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Hermann Lenz, Hanne Trautwein: „Das Innere wird durch die äußeren Umstände nicht berührt“. Der Briefwechsel

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Ein junger Dichter träumt sich am zweiten Weihnachtstag 1937 nach München hin und in die Nähe einer jungen Kunsthistorikerin – „hellgraue, dunkel umschattete Augen, schwarzes Haar und einen weichen Mund: ein Profil, von dem ich immer denke, dass es so etwa der Tonio Kröger besessen haben mag“. Er träumt, wie er ihr einen seiner Gedichtbände kaufen will, was sie standhaft und stampfend verweigert und das Büchlein selbst bezahlt, wie sie später „lässig“ in seinen Manuskripten blättert.

Hermann Lenz und Hanne Trautwein, der Dichter und die „halbjüdische“ Kunsthistorikerin, beide Anfang ihrer Zwanzig, kennen sich noch nicht lang. Er schreibt in Stuttgart, sie studiert in München. Bald ist sie in München und er an der Ostfront. Es beginnt ein Briefwechsel, die Geschichte einer großen Liebe, die den Krieg überdauert, die Gewalt an der Front und die Angst, vom Judenhass der Deutschen doch noch erfasst zu werden.

„Das Innere wird durch die äußeren Umstände nicht berührt“ klingt wie eine Beschwörung, wie ein Mutmachmotto. Und das war es auch. Wer auf den gut 1200 Seiten, die der Suhrkamp Verlag jetzt herausgebracht hat, Liebesschwüre, Spuren von Liebeswahn sucht, sucht vergebens. Dafür lernt man in der wunderbar dezenten Korrespondenz zweier genuiner Erzähler, wie sich zwei, die sich mögen, die sich lieben, mit den gegenseitigen und mit utopischen Lebensentwürfen gegen die „äußeren Umstände“ schützen und wie das Leben in München war, erst kriegsverschattet, dann kriegsversehrt.

„Weißt Du“, schreibt Lenz 1938, „ich bin eigentlich ein Mensch, der sich nie richtig freuen kann, mir fällt immer so ein schwarzer Kern in jede Freude, alles liegt wie unter Mehlstaub betäubt da und welk.“ Ihre Liebe konnte der schwarze Kern nicht trüben. Seit 1946 waren sie verheiratet. Sie sind es geblieben, bis Hermann Lenz 1998 starb.

Zu den Autoren:

Hermann Lenz wurde am 26. Februar 1913 in Stuttgart geboren und starb am 12. Mai 1998 in München. Nach dem Abitur 1931 studierte er Theologie in Tübingen und anschließend von 1933 – 40 Kunstgeschichte, Archäologie und Germanistik in Heidelberg und München. Von 1940 – 46 war er als Soldat in Frankreich und Russland stationiert und kurze Zeit in amerikanischer Kriegsgefangenschaft. Seine schriftstellerische Arbeit begann er 1946 in Stuttgart. Im selben Jahr heiratete er die Kunsthistorikerin Hanne Trautwein. Zu seinen Hauptwerken gehören die Romane „Andere Tage“ und „Neue Zeit“ um sein Alter Ego Eugen Rapp. Er erhielt zahlreiche Preise für seine Werke.

Johanna (Hanne) Lenz, geb. Trautwein, wurde am 24. Juli 1915 in München geboren und starb am 26. Januar 2010 ebenda. Sie war Kunsthistorikerin und arbeitete als Verlagslektorin. 1946 veröffentlichte sie die Erzählungen „Das Nachtkarussell“.

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Autor/in
SWR