Putin greift bei Grundsatzrede Westen an (Foto: dpa Bildfunk, Pool Sputnik Kremlin/AP | Sergei Savostyanov)

ARD-Korrespondent berichtet aus Russland

"Jeder Protest wird sofort bestraft"

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SWR1

Ein Jahr ist es her, dass das russische Militär in die Ukraine einmarschiert ist. Trotz einiger Versuche bleiben große Massenproteste in Russland weitgehend aus. Woran liegt das? ARD-Korrespondent Demian von Osten lebt seit fast fünf Jahren in Russland und berichtet im SWR1 Interview von der Situation vor Ort.

SWR1: Es gab bisher keine großen Massenproteste in Russland. Warum? Hat die Staatsgewalt dieses riesige Land so fest im Griff? 

Demian von Osten: Ja, das ist auf jeden Fall so. Selbst wenn die Leute einem sagen, dass sie eigentlich gar nicht das Staatsfernsehen gucken, hört man doch immer wieder die gleichen Erzählungen. Als Deutscher wird man hier oft zum Beispiel darauf angesprochen, "friert ihr nicht alle in Deutschland in diesem Winter? Es muss doch wahnsinnig kalt sein." Das ist so eine der Erzählungen der russischen Propaganda, die dann durch alle Gesellschaftsschichten ankommen.

SWR1: Das klingt so, als ob die Propagandamaschine tatsächlich funktioniert und die russische Bevölkerung alles glaubt, was Putin von sich gibt.

von Osten: Vielleicht glaubt sie nicht alles. Es gibt natürlich auch viele Menschen im Land, die sehen, dass da etwas nicht gut läuft. Die Frage ist nur, was sie tun sollten. Die Repression ist massiv, das heißt, jeder noch so kleine Protest wird sofort bestraft. Viele Menschen haben natürlich auch Verantwortung zu übernehmen, ihren Eltern, Geschwistern, Ehepartnern und Ehepartnerinnen gegenüber. Also ist es gar nicht so einfach zu sagen, ich mache jetzt einfach mal was gegen dieses politische System, weil man weiß, dass man sofort ganz persönliche oder auch wirtschaftliche Konsequenzen zu tragen hat. Das macht es für sehr viele schwierig. Manche können ausreisen aus Protest. Aber auch dafür braucht man erstens die persönliche Ungebundenheit und zweitens auch die finanziellen Mittel, sich im Ausland ein anderes Leben aufzubauen. Zudem gibt es das Problem, dass die russischen Kreditkarten ja im Ausland nicht mehr funktionieren.

SWR1: Was bekommen denn die Russen mit über Kontakte zu russischen Menschen, die im Ausland leben, also in Deutschland beispielsweise, wenn sie telefonieren?

von Osten: Da gibt es schon Kontakte, natürlich. Es gibt immer wieder Fälle, wo man aus Familien selbst hört, dass die sich eigentlich nicht mehr verstehen, nicht mehr über Politik unterhalten können, weil die Meinungen und Ansichten sich so massiv unterscheiden.

SWR1: Krieg heißt, Söhne und Töchter sterben. Da kommen auch Menschen teilweise gar nicht mehr nach Hause. Wenn, dann vielleicht tot – das müssen Menschen doch schmerzlich mitkriegen.

von Osten: Das kriegt man mit, ja. Wir sind viel im Land unterwegs. Da sind auf den Friedhöfen immer mehr Gräber von getöteten russischen Soldaten. Aber Russland ist groß. Viele Zeitzonen umfasst dieses Land. Und wenn in dem einen Ort hundert Gräber sind, dann fällt das noch nicht auf als ein massenhaftes Sterben der Soldaten in der sogenannten Spezialoperation. Das macht es auch schwer, dass irgendwelche Proteste an einem Ort entstehen könnten, weil einfach die Soldaten aus dem gesamten Land kommen und tatsächlich weniger aus den sonst Protest trächtigen Großstädten wie Sankt Petersburg oder Moskau.

SWR1: Können Sie einschätzen, ob der russische Präsident Putin selbst in einer Informationsblase lebt oder ob er wirklich alles so mitbekommt, wie es ist?

von Osten: Es ist relativ klar, dass er informiert wird von seiner engen Gefolgschaft mit Informationen, die schon vorgefiltert sind. Es ist kein Präsident, der selber in sozialen Netzwerken unterwegs ist und sich da selber Infos rausholt. Ganz im Gegenteil. Wir haben ja hier ein sehr autoritäres System. Das heißt, die Menschen, die in so einem Apparat arbeiten, haben oft kein Interesse daran, der nächsthöheren Position unliebsame Botschaften zu überbringen. Deswegen würde ich davon ausgehen, dass viele Informationen doch im positiven Sinne gefälscht oder geschönt sind. Es gab so ein Beispiel vergangenes Jahr, dass Putin sich mit den Kriegskorrespondenten der Staatsfernsehsender getroffen haben soll. Das klang so ein bisschen danach, als ob er seinen eigenen Leuten, die ihn sonst informieren, ein bisschen misstraut hat, dass sie ihn richtig über die Vorkommnisse in der Ukraine informieren.

SWR1: Können Sie denn noch ordentlich arbeiten als Journalist?

von Osten: Wir können arbeiten, aber es ist deutlich schwerer geworden seit dem Beginn der sogenannten Spezialoperation. Viele, viele Menschen im Land sind äußerst vorsichtig, mit ausländischen Medien zu sprechen. Gerade wenn wir auf der Suche sind nach Geschichten im Land, braucht es doch sehr viel mehr Zeit zur Vorbereitung, um Menschen zu finden, die bereit sind, mit uns vor der Kamera zu reden. Ohne Kamera gerne. Aber vor der Kamera ist es dann doch noch mal etwas anderes. Hinzu kommt, dass wir natürlich auch darauf angewiesen sind, dass wir erfahren, was im Land überhaupt passiert, sprich auf lokale oder landesweite, unabhängige Medien angewiesen sind. Die sind aber so gut wie alle zugemacht worden im Verlaufe des letzten Jahres. Das heißt, es ist oftmals auch sehr schwer für uns zu beurteilen, was eigentlich im Land passiert. Wir müssen stärker als früher hinfahren, direkt mit den Leuten sprechen, ohne genau zu wissen, was uns erwartet. Weil das aus der Ferne oftmals sehr schwer zu planen oder auch zu erfahren ist.

Das Gespräch führte SWR1 Moderator Michael Lueg.

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