Porträt

Heiler und Jazzmusiker: Der südafrikanische Pianist Nduduzo Makhathini

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Rainer Schlenz
Rainer Schlenz (Foto: Spiesz-Design/Sabine Weinert-Spieß)

In Südafrika gibt es ein neues Selbstbewusstsein im Jazz. Zu den jungen international erfolgreichen Musikern gehört der Pianist Nduduzo Makhathini. Das Besondere an ihm: Er ist nicht nur Musiker, er ist auch Heiler. Spiritualität ist die Kraft, aus der er seine Energie für sein Spiel bezieht. Afrikanischer Jazz ist für ihn viel mehr als improvisierte Musik – es gehe um Dekolonialisierung, sagt er.

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„Diese Klänge sind unser Archiv!“

Nduduzo Makhathi sitzt mit knallrotem Filzhut und schwarzer Lederjacke am Klavier, improvisiert, kommuniziert mit seiner Band. Und immer wieder scheint es, als horche er den Signalen seines eigenen Spiels nach. Auch Gesang gehört für ihn dazu, in Zulu mit den charakteristischen Klicklauten.

Es geht da um viel mehr als einen aufregenden Klang, sagt Makhathini: „Diese Klänge gehören zu den ältesten Techniken unserer Vorfahren. Sie haben sie benutzt, um eine Richtung zu finden und um Information und Geschichte zu speichern. Diese Klänge sind unser Archiv!“

Nduduzo Makhathini: „Amathambo“ (2018)

Mit 17 findet er den Weg zum Jazz

In Makhathinis Spiel pulsiert mindestens so viel, afrikanisches Bewusstsein wie Jazz. Erst mit 17 Jahren hat er den Jazz als Musik-Sprache für sich erschlossen, später auch Jazz studiert. Die späte Entdeckung war kein Problem, im Gegenteil: Sie war ein Segen. 

„Ich war einfach ganz lange durchdrungen von den traditionellen Klängen. Musikalisches Repertoire war für mich eine Möglichkeit, kosmische Phänomene wahrzunehmen“, erklärt der Musiker.

Nduduzo Makhathini bei einem Konzert in Berlin (2021) (Foto: IMAGO, Votos-Roland Owsnitzki)
Heiler und international erfolgreicher Jazzmusiker: Der heute 41-jährige Nduduzo Makhathini erregte 2021 beim Jazzfest Berlin großes Aufsehen.

Nduduzo Makhathini verbindet unterschiedlichste Sphären: Mal schimmern hymnische Akkordfolgen im Stil seines Vorgängers Dollar Brand durch, mal Strukturen, die auf Zulugesänge zurückgehen. Makhathini verwendet Zentraltöne, dann wieder bricht er in atonale Bereiche ohne Puls aus und landet in entrückten Passagen, die an John Coltrane erinnern. Vor allem fällt eines auf: Makhathini spielt all das mit einem gewinnenden Lächeln.

Spiritualität vor Musik

Das scheint in der Familie zu liegen. Es sei genau dasselbe Lächeln wie bei seiner Großmutter väterlicherseits, so Makhathini. „Es braucht Glückseligkeit, die deinen eigenen Körper durchdringt. Und dann erreichst du jeden damit. Der Körper animiert sich und drückt damit Humanität aus. Es ist eine kraftvolle Sache!“ 

Makhathini spricht im Grunde wenig über Musik, über Strukturen, über Vorbilder, aber viel über deren heilende Kraft. Seine Großmutter hat ihm schon als Kind Heilkräfte attestiert. Später wurde er zum traditionellen Heiler ausgebildet – und dann erst zum Jazzmusiker.

Darin liegt der Unterschied: Während Generationen von Jazzern ausgehend von ihrer Musik Spiritualität gesucht haben, war für Makhathini die Spiritualität der Ausgangspunkt und fand dann zu einer kraftvollen, energiegeladenen Musik. Nur darum geht es beim Heilen: um Energie.

Für Makhathini ist Jazz mehr afrikanisch als amerikanisch

„Ganz oft denken die Leute: ‚Ah, er ist ein Heiler, also wird er mich heilen.‘ Aber es geht vielmehr darum, dass er einen Raum öffnet für eine Anmut, die die Kraft hat, die gebrochenen Teile unserer Seele, unserer Körper wiederaufzuladen“, sagt Makhathini, „und Musik hat die Fähigkeit, den Geist der Menschen zu harmonisieren. Das ist der Grund, weshalb es mit Musik leichter ist zu heilen.“

Mit diesem Wissen ist Makhathini überzeugt: Die Geschichte des Jazz muss neu gedacht werden. Sie ist keine Erfindung der Amerikaner. Für ihn ist klar, wo der Jazz herkommt, aus Afrika nämlich.

Sprechen wir nur von amerikanischem Jazz, fürchte ich, dass wir der Geschichte Unrecht tun.

„Wir erkennen an, dass sich Jazz von Amerika aus manifestiert hat. Aber wir können nicht den transatlantischen Sklavenhandel ignorieren und von wo die Leute stammen“, erklärt Nduduzo Makhathini. „Wenn wir also von afrikanisch-amerikanischem Jazz sprechen, dann verorten wir wenigstens, wo die Menschen herkamen, als der Jazz entstand.“

Weg vom Eurozentrismus

Es ist die Arroganz des Westens, sich als Zentrum der Welt zu betrachten und die eigenen Werte als „universell“ zu definieren. Makhathini setzt dem das Konzept des „Pluriversalismus“ entgegen. Weg vom Eurozentrismus, weg von der Hierarchie, weg von der Hegemonie.

Nduduzo Makhathini plädiert für die gleichberechtigte Koexistenz der verschiedenen Kulturen: „Das bedeutet vor allem, jedem Ort seinen eigenen Weg zuzugestehen, sein eigenes Wissen, seine eigene Religion, seine eigenen Konzepte. Das steckt hinter der Idee dessen, was wir Pluriversalismus nennen“, erklärt der Musiker. „Was könnte das Zusammenschalten dieser Kräfte alles bewirken? Diese Idee finde ich unglaublich spannend.“

Musikthema Unterrepräsentiert: Schwarzer Jazz-Journalismus in den USA

„Ain't but a few of us“, so heißt eine Aufsatzsammlung, die Ende 2022 von Willard Jenkins herausgegeben wurde. Journalisten, Redakteure, Verleger und Wissenschaftler gehen der Frage nach, wieso im Jazzjournalismus in den USA Afroamerikaner so deutlich unterrepräsentiert sind – und wie das geändert werden könnte.

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Rainer Schlenz (Foto: Spiesz-Design/Sabine Weinert-Spieß)