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„Die Erlebnis-Amplitude ist flacher als erwartet“ – Ilona Hartmanns Roman über FOMO in Berlin

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Marie-Christine Werner
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Sina Weinhold

Drei junge Menschen ziehen nach Berlin und sind bereit für alles. Doch das große Feuerwerk bleibt aus und Ernüchterung macht sich breit. Der Roman Klarkommen von Ilona Hartmann handelt genau davon: mit dem Leben allgemein und dem Druck des Erwachsenwerdens in einer Großstadt zurecht zu kommen. „Ich wohne seit acht Jahren in Berlin und habe immer noch nicht das Gefühl, ich wüsste, wie diese Stadt zu bedienen ist“, sagt die Autorin in SWR2.

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Die Angst etwas zu verpassen

FOMO. Fear of missing out – die Angst, etwas zu verpassen –, kenne jeder, meint Ilona Hartmann. Als junger Mensch und erst recht im digitalen Zeitalter sei das Gefühl „irgendwo anders, wo ich gerade nicht bin, findet etwas Besseres statt, als das, was ich gerade vor der Nase habe“ belastend.

Früher hätte es dieses Gefühl auch gegeben, es habe im Freundeskreis immer diesen einen Typen gegeben, „von dem man wusste, „bei dem geht es wahrscheinlich gerade richtig ab, aber man hatte eben nicht zehn Minuten später ein Foto davon auf dem Handy“.

Die Wildheit ist gehemmt

Die in ihrem Buch beschriebene Schockstarre der Neuberliner – angesichts eines Meeres an Optionen im Vergleich zum Leben davor in der Provinz – sei aus ihrer Sicht völlig normal. „Ich wohne seit acht Jahren in Berlin und ich habe immer noch nicht das Gefühl, ich wüsste, wie diese Stadt zu bedienen ist.“

Zeitgenossen Ilona Hartmann: „Ich habe kein Interesse an Provokation.“

Ihr Leben findet auf Instagram und Twitter statt: Ilona Hartmann steht auf Trends, Zeitgeist, Pop und Texte. Und schreiben kann die in der Nähe von Stuttgart geborene Autorin. Über Kennenlernspiele im Flugzeug oder wie in ihrem Roman „Land in Sicht“ über eine junge Frau, die sich auf einer Flusskreuzfahrt auf die Suche nach ihrem Vater macht. Eine Geschichte mit autobiografischen Zügen.

SWR2 Zeitgenossen SWR2

Das Schuldgefühl, nicht alle Möglichkeiten auszuschöpfen, sei auch bei ihr vorhanden. Sich nicht „rauszutrauen“, passe einerseits zu einer Gesellschaft der „Häppchenkultur“, andererseits hänge dieses Gefühl auch mit Unsicherheit zusammen, angesichts politischer Zustände, Klimakrise und Kriegen.

„Das hemmt vielleicht auch eine gewisse Wildheit, die ja nur entstehen kann, „wenn ich weiß, ich falle zurück auf einen sicheren Boden“. Trotzdem seien große Erwartungen positiv, findet Ilona Hartmann, „sie motivieren und inspirieren“.

Entlastungsliteratur für unglückliche Jugendliche

Für alle die nicht so frei und leicht sein können und konnten, wie sie es gerne gewesen wären, könnte „klarkommen“ zur Entlastungslektüre werden, schreibt Ilona Hartmann auf Ihrer Homepage. Vielleicht auch eine Einladung zur Versöhnung mit der eigenen Gegenwart oder Vergangenheit, denkt die Autorin in SWR2 weiter.

„Wir leben gerade in einer Zeit oder in einem System, das tendenziell unglückliche Jugendliche produzieren kann.“

Für einen gesünderen Umgang mit Social Media

Emotionalen Stress und Unzufriedenheit allein auf die sozialen Medien zu schieben, findet Ilona Hartmann falsch. Vielmehr gehe es darum, einen individuelleren, gesünderen Umgang damit zu finden. Und auch darum, Selbstbestimmtheit wiederzuentdecken: „Wem folge ich, was möchte ich sehen oder eben auch nicht und welche Zeiten möchte ich mir dafür einrichten“.

Ilona Hartmanns Schreibstil ist geprägt von zeitgemäßer Dynamik: schnörkellos, viele kurze Kapitel, manchmal nur wenige Sätze lang. Auch auf Social Media sind kurze Texte angesagt.

Radio machen als Traumberuf

Ilona Hartmann wurde 1990 in Backnang geboren und lebt in Berlin. Sie schreibt als freie Autorin über Pop und Alltag für Magazine, Zeitungen und bei Instagramm folgen ihr mehr als 75 000 Menschen. Sie war ab 2021 zwei Jahre lang Co-Host des ZEITMagazin Podcasts „Und was machst du am Wochenende?“ und moderiert bei Radio Fritz eine eigene Musiksendung.

Für die Radiofreundin hat sich damit ein Traum erfüllt, war es doch schon früher ihr Wunsch beim Radio zu arbeiten. „Ich habe über Radio schon sehr viel tolle Musik, tolle KünstlerInnen und gute Gespräche entdeckt.“

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