Ein Plakat zum Evangelischen Kirchentag mit dem Slogan "Jetzt ist die Zeit" hängt an der AussŸenfassade des Rathauses am Hauptmarkt

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"Jetzt ist die Zeit" - 38. Evangelischer Kirchentag endet

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AUTOR/IN
Mark Kleber

Mit zwei großen Abschlussgottesdiensten unter freiem Himmel ist der Kirchentag in Nürnberg zu Ende gegangen. Rückblick auf einige der mehr als zweitausend Veranstaltungen und Diskussionen.

Bühne des Abschlussgottesdienstes mit vielen jungen Menschen
Schlussgottesdienst auf dem Hauptmarkt beim 38. Evangelischen Kirchentag in Nürnberg.

Zum Schlussgottesdiensten in der Nürnberger Altstadt waren wieder tausende Besucherinnen und Besucher gekommen, um den Kirchentag gemeinsam ausklingen zu lassen. Kirchentagspräsident Thomas de Maizière sagte zum Abschluss, die Zeiten seien schwierig, trotzdem müsse man zuversichtlich sein: "Wir leben in Zeiten erschütterter Gewissheiten." De Maizière verwies unter anderem auf die Stichworte Schöpfung, Frieden, Verteilungsgerechtigkeit, künstliche Intelligenz und Anfechtungen der Demokratie.

Herrliches Wetter und gute Stimmung

Es war ein Kirchentag des guten Wetters und der guten Stimmung. Deutlich zu spüren war, dass die zehntausenden Besucherinnen und Besucher die Möglichkeit genossen, persönlich miteinander zu diskutieren und zu feiern und einander nahezukommen – im Glauben wie in den vielen Workshops und im Austausch nach den oft voll besetzten Podiumsdiskussionen und Bibelarbeiten.

Auch viele junge Menschen waren nach Nürnberg zum Kirchentag gekommen, zum Beispiel aus Freiburg und Bad Dürkheim. Vom Podcast-Workshop über ein Treffen mit einer jungen Politikerin bis hin zum abendlichen Segen waren für sie sehr viele Highlights dabei.

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Zur Tradition der Kirchentage gehört, dass prominente Politikerinnen und Politikern Bibelarbeit machen. Auf dem Kirchentag in Nürnberg spannte beispielsweise der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann einen Bogen von einer Stelle im Lukasevangelium, "Die Zeit wird kommen" hin zum Kernthema des Kirchentages, dem Klimaschutz. Bibelarbeit sei zwar immer höchst anstrengend, aber immer sehr spannend und inspirierend für einen selbst, sagte Kretschmann über seine Motivation.

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"In bewegten Zeiten gemeinsam gestalten" - unter diesem Titel hatte am Samstag auf dem Kirchentag das Gespräch mit einem der prominentesten Gäste gestanden - Bundeskanzler Olaf Scholz. 5000 Menschen - die Frankenhalle auf der Nürnberger Messe war vollbesetzt.

Bundeskanzler Olaf Scholz trinkt beim 38. Deutschen Evangelischen Kirchentag einen Espresso, den er von Mission EineWelt-Direktorin Gabriele Hoerschelmann und Pfarrerin Jubleth Mungure aus Tansania angeboten bekommen hat.
Bundeskanzler Olaf Scholz trinkt beim 38. Deutschen Evangelischen Kirchentag einen Espresso, den er von Mission EineWelt-Direktorin Gabriele Hoerschelmann und Pfarrerin Jubleth Mungure aus Tansania angeboten bekommen hat.

Konfessionslos, aber...

Kirchentagspräsident Thomas de Maizière erklärte zur Einführung, er müsse den Bundeskanzler nicht mehr vorstellen. Aber wenn manche darauf hinwiesen, Scholz sei konfessionslos: "Olaf Scholz ist getauft und war Konfirmand. Und wir sagen, was man bei der Taufe mitkriegt, das hält auch irgendwie für ein Leben", fügte de Maizière augenzwinkernd hinzu.

Altes und Neues Testament

Scholz im dunklen Anzug und ohne Krawatte gab sich zurückhaltend auf die Frage, warum er ausgetreten sei, aber hob hervor: Er gehöre zu den wenigen, die das Neue und das Alte Testament gelesen hätten, und er sei davon sehr geprägt.

Angriffskrieg gegen die Ukraine

Zwei Themen prägten dann das Gespräch, wie sie auch den Kirchentag geprägt haben: Der Klimawandel und der Krieg in der Ukraine. "Die Bedrohung, die von dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine ausgeht, ist unmittelbar offensichtlich, was die Ukraine betrifft. Aber sie ist für uns alle gefährlich", unterstrich Scholz. "Grenzen dürfen nicht mit Gewalt verschoben werden und niemand ist die Einflusszone seines Nachbarlandes."

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"Verhandeln! Verhandeln!"

