Buchkritik

Eric Pfeil – Ciao Amore, ciao. Mit 100 neuen und alten Songs durch Italien

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AUTOR/IN
Fabian Elsässer

Kaum etwas vermittelt uns Deutschen sofort dieses gewisse Urlaubsgefühl wie italienische Popmusik. Der Musikjournalist Eric Pfeil ist selbst ein großer Italien-Liebhaber und widmet sich nun schon zum zweiten Mal 100 großen Songs der „Musica Leggera“: ein Buch wie eine bunte Antipasti-Platte!

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Mit dem Schlager „Abbronzatissima“ – „stark gebräunt“ von Edoardo Vianello beginnt Eric Pfeils zweite musikalische Italienrundreise. Dass dieser Sommerhit aus dem Jahr 1963 den Auftakt bildet, ist zwar schlicht der alphabetischen Aufzählung nach Liedtiteln geschuldet. Aber auch inhaltlich ergibt es Sinn: 

Die Wirtschaft boomt, Italien hebt ab ins scheinbar ewige Blau, und da darf es an leichtfüßigem Liedmaterial nicht mangeln. Doch nicht genug damit, dass hier eine italienische Musiktradition ihre Geburt erlebt; wir dürfen gewissermaßen dabei sein, wie Italien, so wie wir es kennen, sich überhaupt erst erfindet. Der Großteil dessen, was wir heute als „typisch italienisch“ wahrnehmen – Esskultur, Aperitivo-Tradition, Caffé-Rituale, Mode, Kino, Musik – ist ein Produkt der Nachkriegszeit und des „Boom economico“, des wirtschaftlichen Aufschwungs. „Abbronzatissima“ ist in diesem Sommer 1963 mithin der Soundtrack zur Erschaffung der italienischen Leichtigkeit.

Ein Buch wie eine riesige gemischte Antipasti-Platte 

100 Lieder in 100 Kapiteln – wie schon das erste Italien-Buch von Eric Pfeil ist auch dieser Band wie eine riesige gemischte Antipasti-Platte: bunt, abwechslungsreich, überraschend, aber auch tiefgründig. 

So erklärt der Autor beispielsweise anhand von Ivano Fossatis „La mia banda suona il rock“ das Verhältnis des Einzelnen zur Nation. Der Genueser Fossati nahm das Album 1979 in den USA auf, um der provinziellen Kleinteiligkeit seiner Heimat zu entfliehen.  

Man denkt weniger national als regional – als piemontese, napoletano oder pugliese. Sich kollektiv unter dem Banner Italia zu versammeln, fällt den Bewohnern des Bel Paese bis heute schwer. In Italien spricht man vom Campanilisimo, der extremen Bezogenheit auf den örtlichen Glockenturm.   

Leidenschaftlicher Italien-Forscher 

Pfeil, das scheint auf jeder Seite durch, ist nicht einfach nur Tourist. Er ist ein leidenschaftlicher Italien-Forscher, der das Land in all seiner kulturell und regional fragmentierten Gesamtheit erfassen will. Dafür hat er es über Jahrzehnte hinweg bereist, sich in die Geschichte eingelesen und mit vielen Menschen gesprochen. Dieses Wissen vermittelt er uns anhand der ausgesuchten Lieder.   

Ich gehör erstmal auch zu diesen Leuten, die sich unschuldig in dieses Land verknallt haben – sah einfach alles besser aus, war sehr überzeugend, zumal wenn man wie ich aus Bergisch Gladbach kommt. Irgendwann läuft man dann natürlich vor sehr viele Wände. Dann stehen die Widersprüche im Raum herum. Der Katholizismus, die Frauen, die Männer, die Mütter, die Mafia…. Die Musik, die für mich immer parallel lief, die ich auch immer faszinierend fand, weil sie so ein anderes Flirren hatte als anglo-amerikanische Musik, hat sich für mich irgendwann als das Mittel herausgestellt, mit dem man das Land wirklich verstehen kann. 

Große Themenvielfalt der italienischen Popmusik 

Weil, so Pfeil, in der Musica leggera, wie sie in Italien heißt, wirklich jedes Thema abgehandelt werde. Die Anni di piombo, die bleiernen Jahre des Links-Rechts-Terrors in den 70ern, haben genauso ihre musikalische Entsprechung wie die LGBTQ-Bewegung oder die Rückkehr des Rechtspopulismus. Wir erfahren zudem, welche Künstler politisch wo zu verorten zu sind, und Pfeil erinnert  daran, wie wichtig das San Remo-Festival für italienische Liedkultur ist. Und dass die wahren Superstars des italienischen Lieds nicht die sind, die wir in Deutschland dafür halten - statt Ramazotti, Zuccero und Cutogno nämlich: De Andre, di Gregorio, Mina und immer wieder Lucio Battisti.

Manchmal versteigt sich Pfeil etwas in seinen Formulierungen, verfällt dann in eine Art Jugendfreizeitleiter-Sprech der 80er-Jahre oder in Manager-Denglisch: da wird mächtig aufs Pedal gedrückt, direkt durch den Käse geschnitten und Themen werden adressiert, statt sie – nun ja – eben einfach an- oder auszusprechen. Das jedoch sind lässliche Verfehlungen dieses Reiseführers der anderen Art. Eric Pfeil trifft darin nämlich genau den Ton, den er am Gegenstand seiner Betrachtung so liebt: glitzernd und flirrend.   

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