten:

Leicht verkäufliche Ware für Garanča-Fans

Im Booklet heißt es, „When Night Falls“ sei ein besonders persönliches Album. Mit Blick auf einzelne Lieder – vor allem das lettische „Aijā žūžū lāča bērni“ – und die Art und Weise, wie Elīna Garanča diese singt, glaube ich das auch.

Zum großen Teil allerdings wirkt das Album auf mich vor allem uninspiriert und kitschig – sowohl mit Blick auf die Stückauswahl als auch die Interpretation. Es scheint, als ginge es hier vor allem um leicht verkäufliche Ware für Garanča-Fans.

Das ist künstlerisch zwar uninteressant, aber wenn es Menschen abholt und an einem ruhigen Abend glücklich macht, dann sei ihnen das von Herzen gegönnt.

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