Unverändert sei es die Aufgabe, eine Eskalation des Krieges hin zu einem Krieg zwischen Russland und der NATO zu verhindern. Das sei auch das Verdienst des vorsichtigen Vorgehens Deutschlands, rechtfertigte der Bundeskanzler seine bisherige Politik. Während Scholz sprach, entfalteten im Publikum Mitglieder einer christlichen Initiative ein Transparent gegen deutsche Waffenlieferungen und riefen mehrfach lautstark: "Verhandeln! Verhandeln!"

Scholz griff die Zwischenrufe aus dem Publikum auf: "Die Frage ist: Wer verhandelt mit wem und worüber? Und was nicht vernünftig ist: Die Ukraine zu zwingen, dass sie akzeptiert, dass der Raubzug, den Putin dort gemacht hat, sanktioniert und akzeptiert wird und dass ein Teil des ukrainischen Territoriums einfach Russland wird." Dem russischen Präsidenten Putin dürfe es nicht gelingen, seine Ziele mit einem Krieg durchzusetzen. Dafür erntete Scholz auf dem Kirchentag viel Applaus.

Herausforderung Klimawandel

Ob er Angst habe, dass der Klimawandel nicht zu schaffen sei, fragte die Moderatorin Scholz anschließend zum zweiten großen Thema. Scholz machte deutlich, wie groß die Herausforderung aus seiner Sicht sei und sprach vom ehrgeizigsten Industrialisierungsprogramm seit hundert Jahren in Deutschland. "Wir brauchen vierzig Fußballfelder Solaranlagen pro Tag", nannte Scholz als Beispiel. "Wir schaffen das?", hakte die Moderatorin nach. Scholz lächelt leicht verschmitzt: "Wir werden es hinkriegen." Applaus im Publikum. Deutschlands wichtigster Beitrag sei, die Technologien zu entwickeln, sagte Scholz, um Wohlstand überall auf der Welt zu ermöglichen, ohne das Klima zu schädigen.

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Hinrichs versus Habeck - "Wer hat's verbockt? Und was machen wir jetzt?" 

Das Wetter spielte mit, Sonnenschein und milde Temperaturen. Bei den Veranstaltungen hingegen konnte es auch einmal hitzig werden. Zum Beispiel beim Kernthema des Kirchentags, Klimaschutz und Bewahrung der Schöpfung. "Wer hat’s verbockt?" war die Podiumsdiskussion überschrieben, bei der Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck auf die Klimaaktivistin Carla Hinrichs von der Letzten Generation traf. Auf offener Bühne lieferten sich die beiden einen Schlagabtausch. Zuvor hatten sich Mitglieder der Letzten Generation vor dem Nürnberger Hauptbahnhof festgeklebt und damit den Straßenverkehr blockiert.

Besucher auf dem Kirchentag

Vor gut 4500 Besucherinnen und Besuchern in der voll besetzten Halle auf dem Messegelände pochte Hinrichs darauf, dass die Aktionen der Bewegung nötig seien. "Wir stellen uns vor, die Erde ist ein Hochhaus, im Keller brennt es", sagte Hinrichs, "was wir uns zur Aufgabe gemacht haben, ist, der Feueralarm zu sein." In den großen Krisen der Vergangenheit habe sich gezeigt, was einen Wandel bewirke: "Das waren Menschen, die sich nicht irgendwo friedlich mit einem Schild hingestellt haben, sondern Menschen, die unterbrochen, die gestört haben. Und da reihen wir uns ein."

Robert Habeck hielt dagegen: Der Protest der Letzten Generation sei unspezifisch, er treffe irgendwie alle und verpuffe damit. Damit mache man Leute nur zornig und ärgerlich. "Dieser Protest verhindert eine Mehrheit für Klimaschutz, er treibt die Leute weg. Er ist keine Hilfe beim Klimaschutz!" Hinrichs kontert: "Seit wann bewertet die Regierung den Protest gegen sich selber als richtig oder falsch." Beide bekamen viel Applaus.

Podiumsdiskussion: Welchen Frieden wollen wir?

Auch zu vielen anderen Themen wurden auf dem Kirchentag Positionen ausgetauscht. Zum Beispiel zu christlicher Friedensethik und deutschen Waffenlieferungen an die Ukraine. Dazu hatte schon Bundespräsident Steinmeier bei er Eröffnung einen Akzent gesetzt und Waffenlieferungen verteidigt. Kirchentagspräsident Thomas de Maizière sagte bei einer Debatte auf dem Kirchentag: "Es gibt einen Sofa-Pazifismus, aber auch einen Sofa-Bellizismus. Beides macht sich die Sache zu einfach."

Künstliche Intelligenz - Wenn Avatare predigen

Thema auf dem Kirchentag waren auch digitale Ethik und der Einsatz Künstlicher Intelligenz. Nicht nur in Diskussionen, sondern auch als erlebbares Experiment. In der Pauluskirche im benachbarten Fürth konnten Besucherinnen und Besucher erleben, wie es ist, wenn ein "KI-Gottesdienst aus und von der Maschine" gemacht wird.

