Album-Tipp

Bachs Johannes-Passion mit dem Ensemble Concerto Copenhagen

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AUTOR/IN
Susanne Benda

Von Bachs Johannes-Passion gibt es so viele CD-Aufnahmen, dass man sie kaum mehr zählen kann. Entsprechend weit ist das Spektrum der Deutungen – es reicht von nachromantischem philharmonischem Betroffenheitspathos bis hin zu filigraner Detailarbeit mit historischen Instrumenten. Neues, denkt man, ist bei diesem Hit des Barockmusik-Repertoires nicht mehr zu entdecken. Warum also eine weitere Einspielung des Werks herausbringen? Der dänische Dirigent Lars Ulrik Mortensen und sein Ensemble Concerto Copenhagen haben es getan.

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(Un)gemütlicher Bach

Man kennt die Johannes-Passion mit zwei Bläserlinien, jeweils apart bestückt mit einer Oboe und einer Traversflöte. Sie ergänzen sich, reiben sich auf reizende Weise aneinander, darunter legen die Violinen beschwingte Sechzehntelfiguren, und die Bratschen wie der Basso continuo sorgen im Hinter- und Untergrund für Ordnung.

Das ist schön und man könnte es sich gemütlich einrichten mit Bachs „Johannespassion“ – Wenn da nur nicht der dänische Dirigent Lars Ulrik Mortensen wäre.

Mittelweg bei der Sängerbesetzung

Ein Bad in vokalem Wohlklang geht anders, denn es sind nur acht Stimmen zu hören, in jeder Chorstimme gibt es einen Solisten und einen sogenannten Ripieno-Sänger. Zwei Sänger pro Stimme – das weiß jeder, der schon einmal im Chor gesungen hat – mischen sich überhaupt nicht. Und tatsächlich könnte das hier Absicht sein.

Zwischenzeitlich singt sogar nur das Solistenquartett. Was will Lars Ulrik Mortensen? Um die historisch korrekte Sängerbesetzung von Bachs Oratorien ist schon viel gestritten worden, am prominentesten wohl von Joshua Rifkin, der sich für einen zwölfstimmigen Chor entschied, und von Andrew Parrott, der mehr Argumente für eine solistische Besetzung fand. Mortensen positioniert sich nun exakt dazwischen – und präsentiert die Chorsätze ausgesprochen heterogen.

Johannespassion in bekannter Besetzung mit dem Chor des Bayerischen Rundfunks & Concerto Köln unter Leitung von Peter Dijkstra in der ARD Mediathek

Individualität statt Masse

Mortensen nimmt den Chorsätzen die Masse. Sie erscheinen nicht mehr als Äußerungen eines Kollektivs, sondern als intime Artikulation unterschiedlicher Individuen. Man kann manche Phrase holprig finden, manche Stimme wenig homogen.

Aber Bachs viel diskutierte Judenchöre klingen hier nicht nach Karikatur, sondern schlicht wie die Meinung einzelner aufgebrachter Menschen, das ist grandios. Die beiden besten Solisten der Aufnahme sind Alex Potter, ein ebenso genau wie empathisch gestaltender Altus, und die Sopranistin Joanne Lunn.

Gewohntes Ende

Das Ende vom Lied ist mit dem „Engelein“-Choral, der die gebräuchliche Fassung der Johannespassion von 1724 beschließt, wie man es gewohnt ist. Hier wird sehr nah am Text gesungen, die Zeilenschlüsse sind kurz, auch der Schluss wird nicht ausgedehnt.

Man muss die Interpretation von Lars Ulrik Mortensen nicht lieben, aber die Sänger und Instrumentalisten von Concerto Copenhagen tun alles dafür, einen mächtig durchzuschütteln. Und dann ist endlich Ruh‘.

Zeitwort 7.4.1724: Johann Sebastian Bach führt die Johannespassion auf

Über fünf Stunden dauerte 1724 der Karfreitagsgottesdienst mit Johannespassion. Die Gemeinde in der Leipziger Nikolaikirche war eher erschöpft statt ergriffen.

SWR2 Zeitwort SWR2

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Susanne Benda