Kommentar

Handys im Konzertsaal: Das Klingeln ist die Pest!

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AUTOR/IN
Albrecht Selge

Handyklingeln im Konzert – ein absolutes Reizthema. Neulich unterbrach der Dirigent Yannick Nézet-Séguin ein Konzert und machte seinem Ärger über störendes Gebimmel Luft. Musikredakteurin Hannah Schmidt riet daraufhin in SWR2 zu mehr Gelassenheit gegenüber den Geräuschen der modernen Welt – eine Meinung, die polarisiert. Albrecht Selges Meinung: Handys können praktisch sein, doch bitte nur im Flugmodus.

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Vorbild Jazz

Ich bin ein Fan von Klatschen zwischen den Sätzen, zu Mozarts Zeit war das wahrscheinlich üblich. Und ich hätte auch nichts dagegen, es dem Jazz nachzumachen.

Dort wird nach einem Saxophon-Solo applaudiert, warum nicht einfach mal nach einer ergreifend elegischen Englischhorn-Performance klatschen?

Applaus als Wertschätzung

Aber bei Handybimmeln flippe ich innerlich aus, es ist die Pest unserer Konzertgegenwart. Denn der Unterschied ist doch der: Spontaner Applaus ist eine Reaktion auf Musik, es ist Wertschätzung, es ist Interaktion.

Klar kommt das Klatschen zwischen zwei Sätzen von Besuchern, die bestimmte versteinerte Konventionen nicht kennen. Aber das ist doch schön, dass sozusagen Neulinge da sind und dass sie auf die Musik reagieren! Wer darüber die Nase rümpft oder zischt, weil „man das nicht tut“ – der benimmt sich wirklich dünkelhaft.

Der Kommentar von Hannah Schmidt zum Handy im Konzertsaal

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Störung höchster Konzentration

Aber ein Handyklingeln – das irgendwo ertönt – das ist nichts weiter als ein absolut erratisches Störgeräusch. Wenn ein Dirigent da sagt: „Leute, so kann ich nicht musizieren“ – dann ist das eben nicht kapriziös oder überheblich. Das zu behaupten, ist ein unangenehmes Vorurteil gegen Künstler, die sich angeblich irgendwie anstellen.

Wollen wir wirklich automatisiert abspulende Routine, die nichts aus dem Konzept bringt? Musiker befinden sich, so will man zumindest hoffen, im Zustand höchster Konzentration, sie denken und bauen weite Bögen. Das ist eine große emotionale und intellektuelle Anstrengung. 

Gemeinschaft des Hörens

Für uns Hörer ist das ein riesen Glück, denn auch mit uns geschieht etwas Großes, wenn ein Konzert gelingt. Wir geraten vielleicht sogar in „den anderen Zustand“, wie der Schriftsteller Robert Musil das nannte, der ansonsten ein ziemlich unmusikalischer Mensch war.

Es geht nicht darum, dass Zuhörer sich quasi in Luft auflösen sollen, dass sie „verschwinden“ sollen. Sondern darum, dass eine Gemeinschaft entsteht, in der man allein sein kann mit Musik – eine Gemeinschaft des Hörens.

Unendlichkeit der Musik

Das „Stille-Konzert“ ist eine zivilisatorische Errungenschaft und für mich absolut weltkulturerbe-tauglich. Das Stille-Konzert macht uns ein Geschenk, denn in einer zersplitterten Welt, in unseren eigenen abstrus zerfaserten Leben dürfen wir Einheit erleben, sogar Unendlichkeit – sei es in den zwei Minuten eines Bachstücks oder der halben Stunde eines Mahler-Adagio – wenn wir als Hörende quasi die Luft anhalten. 

Klar sollte man nicht ausfällig werden, wenn doch mal jemandem das Handy losplärrt, dieser Mensch wird ja beschämt genug sein. Aber wenn man sagt: „ach, macht doch nichts“ – dann sagt man eben nicht die Wahrheit. Und der beschämte Bimmelmensch weiß das. Es hat nicht nur mit Konvention zu tun, sondern mit sowas wie Geist.

Dunkel- und Flugmodus

Hat ein Handy also gar nichts im Konzertsaal zu suchen? Ach, es kann schon sinnvolle Zwecke haben. Zum Beispiel, um den Ablauf des Programms auf dem Bildschirm nachlesen zu können statt im gedruckten Programmheft. Das spart Papier, prima! Aber bitte im Dunkel-Modus.

Und vor allem, stellen wir das Ding in den herrlichen Zustand der Stille, in den „Flugmodus“. Denn so schenken wir auch uns selbst etwas: den Flugmodus des Hörens. Das Abheben, das Nicht-von-dieser-Welt-Sein. Wahres Konzertglück, das aus der Stille entsteht.

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