Gut vierzig Minuten lang hielten Avatare auf einer großen Leinwand im Altarraum die Predigt, die eine Künstliche Intelligenz geschrieben hatte, und sprachen mit den Betenden das Vater Unser. Interessiert und teils belustigt verfolgten die Menschen diesen Versuch. Großes Gelächter gibt es, als die KI warb: "Wir müssen regelmäßig beten, die Bibel lesen und die Kirche besuchen." Danach fand ein Austausch untereinander und eine Podiumsdiskussion statt.

Geteilte Meinungen - ein Halleluja für KI?

Manche sind überrascht, wie klein die Lücke zwischen den Fähigkeiten von Mensch und Maschine geworden sind, andere fanden die Predigt inhaltsleer und zu lang, es fehle an Emotionen und vor allem an einer persönlichen Begegnung. Jasmin von der Evangelischen Jugendzentrale Bad Dürkheim sagte: "Dadurch, dass es wie eine Navi-Stimme war, fand ich es sehr schwer zu folgen. Aber ansonsten war ich beeindruckt, wie weit die Technik doch schon ist."

Der 25-jährige Stefan studiert katholische Theologie in Tübingen und sagte, der KI-Gottesdienst sei für ihn ein tolles Erlebnis gewesen: "Ich werde noch ganz viel darüber grübeln und nachdenken und das auch in mein eigenes theologisch-wissenschaftliches Arbeiten integrieren."

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"Endlich ist wieder Kirchentagszeit!"

Begonnen hatte der Kirchentag am Mittwoch mit einem Eröffnungsgottesdienst. Nach Angaben der Veranstalter waren rund 20.000 Besucherinnen und Besucher dabei. "Nach all den Jahren der Pandemie und den notwendigen Beschränkungen", hatte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier den Menschen von der Bühne aus zugerufen, "ich freue mich, Euch alle wiederzusehen, Euch zu begegnen. Endlich, endlich ist wieder Kirchentagszeit!"

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Evangelische Jugend - Ideen mitnehmen und gestalten

Viele Kirchentagsbesucherinnen und -besucher genossen die Möglichkeit, einander zu begegnen. "Man nimmt immer etwas vom Kirchentag mit", sagte Fritzi, Betreuer von der Evangelischen Jugendzentrale im rheinland-pfälzischen Bad Dürkheim. Zum Beispiel Ideen, wie man Jugendgottesdienste gestalten könne, oder eben neue Gedanken zu einem Thema: "Wenn man sich abends zufällig mit jemandem unterhält, den man vorher nicht kannte, und sagt: Cool! Das ist eine coole Idee, wie man weitermachen könnte mit dieser Sache."

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Die Stimmung sei super gewesen, sagte Jan Philipp, der mit einer Gruppe der Evangelischen Jugend aus Freiburg nach Nürnberg gekommen war. "Die Leute sind freundlich und aufgeschlossen, auch in unserem Quartier, und alle sind sehr hilfsbereit." Esther, eine Diakonin aus Heidelberg, fand es gut zu sehen, "wie viele verschiedene Menschen hier zusammenkommen bei so einer Großveranstaltung. Davon wünschen wir uns mehr in der Kirche."

Beten, streiten und Hoffnung finden

Der Kirchentag will Glaubensfestival und Diskussionsplattform für aktuelle Themen sein. In manchen Veranstaltungen kommt beides auch zusammen. Etwa bei der Bibelarbeit von Bundespräsident Steinmeier, die ein Publikumsmagnet war - 5.000 Besucherinnen und Besucher nahmen daran teil. In der biblischen Wundererzählung von der Hochzeit in Kana habe Jesus Wasser in tausend Flaschen Wein verwandelt.

"Es gab schon plausiblere Texte für eine Bibelarbeit", scherzte Steinmeier zu Beginn und spannte dann trotzdem von der Verwandlung in Wein einen großen politischen Bogen hin zum Wandel der Gesellschaft und den Herausforderungen für die Demokratie.

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Zum Programm des Kirchentages gehören auch Workshops und kulturelle Veranstaltungen wie Ausstellungen und Konzerte auf Freiluftbühnen in der Stadt, ob von Posaunenchören oder Popbands.

DEKT - eine Laienbewegung

Getragen wird der Kirchentag übrigens nicht von der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), sondern von einem gemeinnützigen Verein. Denn der Kirchentag versteht sich als evangelische Laienbewegung und als Gegenüber der Kirche. Er findet alle zwei Jahre statt. Der 38. Deutsche Evangelische Kirchentag kostet rund zwanzig Millionen Euro. Über acht Millionen davon kommen aus öffentlichen Mitteln, von der Stadt Nürnberg und dem Land Bayern. Die bayerische Landeskirche trägt 5,6 Millionen Euro zum Etat des Kirchentages bei.

SWR1 Moderator Sebastian Frisch

Moderator am Feiertagmorgen Sebastian Frisch

Moderator am Feiertagmorgen

Moderator Hans Michael Ehl

Moderator am Sonntagmorgen Hans Michael Ehl

Moderator am Sonntagmorgen

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Mark Kleber