Album-Tipp

Mercadante: Il Proscritto

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AUTOR/IN
Manuel Brug

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Fleißiger Komponist

Der italienische Komponist Saverio Mercadante wurde sehr alt – für das 19. Jahrhundert. Er lebte von 1795 bis 1870 – und er komponierte über einen Zeitraum von fünfzig Jahren sechzig Opern, die weitgehend vergessen sind.

Dabei waren sie meist guter romantischer Durchschnitt, manche sogar mehr. Wie etwa die in der Zeit Cromwells spielende Räuberpistole. „Il Proscritto“. Dieser „Geächtete“ fand immerhin 2022 in einem Londoner Opera-Rara-Konzert huldvolle Anerkennung. Und vorher wurde das Werk aufgenommen, wie bei dieser auf Raritäten spezialisierten Firma üblich.

180 Jahre verstummt

Es singen zwei Tenöre ein leidenschaftliches Duett, in einer offensichtlich romantisch-italienischen Oper. Nicht gerade häufig kommt ein solches Tenorduo vor. Und weil hier auch noch zwei Mezzosoprane zu den Protagonistinnen gehören, stellt sich selbst bei den ausgebufftesten Belcanto-Leckermäulchen spätestens jetzt die Preisfrage: Um welches Werk handelt es sich?

Wohl niemand wird das beantworten können, denn seit 180 Jahren wurde dieses Stück nicht mehr aufgeführt. Die Rede ist von dem Dreiakter „Il Proscritto“ von Saverio Mercadante. Er und sein Librettist Salvadore Cammarano haben es 1842 am Teatro San Carlo in Neapel uraufgeführt, damals immerhin das führende Opernhaus in Italien.

Premieren auch in Deutschland

Auch im zweiten „Il Proscritto“-Finale geht es vokalsatt zu. Zu einer kraftvoll sich emporschwingenden Melodie verschlingen sich die Ensemblestimmen, die ihr trauriges Schicksal beklagen.

Saverio Mercadante, lange Jahre Konservatoriumsleiter in Neapel, war nach Rossini das Bindeglied zu den dramatisch-stürmischen Frühwerken Donizettis wie Verdis. Doch anders als diese erfüllte Mecadante gern die Konventionen, war bisweilen chromatisch kühn, doch halten sich seine durchaus packenden Melodien selten im Gedächtnis.

In Italien sagt man Mercadante den „bösen Blick“ nach, weshalb man seinen Namen eigentlich nicht aussprechen sollte. Lange wurde er ignoriert, jetzt erlebt er langsam eine zaghafte Renaissance. So wurde etwa kürzlich in Frankfurt sein Frühwerk „Francesca da Rimini“ inszeniert.

Jessica Pratt als Francesca im langen Kleid umringt von vielen Menschen (Foto: Pressestelle, Barbara Aumüller)
Jessica Pratt (Francesca; rechts im Bett stehend) und Chor an der Oper Frankfurt in Mercadantes „Francesca da Rimini“

Oper mit Merkmalen von Verdi

Herrliche Melodien hat diese vergessene Oper, wie in der großen Arie des Contraltos Odoardo zu hören. „Il Proscritto“ – „Der Geächtete“, hat dank Handlungsort Schottland, Zwangsheirat und eines verschwundenen ersten Gatten, der nun ein Räuber ist, Merkmale von Verdis „Ernani“ wie Donizettis „Lucia di Lammermoor“.

Die Dramaturgie wirkt etwas unausgegoren, denn eigentlich ist schon im ersten Akt alles gesagt. Doch die finale Lösungserkenntnis, die für den Sopran tödlich ist, muss noch zwei weitere Akte hinausgezögert werden, in denen Personen sich ausdauernd nicht erkennen oder so gerade verfehlen.

Der Librettist Salvatore Cammarano, der auch mit Donizetti und Verdi zusammengearbeitet hat, war schon besser. Aber allein daran kann es auch nicht liegen, dass dieser „Geächtete“ so lange ignoriert wurde.

Mitreißende Musik

Die Musik ist stark, schön gebaut, und reißt mit. Natürlich ist solches ein gefundenes CD-Fressen für ein Entdecker-Label wie Opera Rara, welches die ideal passende Besetzung aufbieten kann.

Der Belcanto-Experte Carlo Rizzi, der die Partitur in Italien ausgegraben hat, leitet die Britten Sinfonia mit straffer Dirigentenhand. Ramón Vargas und Iván Ayón-Rivas singen gereift und feurig jung die beiden Tenorrivalen Giorgio und Arturo.

Irene Roberts ist mit gutturalem Mezzo beider Liebesobjekt Malvina, die füllige Altistin Elizabeth DeShong deren Bruder Odoardo. So hat Mercadante eben doch weit mehr zu bieten, als nur sein beliebtes 2. Flötenkonzert.

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Manuel Brug