Musikmarkt: Buch-Tipp

Der Briefwechsel zwischen Ernst Krenek und Theodor W. Adorno

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AUTOR/IN
Christoph Vratz

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Im Juni 1923 wird in Kassel die Zweite Symphonie des erst 22-jährigen Komponisten Ernst Krenek uraufgeführt. Im Publikum sitzt ein 19-jähriger Philosoph mit ausgeprägten musikalischen Interessen. Er erlebt diese Aufführung als Schock: Theodor W. Adorno. Ein Jahr später lernen die beiden sich in Frankfurt persönlich kennen und beginnen bald darauf einen Briefwechsel, der jetzt in einer Neuauflage vorliegt. Christoph Vratz hat ihn für SWR2 Treffpunkt Klassik gelesen.

„Sie haben ganz recht, ich messe jeder legitimen Kunst in einem bündigen Sinne den Charakter von Erkenntnis zu.“

Der erste erhaltene Brief Theodor W. Adornos an den Komponisten Ernst Krenek stammt vom 9. April 1929. Es ist die Antwort auf ein verschollenes Schreiben Kreneks, in dem der Komponist auf das Problem der Atonalität zu sprechen kommt. Adorno schreibt nun:

„Wenn ich Atonalität für die heute allein mögliche Weise des Komponierens halte, so nicht darum, weil ich sie geschichtslos für »besser«, also etwa ein handlicheres Bezugssystem hielte als die Tonalität. Sondern ich glaube, daß Tonalität zerfallen ist: daß jeder tonale Akkord einen Sinn hat, den wir nicht mehr ergreifen können.“

Juni 1923: In Kassel steht im Rahmen des Tonkünstlerfests des Allgemeinen Deutschen Musikvereins eine Uraufführung auf dem Programm: die zweite Sinfonie von Ernst Krenek, einem erst 22 Jahre alten Komponisten, in Wien geboren, Schüler von Franz Schreker. Im Publikum sitzt ein ebenfalls noch junger Philosoph, 19 Jahre alt, mit umfassenden musikalischen Interessen. Bei ihm hinterlässt diese Uraufführung eine ebenso plötzliche wie nachhaltige Wirkung. Noch 1931 schreibt Adorno:

„Es hat mich all die Jahre ein wenig bedrückt, mit einem Menschen in sachlich-kunstpolitischer, wenn auch durch die persönliche Beziehung von Anbeginn korrigierter Polemik leben zu müssen, dem ich […] so Entscheidendes verdanke wie den Choc der II. Symphonie.“

Aus dem Schreck-Moment entwickelte sich mehr und mehr ein Vertrauens- und schließlich ein Freundschaftsverhältnis. Das zeigt etwa die Widmung bei Kreneks Abschrift seiner Lieder nach Texten von Franz Kafka:

„..an Teddie Wiesengrund-Adorno / in herzlicher Freundschaft / und allen guten Wünschen“  

Gleichzeitig wirkt Kreneks zweite Sinfonie wie ein ständiges Scharnier für die Beziehung zwischen Krenek und Adorno. Dem Philosophen will es einfach nicht gelingen, den Komponisten musik-ästhetisch zu verorten. Er bleibt ihm lange Zeit eine Sphinx. Noch neun Jahre nach der Uraufführung bekennt Adorno Ende September 1932,

„..daß Sie mir heute noch: wie zur Zeit der 2. Symphonie, der rätselhafteste aller Komponisten sind, den ich nicht auf die Formel bringen kann.“

Diese ‚Rätselhaftigkeit‘ hängt wohl auch damit zusammen, dass sich Krenek nie eindeutig und ausschließlich auf die Seite des Schönberg-Lagers und dessen Diktum der Zwölftontechnik geschlagen hat. Damit ist auch einer der Kerngedanken dieses Briefwechsels erreicht. Wie ein roter Faden zieht sich durch ihre Kommunikation die Frage, inwieweit sich der Einzelne als freier Künstler eingebunden und verantwortlich sieht gegenüber Regeln und Traditionen. 1941 schreibt Adorno, als er parallel an seiner Schrift „Zur Philosophie der neuen Musik“ arbeitet:

„Ich habe das Gefühl, daß <der> Begriff <der Atonalität> und die an ihm orientierte Unterscheidung von Akkorden höherer und geringerer Spannung (der implizit noch den traditionellen Dissonanzbegriff enthält) noch zu nahe der Tonalität steht, obwohl ich andrerseits auch der Ansicht bin, daß die neuen Akkorde nicht einfach Bausteine sind, sondern in der Tat dynamische Momente.“

Die Erstausgabe dieses Briefwechsels erschien bereits 1974. Die jetzt vorliegende Neuedition konnte durch die Herausgeberin Claudia Maurer Zenck um zahlreiche Briefe und Dokumente erweitert und ergänzt werden. Die am Ende jedes einzelnen Briefes eingefügten Erläuterungen helfen maßgeblich, den Verlauf der Korrespondenz leichter nachzuvollziehen. Denn zugegeben, es ist keine leichte Lektüre. Auch die beiden Autoren, Adorno und Krenek, haben es sich, auf ihrem Weg als Modernisierer und in ihrem Selbstverständnis als Modernisten, nie einfach gemacht. Was immer wieder auffällt, ist, wie sehr sich die beiden Freunde auf theoretischer Ebene verstanden und sich einander die Bälle zugeschoben haben – ohne dass daraus jedoch nachhaltige Konsequenzen in der Praxis oder für das allgemeine Musikleben erwachsen wären.

Knapp 500 Seiten umfasst der anspruchsvolle, dank der Anmerkungen und des Registers gut erschlossene Briefwechsel von 1929 bis 64 zwischen Theodor W. Adorno und Ernst Krenek. Der Preis liegt bei 44 Euro.

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Christoph Vratz