Landtagsabgeordneter Markus Stein über seine Erfahrungen

Wie ist das, als Pflegekind aufzuwachsen?

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Jürgen Kurth
Jürgen Kurth (Foto: SWR)
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Sich in einer Pflegefamilie zurechtzufinden, ist für Kinder besonders zu Beginn schwer. Manche brauchen viel Unterstützung oder haben Probleme, Menschen zu vertrauen. Andere leben sich gut in ihrem neuen Umfeld ein.

Wie fühlt es sich an, als Kind in eine neue Familie zu kommen? Der SPD-Landtagsabgeordnete Markus Stein hat offen mit uns über seine Geschichte gesprochen. Im Alter von acht Jahren ist er von Mannheim aus in eine Pflegefamilie nach Winterbach im Landkreis Bad Kreuznach gekommen.

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SWR1: Was haben Sie damals gefühlt, als Sie mit acht Jahren in diese neue Familie kamen? Haben Sie nicht gedacht, warum macht die Mama das? Hat die mich nicht mehr lieb?

Markus Stein: Absolut. Man fragt sich erst mal, warum passiert das? Was habe ich falsch gemacht? Man hat natürlich auch eine große Trauer. Also ich habe auch sehr intensiv geweint, und es hat wirklich Tage gedauert, bis ich das mal richtig verarbeiten konnte. Es war ein fließender Übergang, der es mir dann am Ende ein bisschen leichter gemacht hat. Aber es war erstmal natürlich eine sehr herzzerreißende Zeit.

Auf einmal hat man neue Tanten und Onkel und Leute, die einem vermeintlich nahe sind, die man aber nicht kennt.

SWR1: Sie kamen von Mannheim ins Dorf nach Winterbach im Soonwald, Verbandsgemeinde Rüdesheim, heute Landkreis Bad Kreuznach. Die neue Umgebung, die neue Schule, neue Freunde. Wie war das?

Stein: Das war eigentlich das Krasseste. Ein neues Kinderzimmer, man hat Menschen um sich herum, mit denen man sonst im Leben noch nie etwas zu tun hatte, und das war erst mal sehr fremd alles. Man kann es ja noch so angenehm gestalten, aber am Ende kommt man in eine komplett neue Umgebung. Mannheim ist dann auch ein ordentliches Stück weg. Alle Freunde, die ich bis dahin hatte, jeder, den ich kannte, war von heute auf morgen verschwunden und ich musste neue Leute kennenlernen.

Das macht sich auch an so praktischen Dingen fest: Wie rede ich denn jetzt meine Pflegeeltern an? Sage ich Mama oder Papa oder sage ich Angelika und Gerhard? Wie verhalte ich mich? Man lernt auf einmal "Verwandte" kennen. Auf einmal hat man neue Tanten und Onkel und Leute, die einem vermeintlich nahe sind, die man aber nicht kennt. Und das ist erstmal eine sehr befremdliche Situation.

SWR1: Wie haben Sie es dann gemacht? Haben Sie Angelika und Gerhard gesagt oder die Pflegeeltern irgendwann Mama und Papa genannt?

Stein: Zu Mama und Papa ist es nie gekommen. Das hat sich so eingewöhnt, dass ich eigentlich immer Angelika und Gerhard gesagt habe, weil einfach auch im Alter von acht Jahren der Switch, zu jemand anderem Mama zu sagen oder Papa zu sagen, dann einfach sehr groß war. Aber im Herzen ja klar: es ist Mama und Papa.

Ich hätte vieles von dem, was ich heute erreicht habe, auch nicht ohne meine beiden Elternteile geschafft, die mir wunderbare Rahmenbedingungen gegeben haben.

SWR1: Gerhard und Angelika – heute schauen sie auf Sie und sehen: Der Mann ist jetzt verheiratet, hat selber Kinder, ist Landtagsabgeordneter. Wie stolz sind Gerhard und Angelika auf Sie?

Stein: Ich glaube sehr. Meine Eltern haben sich im Grunde um meine komplette Kindheit gekümmert. Ich glaube, wie jede andere Mama und jeder andere Papa, sind sie einfach furchtbar stolz, dass ich meinen Weg gemacht habe. Ich hätte vieles von dem, was ich heute erreicht habe, auch nicht ohne meine beiden Elternteile geschafft, die mir wunderbare Rahmenbedingungen gegeben haben, die ich in Mannheim wahrscheinlich so nicht vorgefunden hätte. Also Stolz ist auf jeden Fall vorhanden. Sie freuen sich jedes Mal, wenn ich von der Arbeit erzähle und wo ich mitwirken darf. Aber ich bin auch stolz darauf, dass ich so eine gute, tolle Familie hier gefunden habe in Winterbach.

Das Gespräch führte SWR1 Moderator Jürgen Kurth.

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